Immer mehr Menschen interessieren sich für Fitness und Ernährung. Doch die wenigsten gehen es richtig an. Oliver Muelbredt, Athletik-Trainer des Olympia-Stützpunkts, sieht massiven Handlungsbedarf.

In den 1970er- und 80er-Jahren gab es beim Thema Fitness gefühlt zwei Typen: Selbstgebräunte und nur mit Stofffetzen bedeckte Muskelberge, die in ausladenden Uncle-Sam-Hosen und mit schmerzverzerrtem Gesicht vor großen Spiegeln Gewichte stemmten, und mit Schweißbändern und Stulpen geschmückte Frauen, die in bunten Leggins und Sport-Bodys im heimischen Wohnzimmer der Aerobic frönten. Die Männlein tobten sich in den quasi nur ihnen vorbehaltenen Fitnessstudios aus, die Weiblein vorm heimischen Fernsehgerät auf Anweisungen von Jane Fonda oder anderen prominenten Frauen. Soweit das Klischee. In den vergangenen 40 Jahren hat sich viel getan. Der Fitness-Begriff allein deckt eine Vielzahl von Aktivitäten ab und geht weit über Krafttraining und Aerobic hinaus. Das Angebot ist noch individueller geworden, erreicht nahezu alle Altersklassen und ist nahezu untrennbar mit Themen wie Ernährung und Nahrungsergänzung verbunden.
„Ich ging ja früher selbst ins Fitnessstudio – das waren überwiegend junge Leute und vielleicht mal ein, zwei ältere. Mittlerweile gibt es spezielle Studios für Senioren, um diese Gruppe gezielt anzusprechen“, weiß Oliver Muelbredt. Seit über 20 Jahren arbeitet der heute 49-jährige Diplom-Sportlehrer im Reha- und Gesundheitssport. Er ist Athletiktrainer des Olympiastützpunktes Rheinland-Pfalz-Saarland und betreut Weltklasse-Athleten wie Olympia-Sieger Jan Frodeno in einer eigenen Praxis. Zu der gehört auch ein Kraftraum, in dem die Patientinnen und Patienten individuell betreut werden.
Ältere Menschen seien zunächst skeptisch gewesen: Die Vorstellung, umgeben von den eingangs auskömmlich umschriebenen „Pumpern“ Gesundheitssport zu betreiben, war für sie eher befremdlich. „Als sie dann gesehen haben, dass sich hier ganz normale Leute aufhalten, hat sich diese Haltung grundlegend geändert: Sie haben mit dem Training angefangen und gemerkt, dass es ihnen guttut.“ So gut, dass sie ihr Training über die Rezeptdauer hinaus unter professioneller Anleitung fortsetzen wollten, statt in einem klassischen Fitnessstudio, wo es oft an solch individueller Betreuung fehlt.
„Der Markt hat sich einfach über die Jahre stark verändert. Zu meiner Uni-Zeit wurden schon spezielle Programme wie Diabetikersport, Asthmasport oder Koronarsport-Gruppen gezielt gefördert. Und davon wurden natürlich auch ältere Menschen angesprochen“, berichtet Muelbredt. Diese Gruppen füllten sich auf ärztlichen Rat mit entsprechenden Patientinnen und Patienten, aber auch mit früheren Sportlerinnen und Sportlern, die in einem kontrollierten Rahmen ihre Leidenschaft wiederaufnehmen konnten. „Seniorensport beginnt im Alter von 35 Jahren“, merkt Muelbredt an: „In diesem Alter enden oft beispielsweise aktive Fußball- oder Handballkarrieren, weil man sich beispielsweise der Familiengründung widmet. Dann geht erst mal nix bis Mitte 50.“ Der zweifache Vater weiß, wovon er spricht. „Wer dann wieder einsteigen möchte, sollte sich unbedingt zuerst von seinem Hausarzt durchchecken lassen und mit ihm abklären, was geht. Es gibt in speziellen Fitnessstudios und in Vereinen viel mehr Möglichkeiten als noch vor 20 Jahren“, sagt er. Seit 2008 betreibt Muelbredt zusammen mit seinem Geschäftspartner, Physiotherapeut Dirk Mund, eine Praxis an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken.
Früher überwiegend junges Publikum
Mittlerweile gibt es sehr viele Menschen im Rentenalter, die regelmäßig im Fitnessstudio trainieren. „Die haben die Zeit, das nötige Kleingeld und sehen, dass es ihnen etwas bringt“, stellt Oliver Muelbredt fest. Die Landschaft der Fitnessstudios und vergleichbaren Einrichtungen spaltet sich daher gerade auf: Die einen definieren sich stark über den (möglichst niedrigen) Preis und locken mit Flatrate-Angeboten, kurzen Kündigungsfristen und setzen im wahrsten Wortsinn auf Masse. Die anderen stellen die individuelle Betreuung heraus, die natürlich ihren Preis hat. Nach wie vor sprießen Studios wie Pilze aus dem Boden, gefühlt wird jedes leerstehende vormalige Teppich-Fachgeschäft zum Kraftraum mit Hantelfach umgebaut. Begünstigt wird dies durch den Umstand, dass es für die Eröffnung eines Fitnessstudios keiner Qualifikation bedarf. Auch Bezeichnungen wie Personal oder Athletik-Trainer sind nicht geschützt und sagen nichts über die Ausbildung oder Qualität der Arbeit der sich so Bezeichnenden aus. „Es gibt inzwischen entsprechende Lizenzierungen, aber die sind nicht verpflichtend. Das ist ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich in diesen Bereichen, teilweise über lange Zeit, aus- und weiterbilden“, klagt der Diplom-Sportlehrer.
Auch aufgrund ihrer finanziellen Situation werden vor allem jüngere Menschen von den Billiganbietern angelockt. „Hier geht es wie früher vor allem um ‚sehen und gesehen werden‘. Es ist immer noch hip, sich dort einen Schwimmbad-tauglichen Körper anzutrainieren“, weiß Muelbredt. Doch gerade Jüngere können ohne die Anleitung von Fachpersonal vieles falsch machen.
Vereine haben mit Problemen zu kämpfen

Eine tragende Säule der Sporttreibenden im Saarland sind nach wie vor die vielen Vereine. Doch die haben – nicht erst seit der Corona-Pandemie – mit einem Rückgang an Mitgliedern und Ehrenamtlichen zu kämpfen. Dabei spielen demografische, aber auch allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle, allen voran die fortschreitende Individualisierung. Immer weniger Menschen wollen sich an Vereinsstrukturen und feste Trainingszeiten binden. „Das ist sehr schade, weil Vereinsleben natürlich viel mehr bedeutet als nur zu einer bestimmten Zeit Sport zu treiben. Vor allem geht es hier auch um Gemeinschaft“, meint Muelbredt. Um sich und ihr Angebot zu präsentieren, rät Muelbredt den Sportvereinen, vermehrt mit Schulen zu kooperieren. Dies würde nicht nur das seit der Abschaffung der dritten Sportstunde dezimierte Sportangebot im schulischen Kontext stärken, sondern könnte für Mitgliederzuwachs im Verein sorgen. Darüber hinaus könnte auch denjenigen der Spaß an der Bewegung nähergebracht werden, die nicht eh schon aus sportaffinen Elternhäusern stammen. „Das ganze System ist nicht sportfreundlich und hinkt“, sagt Muelbredt: „Je nach Schulform kommen die Kinder heute erst um 16 Uhr nach Hause und müssen noch Hausaufgaben machen. Dann abends noch zum Vereinssport ist vielen zu viel.“
Seiner Meinung nach müsste auch ein weiteres Thema Einzug in die Schulen halten: gesunde Ernährung. Das Thema ist zwar seit geraumer Zeit in aller Munde, doch fernab immer neuer Trends bleibt das Wesentliche auf der Strecke: „Leider geht fast keiner das Thema an der Basis an und betrachtet seinen persönlichen Kalorienumsatz oder informiert sich über die Bedeutung und den Bedarf an Makronährstoffen, also Eiweißen, Fetten und Kohlehydraten“, stellt Oliver Muelbredt fest: „Wir alle ernähren uns hochkalorisch, mit viel zu wenig Eiweiß und zu oft mit Kohlehydraten und schlechten Fetten.“ Da helfe auch kein expandierender Markt an Nahrungsergänzungsmitteln: „Die Anbieter setzen darauf, dass wir alle mit möglichst wenig Aufwand das Maximale erreichen möchten“, weiß Muelbredt, findet Nahrungsergänzung aber nicht generell schlecht: „In Kombination mit professioneller Ernährungsberatung kann das nützlich sein. Aber man sollte zuerst dafür sorgen, seinen Grundbedarf bestmöglich mit der alltäglichen Ernährung zu decken.“
Es bleibt festzuhalten: Wer mit Sport gesund bleiben oder werden will, hat viel zu tun. Die Eigenverantwortung steht an erster Stelle, das passende Outfit dagegen ist (wie eigentlich auch schon in den 1980ern) zu vernachlässigen.