Der Saarbrücker Franz Haßdenteufel ist leidenschaftlicher Rennradfahrer. Erinnerungen an seine Touren hat er kürzlich in Form eines Buchs niedergeschrieben.
Es gibt Sätze, die will man nicht mehr hören. „Da geht wohl gerade ein Virus um!“ ist aktuell einer davon. Nach Corona und diversen Erkältungs- und Grippewellen reicht es mit den Viren. Anders sieht das bei Franz Haßdenteufel aus, der durchaus froh über sein Virus ist. Der 70-Jährige hat sich, wie er selbst sagt, vor mehr als 50 Jahren mit einem besonderen und vor allen Dingen nicht unbedingt schädlichen Erreger angesteckt. Nämlich mit dem Fahrradvirus – dem „Virus Velomanie“, wie er es nennt.
In seinem kürzlich erschienenen Buch, das ebenfalls den Titel „Virus Velomanie“ trägt, erzählt Haßdenteufel von seiner Leidenschaft für das Rennradfahren und seinen teils abenteuerlichen Touren von den 1970er-Jahren bis heute. Seine Begeisterung, die auch beim persönlichen Treffen mit dem pensionierten Lehrer deutlich wird, hat er auf fast 500 Seiten greifbar gemacht. Im zweiten Teil des Buchs stellt er zudem diverse Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade für alle Leistungsniveaus in Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Italien und der Schweiz vor.
Es war nicht immer ungefährlich
Dabei waren die Voraussetzungen für den jungen Franz Haßdenteufel eher suboptimal: Aufgewachsen ist er in der nicht gerade für ihre Flachheit bekannten Gegend rund um St. Wendel. Es wäre also kein Wunder gewesen, wenn er in dieser Berg- und Tal-Landschaft das Rad gar nicht erst aus der Ecke geholt hätte. Heute kann Haßdenteufel über kleine Hügel wie seinen Hausberg, den Schaumberg, nur noch schmunzeln, denn seine besten Touren haben ihn in alle größeren oder kleineren Gebirge der Nachbarländer geführt. „Die Berge sollten in meinem Leben eine außergewöhnliche Rolle spielen“, schreibt er im Vorwort zu seinem Buch. Ob es nun an seiner ohnehin hügeligen Heimat lag, oder daran, dass seine Mutter einen Ausflug auf den Odilienberg unternahm, als sie mit ihm schwanger war, ist nur eine Mutmaßung, fest steht aber: Haßdenteufel hat mittlerweile alle klassischen Bergetappen mit dem Rennrad hinter sich gebracht. Von den Vogesen über die Ardennen und natürlich den Mont Ventoux bis in die Alpen, Pyrenäen und Dolomiten. Und das war nicht immer ungefährlich.
Der Grundstein für Haßdenteufels Fahrradaffinität wurde trotz schwieriger Rahmenbedingungen tatsächlich früh gelegt, da in seiner Familie das Fahrrad als Fortbewegungsmittel immer präsent war. Ob es der Vater war, der bei Ausflügen gleich mehrere seiner Kinder gleichzeitig auf Lenkstange und Gepäckträger des Rads transportierte oder ob es Franz Haßdenteufel selbst war, der zur Kommunion sein erstes eigenes (Damen-)Fahrrad bekam und mit zwölf Jahren bereits einen 50 Kilometer langen Ausflug Richtung Homburg an den Jägersburger Weiher machte – das Fahrrad war ganz selbstverständlich da. Haßdenteufel erinnert sich noch gut an seinen Jugendheld Rudi Altig und fühlt noch heute seine eigene Euphorie, als Altig 1966 den Weltmeisterschaftstitel im Straßenrennen holte. Nach und nach hält so auch die Begeisterung für den Radsport Einzug in sein Leben. Er studiert nach dem Abitur Romanistik und Geschichte in Saarbrücken und Paris – einer Stadt, in der sich das Radfahren eher schwierig gestaltet. Haßdenteufel spielt deshalb zunächst Fußball und widmet sich nach seiner Rückkehr aus Paris dann endgültig dem aktiven Radfahren. So richtig los geht es, als er 1981 in einem Urlaub während des Referendariats das Rennrad einpackt und in der Hochprovence am Lac de Saint-Croix eine Runde dreht. Dort trifft er auf einen anderen Fahrer, dem er sich einfach anschließt, weil er locker mit diesem mithält. Wie sich später herausstellt, war seine Zufallsbekanntschaft ein französischer Radprofi beim Training – und Haßdenteufel offenbar ein Naturtalent. Obwohl der pensionierte Französischlehrer heute ruhiger geworden ist, so liegen zwischen Rudi Altigs Erfolg, der Tour am Lac de Sainte-Croix und heute doch zahlreiche Abenteuer.
Durch eisigen Wind und Schneetreiben
Wie zum Beispiel 1983, als er auf einer Radtour in den französischen Seealpen im Nationalpark Mercantour fast erfror, weil er gemeinsam mit einem Freund die Wetterbedingungen bei einer Alpenüberquerung über den Col de la Bonette Richtung Italien unterschätzt. Vom warmen Wetter der Provence in die Irre geführt, starten die beiden Männer den Anstieg in bester Laune – dass das Wetter sich immer weiter verändert, ist ihnen zunächst egal. Auch als sie bei zunehmend niedrigeren Temperaturen und Nebel ein „Route Barrée“-Schild passieren, kümmert es sie nicht weiter. Doch Haßdenteufel berichtet weiter, wie das Wetter plötzlich komplett umschlägt und sich unter den Nebel auch Schnee mischt: „Binnen weniger Minuten fahren wir Ende Juni auf schneebedeckter Straße! Jetzt sind wir doch etwas verunsichert.“ Im Buch sind Fotos abgebildet, die Haßdenteufel und seinen Begleiter leicht bekleidet neben Schneebergen zeigen, die höher als ihre Rennräder sind. Bei einer Sichtweite von weniger als zehn Metern kämpfen sich die beiden aber weiter, ein Zurück gibt es nicht. Im eisigen Wind und im Schneetreiben werden die Hände zunehmend taub, die Beine auch, klirrende Kälte kriecht ihnen in die Glieder, bis sie irgendwann nur noch mit einer Hand am Lenker fahren und die andere in die Kniekehle stecken, um Erfrierungen vorzubeugen. Haßdenteufel erinnert sich an ein „Gefühlschaos von ursprünglicher Freude bis hin zur puren Angst“. Danach hört seine Erinnerung auf, er weiß nur, dass er auf einer Pritsche wieder aufwacht. Zum großen Glück der beiden Radfahrer hatte nämlich das französische Militär ganz in der Nähe eine Winterübung. Die Soldaten nehmen die beiden Radfahrer auf und versorgen sie mit Decken und Kleidung und mit heißem Rosé und Baguettestücken, um sie auch von innen wieder aufzuwärmen. Die Lebensgefahr dieser Tour wird Haßdenteufel und seinem Begleiter erst im Nachhinein bewusst.
Auch eine andere Geschichte von Leben und Tod findet sich in Haßdenteufels Memoiren. Eine der Hauptfiguren ist schon seit fast 20 Jahren nicht mehr am Leben und trägt den Namen Marco Pantani. Den italienischen Radrennfahrer, Tour-de-France- und Giro-d’Italia-Sieger lernte Haßdenteufel 1996 kennen – zwei Jahre, bevor Pantani die Tour de France spektakulär gewann. Und das ist eine Geschichte, die kaum eine größere Verkettung von Zufällen zum Ausgangspunkt haben könnte. Es war in der Mitte der 1990er-Jahre, als Franz Haßdenteufels Ehefrau ihren leiblichen Vater kennenlernen wollte – einen Italiener aus Cesenatico, einer Stadt an der Adria. So kam es, dass Franz Haßdenteufel samt Familie nach Italien reiste, um die „neue“ italienische Verwandtschaft zu treffen. Und neben aller Emotionalität der Familienzusammenführung gab es für den passionierten Radfahrer noch ein weiteres Highlight. Haßdenteufel erinnert sich noch genau, wie der neu entdeckte italienische Onkel seiner Frau ihm mitteilte: „Du bist doch auch ein Kletterer, komm, ich stelle dir Marco vor, einen der besten Kletterer der Welt“. Ob er damit etwa Marco Pantani, den neuen Kletterstar der Radwelt, meinte, fragte Haßdenteufel ihn ungläubig. Genau der, bestätigt der Onkel. So treffen sich Haßdenteufel und Pantani, den der Onkel kennt und der im selben Ort wohnt, und sie unterhalten sich – natürlich – über das Radfahren. Nachdem die beiden auseinandergehen, wird Marco Pantani seinem Ruf als Shootingstar in den folgenden Jahren gerecht. Kurz vor der Tour de France 1998 denkt Haßdenteufel an ihn und schreibt ihm einen Brief, den er der italienischen Verwandtschaft mitgibt. Er erinnert sich: „Nach Marcos Giro-Sieg ließ ich ihm persönlich einen Brief zukommen mit den Streckenprofilen des Galibier und anderer Tour-Pässe. (…) Marco war diesen mythischen Pass noch nicht gefahren.“ Ein Tipp, den Haßdenteufel ihm dabei schreibt, ist folgender: „Wenn du dich in Form fühlst (…), musst du unbedingt am Col du Galibier angreifen. Die beste Stelle für dich könnte der Punkt sein, den ich dir markiert habe (…). Der Schlussanstieg in Deux-Alpes könnte zu leicht sein, und es wird schwierig sein, dort Fahrer wie Ullrich, Zülle, Olano abzuhängen.“ Haßdenteufel legt eine Karte mit Markierungen bei. Und tatsächlich, am 27. Juli 1998 ist es so weit. Auf der entscheidenden Etappe startet Pantani den Angriff tatsächlich an der Stelle, die Haßdenteufel ihm genannt hat! „Ich gehe davon aus, dass auch seine Trainer ihm diese Stelle empfohlen hatten“, sagt Haßdenteufel.
Ein pinkfarbenes Rad ist sein Lieblings-Bike
Aber wer weiß, welchen Einfluss er selbst tatsächlich auf den Ausgang der Tour hatte, jedenfalls schenkte Pantani Haßdenteufel zum Dank das Kultobjekt in jenem Jahr 1998: zwölf handsignierte Bandanas seiner Mannschaft Mercatone Uno. In den folgenden Jahren rutscht Marco Pantani immer weiter in eine Spirale aus Doping, Drogensucht und Depressionen und stirbt im Februar 2004 in einem Hotelzimmer an einer Überdosis Kokain – was nicht nur die Sportwelt, sondern auch Franz Haßdenteufel geschockt zurückließ. Noch heute besucht er bei jedem Familienbesuch Pantanis Grab und legt zwei Rosen nieder: eine rosafarbene und eine gelbe – für seine Siege 1998 beim Giro d’Italia im Rosa-Trikot und der Tour de France im Gelben Trikot.
Mit diesen und vielen anderen Geschichten kann Franz Haßdenteufel seine Zuhörer fesseln. Dabei wird er nicht müde, auch immer wieder sein Lieblingsrennrad zu erwähnen: ein pinkfarbenes Vélo Mercier. Ein Rad, das er zum ersten Mal live 1971 bei der „Tour de Corse“ auf Korsika und dann wieder 1982 während der Tour de France am Ballon d’Alsace bei Joop Zoetemelk, dem Mannschaftskapitän von Coop-Mercier, gesehen hat. „Welch einzigartiger Anblick!“, schreibt Haßdenteufel in seinem Buch. „Zurück in Saarbrücken ging mir dieses Mercier mit seiner auffälligen Lackierung nicht mehr aus dem Kopf.“ So setzte er alle Hebel in Bewegung, ein solches Rad sein Eigen nennen zu können. Er hat Glück: In einem Laden in Saargemünd wird er fündig und kauft das Rad vom Fleck weg. Und er fährt es fast 15 Jahre bergauf und bergab über viele Hundert Kilometer, bis der Zahn der Zeit zu intensiv am Material genagt hat.
1996 will er dem Rad noch ein letztes Abenteuer schenken, wie er sich erinnert. Er will es mit nach Salamanca zu einem vierwöchigen Spanischkurs nehmen. Das Problem dabei nur: Haßdenteufel und das Rad reisen separat. „Mein Mercier hatte ich rechtzeitig in Forbach bei der SNCF aufgegeben, zum letzten Mal sah ich es lebend.“ Denn als er es in Spanien vom Bahnhof abholen will, wartet ein Schock auf ihn, nachdem der Bahnangestellte ihn verlegen in den Gepäckraum führt: „Es war nur noch ein Haufen Schrott (…). Eine Waschmaschine habe es zertrümmert“, erklärt man ihm. So musste sich Haßdenteufel mehr oder weniger freiwillig von dem Rad, das ihm so ans Herz gewachsen war, trennen.
Einen Verlust, den er, wie er sagt, nie richtig verwunden hat. Als er 2021 ein gleichwertiges Modell der Marke „Retro“ aus dem Jahr 1980 findet, ist es keine Überraschung, dass er es ohne zu zögern kauft.