Anfang des Jahres schlugen die Ärzte Alarm. Besonders bei Kindern kam es in dieser Zeit zu Medikamenten-Engpässen. Wie es nun aussieht, und warum sich die Situation Ende des Jahres wiederholen kann, weiß Kinder- und Jugendarzt Dr. Jakob Maske.
Warum sind die Medikamente für Kinder aktuell knapp?
Das ist schwierig zu beantworten und sicher vielschichtig. Zum einen gibt es die Lieferengpässe unter anderem durch den Ukraine-Krieg, es gibt aber auch Rabattverträge und Preisgestaltungen durch die Krankenkassen, die es für Pharmafirmen unattraktiv machen, ihre Produkte auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Dies hat die Gesundheitspolitik sehenden Auges zugelassen und ist so zusammen mit den Krankenkassen hauptverantwortlich für die entstandene Krise.
Wie „gefährlich“ ist die Lage?
Der Medikamentenmangel sorgt dafür, dass bakterielle Krankheiten nicht mehr zuverlässig mit dem Mittel der ersten oder gar zweiten Wahl versorgt werden können. Wir behandeln also, wenn überhaupt möglich mit dem Medikament der dritten Wahl. Dies führt natürlich zu einer Verlängerung der Erkrankung zu einer schlechteren Behandlung (häufig muss dann erneut behandelt werden) und auch zu einer zunehmenden Resistenzbildung.
Warum handelt es sich dabei ausgerechnet um Medizin für die Kleinsten?
Es handelt sich nicht ausschließlich um Medikamente für Kinder und Jugendliche. Diese sind durch die Preispolitik aber besonders betroffen. Außerdem ist das Herstellen von zum Beispiel Säften aufwendig, sodass der Verdienst der Firmen noch geringer ist.
Warum sind Medikamente für Kinder teurer?
Das Herstellen von Säften ist wesentlich aufwendiger als das Herstellen von Tabletten. Außerdem basiert die Bezahlung offenbar auf der Dosis.
Um welche Medikamente handelt es sich da konkret?
Zurzeit sind vor allem Antibiotika betroffen, eigentlich ohne Ausnahme. Denn wenn man das Mittel der ersten Wahl nicht hat, wird vermehrt das Mittel der zweiten und dritten Wahl genommen und dieses dadurch auch knapp. In zweiter Linie sind Schmerz- und Fiebermedikamente betroffen, aber auch zum Beispiel Impfungen. Letztendlich kann es jedes Medikament treffen, dies sind jedoch die in der Kinder- und Jugendheilkunde am meisten verwendeten.
Ist die Medikamentenknappheit ein deutsches Problem?
Nein, es gibt einen Brandbrief der europäischen deutschsprachigen Länder, hier herrscht überall ein Engpass. Einzelne europäische Länder sind allerdings auch nicht betroffen.
Wo kommen die Medikamente her?
In der Regel aus China und Indien.
Warum kommen die aus Indien und China, nicht aus Europa?
Hier geht es ganz klar um den Preis. Die Deutschen sind offenbar nicht bereit, mehr Geld für Medizin auszugeben.
Wie ist die Ist-Situation? Gibt es Licht am Ende des Tunnels?
Durch die zurückgehende Zahl der bakteriellen Infektionen scheint sich die Lage etwas zu entspannen, dies ist jedoch ein Trugschluss, da der Mangel gleichbleibend hoch ist. Im kommenden Herbst und Winter werden wir eine erneute Welle an bakteriellen Infektionskrankheiten erleben, die erneut das medizinische System an seine Grenzen bringen wird.
Gibt es Alternativen zu Medikamenten, die aktuell nicht erhältlich sind?
Natürlich können wir Medikamente durch andere Medikamente ersetzen, dies ist aber aus verschiedenen Gesichtspunkten nicht gut und auch nicht in jedem Fall möglich. Ein Ersetzen führt immer zu einer ineffektiveren Behandlung und birgt die Gefahr der Resistenzentwicklung.
Können Apotheken nicht auch „eigene“ Medikamente mischen?
Apotheken können aus Tabletten Säfte herstellen, dies ist aber erstens teuer und zweitens sind inzwischen ja auch die Tabletten knapp.
Was tun im Notfall?
Wir weisen im Notfall in ein Krankenhaus ein, dort wird dann antibiotisch über die Vene behandelt. Leider werden auch diese intravenösen Medikamente bereits knapp.
Gibt es neue Strategien, dieses Problem zu vermeiden?
Der Bundesgesundheitsminister hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, was langfristig den Medikamentenmangel vermeiden soll, das bewerten wir zunächst positiv, sehen aber hierin nicht den einzigen möglichen Schritt und halten die Maßnahme für diesen Herbst und Winter nicht für wirksam.
Was raten sie verunsicherten Eltern?
Sprechen sie mit ihrem Kinder- und Jugendarzt des Vertrauens. Gemeinsam findet man in der Regel eine Lösung, die jedoch nicht immer einfach ist. Oft sind häufige Wege in eine Apotheke an der Tagesordnung, bis sich eine findet, die das Medikament noch vorrätig hat. Die Suche gleicht der nach einer Nadel im Heuhaufen. Teilweise müssen Eltern 30 bis 40 Telefonanrufe tätigen, ehe sie eine entsprechende Apotheke finden. Dauert die Suche zu lange oder verläuft erfolglos, kann das stationäre Aufenthalte für das Kind nach sich ziehen.