Supplementierung für Gesundheit und Leistungsfähigkeit
Der Glaube an gesundheitsfördernde Mittel vom Supermarktregal hat Hochkonjunktur. Immun-und leistungssteigernd sollen sie sein. Die Liste weiterer Effekte ist lang und mit medizinischen Mythen gespickt. Die Mischung ist bunt und schließt auch Medizinprodukte wie beispielsweise spezielle Bandagen oder Geräte ein. Wie soll sich Otto Normalverbraucher in diesem Dschungel zurechtfinden?!
Aggressives Marketing tut ein Übriges. Vitaminmangel ist bei Gesunden einschließlich Sportlern selten. Auch neuere Studien sind nicht bahnbrechend. Vitamine helfen gegen das Vergessen, so war es kürzlich zu lesen und wurde auch mit einer Studie unterfüttert. Aber oft ist es nur eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Voreilige Schlüsse enttäuschen immer wieder.
Für Vitamin D besteht im Gegensatz zu den meisten anderen Vitaminen häufig eine Unterversorgung oder ein Mangel, wenn auch der optimale Blutspiegel zumindest wissenschaftlich umstritten ist. Präventive Effekte gegenüber Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Dennoch wird empfohlen, Vitamin D bei Unterschreiten des Normwertes zu supplementieren. Die Bedeutung für die Knochengesundheit ist unstrittig. Unkontrollierte Einnahme kann aber schaden, da fettlösliche Vitamine im Körper gespeichert werden.
In meiner ärztlichen Funktion im Spitzensport hatte ich gelegentlich Kontakt mit Bachblüten. Kurz gesagt, als Schulmediziner mag man mir verzeihen, wenn ich die Wirkung von Bachblüten als Placeboeffekt bezeichne. Heilen wird man damit nicht, Humbug wäre aber zu despektierlich. Wem Bachblüten helfen, der muss nichts ändern. Immer vorausgesetzt, ernsthafte Erkrankungen werden damit nicht kaschiert. Andernfalls würde der Glaube nicht die berühmten Berge versetzen, sondern wirksame Therapien verhindern. Sie sind auch als Notfalltropfen im Handel. Damit werden Wirkungen suggeriert, die Bachblüten nicht leisten können.
Glutenfreie Diäten werden immer beliebter. Nur ein Hype oder doch mehr? Zöliakie, eine Entzündung der Darmschleimhaut, und Weizenallergien sind absolute medizinische Indikationen, auf glutenhaltige Lebensmittel zu verzichten. Obwohl weltweit nur ein Prozent an diesen Krankheiten leidet, ernähren sich sehr viel mehr Menschen zumindest phasenweise glutenfrei. Unter Sportlern ist diese Diätform besonders beliebt. Postulierte Effekte wie Förderung der Gesundheit und Steigerung der Leistungsfähigkeit werden geschickt vermarktet, hingegen fehlt wissenschaftliche Evidenz. Ein Verzicht auf getreidehaltige Lebensmittel wie Brot und Nudeln kann sogar gegenteilige Effekte bewirken. In epidemiologischen Studien fanden sich Hinweise auf ein höheres Risiko für Diabetes vom Typ 2. Glutenfrei ohne medizinisch begründete Indikation ist nicht gesünder.
Kürzlich erschien eine bemerkenswerte Studie über die eiweißähnliche Substanz Taurin, die im Körper gebildet wird, aber auch als Nahrungsergänzungsmittel verfügbar und in Energiedrinks enthalten ist. Affen und Mäuse lebten länger und gesünder bei regelmäßiger Anwendung von Taurin. Die Botschaft ist zu schön, um wahr zu sein. Der hoffnungsvolle Ansatz muss durch klinische Studien am Menschen bestätigt werden. Die Autoren der Studie warnen vor Selbstversuchen, da bisher keine Daten einer Taurin-Supplementierung in höherer Dosis und längerer Dauer vorliegen.
Apropos Medizinprodukte. In den 1990er-Jahren wurde ein Nasenpflaster im Sport salonfähig, das primär gegen das Schnarchen entwickelt worden war. Mehr Luft und damit mehr Leistung sollte das Pflaster bringen. Als bei der Fußball-Europameisterschaft 1996 der italienische Spieler Pierluigi Casiraghi mit Nasenpflaster zwei Tore schoss und auch andere Teams das Pflaster benutzten, stellte sich für mich als internistischen Mannschaftsarzt die Gretchenfrage. Ich bin meiner Ratio gefolgt und die Mannschaft ist mir gefolgt. Deutschland wurde ohne Nasenpflaster Europameister. Ich habe mir mögliche Schlagzeilen bei einem vorzeitigen Ausscheiden gegen eine „verpflasterte“ Mannschaft vorgestellt.
Vielleicht so: Den Deutschen ging die Luft aus.