Wenn man Daniel Schreiber eines nicht vorwerfen kann, dann, dass er in seinen literarischen Essays schwierigen Themen ausweicht. Über das Alleinleben und den Umgang mit Alkohol hat er zuletzt zwei Bücher vorgelegt. In seinem Essay „Die Zeit der Verluste“ widmet er sich der Erfahrung des Verlorenseins, des Verlustes und dem Gefühl der Trauer. Der Autor erzählt zu Beginn, wie er eines Morgens in einem Gästezimmer in Venedig aufwacht, man erfährt, dass er unter Schlafproblemen litt und dass sein Vater gestorben ist.
Daniel Schreiber pendelt zwischen zwei Erzählebenen und einer Reflexionsebene – das erzeugt eine ungeheure Spannung beim Lesen. Zum einen erzählt er von einem Tag im nebelumhüllten Venedig zur Zeit der Corona-Pandemie, dann wieder nähert er sich den Erinnerungen an seinen toten Vater an und reflektiert über unsere kollektive Unfähigkeit zu trauern. Dazu flicht er in kürzeren Passagen verschiedene Gedanken von Sigmund Freud, Judith Butler, Jacques Derrida, Eva Horn und Margarete Mitscherlich ein und entschleunigt durch diese mosaikartige Erzählweise den Lesefluss. Das muss man aushalten können, doch man kann die Zitate durchaus als Leseanregung verstehen.
Der Essay hat – neben der luziden Sprache und dem sanft-melancholischen Grundton, der sich durch das Buch zieht – eine große Stärke: Daniel Schreiber gelingt es, die Erinnerungen an seinen Vater behutsam zu rekonstruieren, wenn er etwa schildert, wie in den 50er-Jahren sein damals zehnjähriger Vater von dessen Stiefvater einmal fast zu Tode geprügelt wurde, weil er sich weigerte, die Kälber auf dem Hof zu füttern. Schreiber ist hoch anzurechnen, dass er nicht vor einer großen Frage unserer Zeit zurückschreckt: Wie können wir es schaffen, trotz Klima-Krise, Kriegen und Trauer um den Zustand dieser desolaten Welt nicht die Dankbarkeit für unser Leben zu verlieren? Ein Buch, das uns neue Zuversicht schöpfen lässt, für das, was vor uns liegt.