Bei Instagram oder TikTok kommt man um das Lied nicht herum: “You’re enough, I promise you’re enough...“ haucht Ryan O‘Neal. Meist taucht es in Reels auf, in denen es um Menschen geht, die sich für hässlich halten. Mit pathetischem Gestus versichern Ehefrauen, Töchter oder Freunde dann: You are enough. Du bist gut so, wie du bist. Pathetisch ist an dieser Stelle das Stichwort. Wenn man vom Viral-Kitsch absieht, durch den der Song des Musikprojekts Sleeping At Last gerade populär wurde, kann man sich gerne auf das Pathos einlassen, das der Verantwortliche Ryan O’Neal als Komponist, Multiinstrumentalist und Sänger dem Projekt als Stempel aufdrückt. Dieser Stempel ist zunächst einmal die Art des Gesangs: O’Neal interpretiert die Lieder mit fragiler hoher Stimme, leidend, näselnd und haarscharf an der Grenze dazu, dass man ihm nahelegen möchte: „Jetzt stell dich halt nicht so an!“ Aber eben meist nur haarscharf. Sleeping At Last schlugen in den späten 90er-Jahren erst den Weg einer typischen Indie-Band ein: Ryan O’Neal war Singer-Songwriter, sein Bruder Chad spielte Schlagzeug und Dan Perdue Bass. In den 2000ern trennten sich ihre Wege, Ryan behielt den Bandnamen für Projekte, die sich in eine andere Richtung bewegten: Konzeptalben, oft instrumental. So gibt es etwa die Reihe „Atlas“, die aus Sammlungen wie „Atlas: Oceans“ oder „Atlas: Land“ mit Songs wie „Pacific“, „Atlantic“ oder „North“, „South“, „East“, „West“ besteht. Eine andere Reihe beschäftigt sich mit Astronomie, die Titel heißen etwa „December 13, 2017: Geminid Meteor Shower“ oder „August 12, 2018: Perseid Meteor Shower“. Die Songs sind meist orchestral angelegt und eine Mischung aus pompös, poppig, aber auch zerbrechlich, kleinteilig, meditativ – irgendwie immer auch raffiniert, diese Klangflächen mit Cello, Klavier, Synthesizern, manchmal mit Gesang, manchmal ohne. Als letzte Zusammenstellung hat Sleeping at Last „Molecule 1” herausgebracht mit Titeln von „Atom 1“ bis „Atom 15“. Sie dauert nur 15 Minuten, die Songs sind klein wie Moleküle. Zugegeben, der Stil muss gefallen. Interessant ist Sleeping At Last aber dennoch.
KULT[UR]
Foto: Asteroid B-612
CD-Tipp: Pathos im besten Sinn
Sleeping At Last: Molecule 1. Label: Asteroid B-612. 16 Minuten.
Kult[ur] - CD-Tipp
MEHR AUS DIESEM RESSORT
CD-Tipp: Sie startet wieder durch
Sie hat eine harte Zeit hinter sich. Und sie hat diese Phase trotzdem ...
05.04.2024
CD-Tipp: Alte Großtaten neu gespielt
Man kann nötig werdende Regenerations-Phasen gewiss schlechter nutzen ...
28.03.2024
CD-Tipp: Die Legenden sind zurück
Die britischen Heavy Metal Legenden von Judas Priest sind zurück mit e ...
22.03.2024
CD-Tipp: Aufrichtig dahinschmelzend
„Es ist nicht mehr kalt / wenn Du in meiner Nähe bist / Es ist nicht m ...
15.03.2024
CD-Tipp: Tauchgang bei Vollmond
Zu jedem Zeitpunkt ihrer erstaunlichen Karriere war Julia Holter Licht ...
08.03.2024
CD-Tipp: Heilsam mutig
An der Verbindung von akustischem Folk und elektronischen Experimenten ...
01.03.2024
CD-Tipp: Qualität statt Quantität
Sechs Alben in drei Jahrzehnten, das ist beileibe kein gigantischer Ou ...
23.02.2024
CD-Tipp Wütender und düsterer als zuvor
Klassische Rockmusik mit deutschen Texten mag heutzutage auf den erste ...
16.02.2024