Mit seinen bitterbös-monströsen Zeichnungen, die vor Obszönitäten strotzten, hatte Manfred Deix die Untiefen der österreichischen Seele in einem künstlerischen Zerrspiegel gleichsam bloßgelegt. Dieser Tage wäre der Cartoonist 75 Jahre alt geworden.
Sein persönliches Schicksal wies viele Ähnlichkeiten mit einem anderen Großen der österreichischen Kulturlandschaft auf. Ebenso wie dem Schriftsteller Thomas Bernhard wurde ihm die „Schmuddelei an der österreichischen Seele“ vorgeworfen. Doch inzwischen hat die Alpenrepublik Frieden mit beiden Nestbeschmutzern geschlossen und sowohl den Autor als auch den begnadeten Grafiker und Cartoonisten Manfred Deix in die Reihe der Säulenheiligen der Kunst aufgenommen. Längst haben viele seiner Landsleute ihre Hassliebe gegen den von der „Süddeutschen Zeitung“ als „Fiesanthropen“ und „Henker des Zeitgeistes“ bezeichneten oder vom „Spiegel“ als „obsessiver Unterleibs-Nestroy“ titulierten Zeichner durch einen mehr oder weniger großen Grad an Bewunderung ersetzt. Spätestens jedenfalls nach seinem internationalem Durchbruch 1986.
Damals hatte ein heute legendärer Cartoon von ihm für weltweites Aufsehen gesorgt. Deix hatte den wegen seiner NS-Vergangenheit umstrittenen Präsidenschafts-Kandidaten Kurt Waldheim in lächerlicher Freizeitkleidung auf einem Pferd in SA-Uniform samt Kappe und Binde dargestellt, versehen mit der Sprechblase: „Du bist schuld, wenn I später amal Schwierigkeiten krieg, du saublödes Viech“.
Auch wenn der rechtspopulistische FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider neben kirchlichen Würdenträgern eines seiner Lieblingsopfer war, bekamen nicht nur Prominente vom Meister der satirischen Übertreibung ihr Fett weg, sondern auch die Durchschnittsösterreicher. Das brachte Deix regelmäßig Klagen oder handfeste Drohungen von beleidigten Opfern ein. Stets wurde er wahlweise als Blasphemiker, Sexist, Lustmolch, Sadist, Österreich-Feind oder Misanthrop beschimpft.
Die figürliche Bilderwelt des Manfred Deix war stets von einer schockierenden Hässlichkeit geprägt. Und bei seinen vom „Spiegel“ als „alpines Gruselkabinett“ bezeichneten Werken wurde meist den intimen Weichteilen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. „Je schiacher (hässlicher), desto besser“, lautete Deix’ Arbeitsmotto. Er versah seine fast fotorealistisch Porträtierten mit meist wonneproppigen, birnenförmigen Körpern, auf denen etwas zu klein geratene Köpfe samt häufig weit aufgerissenen, viel Zahnfleisch präsentierenden Mündern thronen. Sie hatten einen so großen Wiedererkennungseffekt, dass die „Deixfigur“ als Begriff für die „ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen“ sogar Eingang in den Duden fand.
Deix, der seine Auftraggeber bei den diversen Journalen ständig mit Verspätungen bei den Abgabeterminen nervte, hat sich übrigens zeitlebens niemals als Karikaturist verstanden, wie er in den meisten Veröffentlichungen genannt wurde. „Er war ein Cartoonist, ästhetisch bei Walt Disney, politisch bei großen deutschen Satirikern wie Hans Traxler, Robert Gernhardt und Chlodwig Poth sozialisiert“, schrieb einmal das österreichische Wochenmagazin „News“. Deix, dem das Karikaturmuseum Krems, zu dessen Mitbegründern er gehörte, als „enfant terrible der heimischen Zeichnerszene“ huldigte, wollte mit seiner Kunst ganz bewusst verletzen. „Und dazu ritt er so gut wie jedes Tabu zuschanden, das ihm in die Quere kam – mit Ausnahme des Propheten Mohammed vielleicht, vor dessen islamischen Vollstreckern er Angst hatte“, schrieb die „FAZ“. „Ich will verletzen“, sagte Deix selbst. „Dafür zeichne ich. Ich will Wirkung haben, die erzielt man nicht mit Nettigkeiten.“
„Deixfigur“ sogar als Begriff im Duden
Manfred Deix wurde am 22. Februar 1949 in St. Pölten geboren, damals der Inbegriff von Provinz, was noch weitaus mehr für das Dörfchen Böheimkirchen im niederösterreichischen Mostviertel galt, wo seine Eltern den Schankbetrieb „Zur blauen Weintraube“ übernommen hatten. Wenn er sich nicht gerade mit Boxen vergnügte, griff er meist zum Zeichenstift und entwarf zunächst vor allem Cowboy-Comics. Er entwickelte sich dabei zu einem frühreifen Talent und nutzte dies, um schon im Alter von sechs Jahren Bildchen von Frauen mit großen Brüsten an seine Klassenkameraden für 15 Groschen das Stück zu verhökern. „Von dem Geld hab ich mir Bonbons gekauft. Mit sieben Jahren war ich schon Pornohändler. Und da ich nicht gewusst hab, wie die Frauen untenrum aussehen, hab ich denen auch Zumpferl (= Penisse) dazu gemacht. Oben große Dutteln (= Brüste), unten kleine Zumpferl, ich hab ordentlich verkauft“, sagte Deix in einem „Spiegel“-Interview. Mit neun Jahren wurde ein erotisches Daumenkino mit 100 Zeichnungen einer sich entblätternden Frau der neue Renner auf dem Schulhof.
Mit elf Jahren reichte er bei einem vom Österreichischen Rundfunk (ORF) veranstalteten Zeichen-Talent-Wettbewerb Arbeiten zum Thema „Der Rattenfänger von Korneuburg“ ein. Die Qualität war so außergewöhnlich hoch, dass der Sender sie nicht als das Werk eines Jugendlichen – der sich inzwischen bei Wilhelm Busch geschult hatte – akzeptieren wollte: „Wir wollen Zeichnungen von Kindern, aber nicht von Erwachsenen und Profis.“
Die ungerechte Behandlung durch den ORF konnte Deix locker verkraften, da ihm im gleichen Jahr durch Vermittlung eines Religionslehrers sein erster Auftrag ins Haus geflattert war. Er durfte für die „Niederösterreichische Kirchenzeitung“ mit damals stolzen 200.000 Abonnenten aus einer Pfadfinder-Geschichte eine in 52 Folgen wöchentlich erscheinende Comicserie mit dem Titel „Unter der Sonne Afrikas“ machen.
Mit 14 Jahren lernte er Marietta kennen, die er 1984 in Las Vegas heiratete und mit der er bis zu seinem Lebensende zusammenblieb. Zwar blieb die Ehe kinderlos, dafür hielt das Paar eine Vielzahl von Katzen – von bis zu 80 Exemplaren ist die Rede.
Er hatte Auch ohne Abschluss Erfolg
Mit den ihm von den Eltern angeratenen Berufszielen als Wirt, Fleischhauer oder Fliesenleger konnte sich der Filius nach dem vorzeitigen Abgang vom Gymnasium in St. Pölten nicht anfreunden. Stattdessen schrieb er sich 1965 an der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt in Wien ein, wo er spätere Kultur-Größen wie Gottfried Helnwein, Josef Bramer oder Bernhard Paul kennenlernte. Allerdings wurde er bereits nach zweieinhalb Jahren wegen zu häufiger Unterrichtsabsenz geschasst. Daraufhin immatrikulierte er sich 1968 an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Dort verfeinerte er zwar sein künstlerisches Handwerkszeug weiter und vertiefte sich in die Arbeiten seiner Vorbilder der sogenannten Neuen Frankfurter Schule wie Hans Traxler, F. W. Bernstein und Robert Gernhardt oder auch des US-amerikanischen Underground-Comic-Illustrators Robert Crumb. Letztendlich warf er aber 1975 dennoch nach 14 Semestern das Handtuch und blieb ohne Abschluss.
Ein akademisches Zeugnis brauchte Deix zu diesem Zeitpunkt allerdings tatsächlich längst nicht mehr. Schon während des Studiums hatte er ab 1972 Cartoon-Aufträge von landesweit erscheinenden Magazinen wie „Profil“, „Trend“, „Neue Freie Presse“ oder „Economy“ erhalten. Einige Jahre später wurden seine Werke auch in deutschen Titeln wie „Stern“, „Spiegel“, „Die Zeit“, „Playboy“, „Pardon“ oder „Titanic“ publiziert. Von 1991 bis 1995 arbeitete Deix für die Wochenendbeilage der „Kronen Zeitung“, von 1996 bis 2015 für das Magazin „News“.
Schürte selbst sein Image als Bad Boy
Er war laut der „FAZ“ ein Künstler mit einer „beispiellosen Auftragslage“ und verdiente auch reichlich Geld mit dem Verkauf seiner meist großformatigen Bücher. Auch der Museumsbetrieb zollte ihm Hochachtung mit Einzelausstellungen in Paris, New York, Tokio oder Frankfurt am Main. Der Filmregisseur Billy Wilder bescheinigte dem Kunstschaffen von Deix 1989 eine innere Verwandtschaft zu den Satiren von Karl Kraus. U2-Frontmann Bono attestierte den Deix-Werken 1993 eine große Verwandtschaft zu seinen eigenen Liedtexten. Fehlte eigentlich nur noch ein ausdrückliches Lob der von Deix zeitlebens bewunderten Beach Boys. Deren Mitglieder hatte er 1984 in Amerika kennengelernt, hatte 1995 mit seiner eigenen Band „Good Vibrations“ den Surfsound in Wiener-Dialekt-Coverversionen umgesetzt und durfte 1999 beim Wiener Donauinselfest gemeinsam mit den Beach Boys live spielen. Auch als Bühnenbildner für Aufführungen von Peter Hajek oder André Heller war Deix gelegentlich tätig.
Sein Image als Bad Boy schürte er selbst und ständig mit seinem Motto „Ich zeichne, rauche, saufe“. Sein ungesunder Lebensstil forderte in den 1980er-Jahren Tribut. Da hatte sich Deix in einem verwunschenen Schlösschen in Weidling, einem Ortsteil von Klosterneuburg, niedergelassen.
1988 erlitt er einen Lungeninfarkt, sieben Jahre später folgte ein alkoholbedingter Zusammenbruch. 2014 musste Deix nach einem neuerlichen Lungeninfarkt für mehrere Monate ins Krankenhaus. Danach kam er trotz Umstiegs auf E-Zigaretten nicht mehr richtig auf die Beine und verstarb im Alter von 67 Jahren am 25. Juni 2016 in seinem Weidlinger Anwesen. Der ORF würdigte ihn als „Moralisten und Humanisten“, der mit all seiner Kraft „gegen Rassismus, Sexismus, Bigotterie, Korruption und Spießbürgertum“ angezeichnet habe.