Stürmische Buchten, schroffe Klippen, versteckte Strände, mächtige Dünen: In Portugals Alentejo-Region ist die Küste noch unverbaut. Immer am Meer entlang verläuft dort ein spektakulärer Wanderweg. Wer ein paar Etappen des Fischerpfads abläuft, fühlt sich weit weg vom Rest der Welt – und trifft sogar auf gefiederte Glücksbringer.
Morgenstund hat Gold im Mund – oder, wir sind ja in Portugal, etwas deutlich Leckereres. Also raus aus dem Bett, rein in die Wanderstiefel, raus aus der Pension. Dann aber führt der Weg nicht schnurstracks in Richtung Meer, sondern an die Theke eines Cafés. Dort serviert man neben extrastarkem Kaffee auch extrasüße Blätterteigtörtchen mit Puddingfüllung, die ziemlich schnell ziemlich süchtig machen. So viel Zeit muss sein, denn zu sehen gibt es erst einmal nicht viel: Dichter Nebel hüllt alles ein. Später folgt man dem Weg durch einen Hain von Kiefern und Korkeichen, bis das Rauschen der Brandung immer lauter wird. Wie von Zauberhand werden dann alle Wolken weggeschoben.
Es bietet sich ein spektakuläres Panorama: Unten liegt der türkisgrüne Atlantik, dessen gischtweiße Wellen auf einem goldgelben Sandstrand auslaufen. Darüber türmt sich eine Steilküste auf, mit mal zehn, mal 20 Stockwerke hohen Felsen. Mehr Vielfalt als hier, auf den knapp 18 Kilometern zwischen den Orten Zambujeira do Mar und Odeceixe, geht wirklich nicht. Da treffen versteinerte Dünen auf scharfkantige Klippen, hinter denen sich die vielleicht schönste Bucht der ganzen Westküste verbirgt: Praia da Amália, der Lieblingsstrand der Künstlerin Amália Rodrigues, von den Portugiesen verehrt als Königin des Fado-Gesangs. Würde ein Makler sie zum Verkauf anbieten, wären diese Aussichten sicher viele Millionen wert. Doch das hier ist ein Naturpark: Der Blick ist unbezahlbar schön und unverkäuflich, die Landschaft entlang der Südwestküste Portugals bleibt zum Wohl der Allgemeinheit und der Natur unverbaut.
Zehn bis 20 Stockwerke hohe Felsen
Mit dem Auto aber kommt man nicht an die schönsten Stellen. Dafür heißt es: Wanderschuhe schnüren und losmarschieren. Auf mehr als 100 Kilometern erstreckt sich das Schutzgebiet vom Ort Porto Covo im Alentejo bis nach Burgau an der Algarve. Über die Klippen und Strände führt hier ein Weitwanderweg, der sogenannte Fischerpfad. Besonders schön und abwechslungsreich sind die 75 Kilometer von Porto Covo nach Odeceixe, die man in vier Tagen gut bewältigen kann.
Im Sommer, der hier durch die stete Meeresbrise angenehmer zu ertragen ist als im heißeren Hinterland mit seinen vielen Korkeichenwäldern und Feldern voller Olivenbäume, gehört die Küste der Alentejo-Region den Badegästen. Im August überlassen die Einheimischen aus Lissabon ihre Stadt für ein paar Wochen gerne den ausländischen Touristen. Selbst verbringen sie ihren Urlaub weiter südlich, jenseits des Flusses Tejo. In Orten wie Vila Nova de Milfontes oder in Zambujeira do Mar brummt dann das Leben. Die meisten Restaurants stellen die Tischchen mit den Papiertischdecken auf die Straße. Es gibt zur Erfrischung eine kalte Gazpacho, dann eine Riesenportion Oktopus-Salat, und zur Krönung mal Sardinen und mal Schwertfisch – je nachdem, was die Fischer eben mitgebracht haben von ihrer Ausfahrt auf den Atlantik. Bis spät in die Nacht brummen auch die Cafés, weil man zu jeder Tageszeit Bica trinkt (wie der Espresso hier heißt) und es dazu natürlich immer etwas Süßes geben muss.
Mehr als 750 Kilometer Wanderwege
Im Winter bietet sich dagegen ein komplett anderes Bild. Viele Orte an der Küste wirken in jener Zeit wie ausgestorben. Nur die Campingwagen der Surfer stehen auf den Strandparkplätzen. Weil es im Alentejo über Monate hinweg eine Garantie gibt auf mächtige Dünungen, reisen erfahrene Wellenreiter aus halb Europa an. Der kalte Atlantik lässt sich zwar nur im extradicken Neoprenanzug ertragen, doch wer den perfekten Break sucht, für den ist das ein kleines Opfer. Wer im Winter mit dem Fernglas nicht nur zu den Surfern schaut, sondern auch die Klippen absucht, kann selbst dann einige bunte Punkte sehen, die sich die Küste entlang bewegen. Wanderer! Mit Windjacke und Regenschutz im Gepäck marschieren sogar zwischen November und Februar Naturfreunde auf dem Fischerpfad.
„Warum nicht: Im Winter hat der Alentejo ein Klima wie Schottland im Sommer, und nach Schottland reisen die Leute auch“, grinst Rudolfo Müller. Der gebürtige Schweizer lebt seit vielen Jahrzehnten in Portugal. Zunächst machte er sich als Naturführer und Vogelkundler einen Namen, dann baute er ein paar Kilometer entfernt von der Küste den Bauernhof Monte da Choça zu einem entspannten Refugium mit fünf Ferienwohnungen um. Dort kümmert er sich inzwischen neben den Gästen auch um Hunde, Katzen, Hühner, das Schaf Juju sowie um Rosi, das Hängebauchschwein. Doch komplett scheint ihn das nicht auszufüllen.
So entwickelte Rudolfo Müller trotz Bedenken und Widerständen ein Konzept für ein Wanderwegenetz im Naturpark Rota Vicentina. Bis heute übernimmt der sympathische Tausendsassa die Beschilderung. Die Arbeit geht ihm nun definitiv nicht mehr aus: Mehr als 750 Kilometer Wanderwege sind markiert, und zwar so konsequent, dass man sich beim besten Willen nicht verlaufen kann. Neben dem inzwischen erweiterten Fischerpfad „Trilho dos Pescadores“ entlang der Küste schlängelt sich im Hinterland auch der „Caminho Histórico“ von Dorf zu Dorf – hier geht es meist ruhiger zu als an der Küste. Wer sein Gepäck nicht selbst tragen will, kann es sich von Unterkunft zu Unterkunft transportieren lassen. In beiden Regionen gibt es aber auch viele Rundwanderwege für Tagesausflüge. „Am schönsten ist es im Herbst, bei angenehm milden Temperaturen“, sinniert Rudolfo Müller. „Und im Frühling: Dann erlebt man die bunte Pracht der Blüten.“
Störche gelten als Glücksbringer
Viele Arten sind Überlebenskünstler. „Es sind echte Superhelden, die sich an die Trockenheit und die salzigen Winde angepasst haben“, erklärt der Experte. Da gibt es die rosa blühenden Grasnelken und die blauen Sterne des Leinblättrigen Gauchheils. Doch die prächtigsten Pflanzen gedeihen auf der Halbinsel Cabo de Sardão: Hier wachsen Zistrosen zu großen Büschen heran und sorgen für ein Meer an weißen Blüten. Die hier vorkommende Art gibt es nur an Portugals Küste. Im Sommer tritt unter Sonneneinwirkung eine ölige Flüssigkeit aus den Blättern und Zweigen, als würde die Pflanze schwitzen. Der Duft ist dezent und lieblich: Unter dem Namen Labdanum kannten das Harz schon die alten Ägypter.
Fast ebenso lang gelten Störche als Glücksbringer. Im Landesinneren Portugals nisten sie auf Kirchtürmen und Strommasten, doch auch an der Küste fühlen sie sich wohl. Rund um den Leuchtturm am Cabo de Sardão ziehen sie auf den Klippen ihren Nachwuchs auf. Wanderer schauen ihnen von oben ins Nest und beobachten die Fütterung der Küken – ein weltweit einmaliges Schauspiel.