In Nazaré surfen Big-Wave-Enthusiasten die größten Brecher der Welt. In Baleal gibt’s auch Surfcamps für Anfänger. Kann man selbst im fortgeschrittenen Alter noch die richtige Technik zum Wellenreiten lernen? Ein Selbstversuch.
Angsthasen sind bewundernswert schlaue Tiere. Weil sie genau wissen, wann sie Reißaus nehmen müssen, um sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Ich habe in meinem Leben etliche Flüsse bezwungen und auf diese Weise bestimmt mehr als 10.000 Kilometer im Packraft, Kanu und Schlauchboot zurückgelegt. Ich habe Afrikas Höhepunkt bestiegen, den Kilimandscharo und Walfänger in Indonesien gejagt. Das alles war allerdings Pipifax gegen jene Monsterwelle, die sich jetzt vor mir auftut. Reißaus nehmen geht nicht mehr: Hier paddle ich und kann nicht anders, ein kleiner Mann mit Surfboard in der großen Weite des Atlantiks.
Natürlich ist das maßlos übertrieben und scheint doch irgendwie wahr. Hand aufs Herz: Ganz objektiv, vom Strand von Baleal aus gesehen und damit aus der unbeteiligten Perspektive des Zuschauers betrachtet, sind die Wellen eher winzig. Wir Anfänger sind zudem im Weißwasser unterwegs, also im flachen Bereich, wo die Wellen längst gebrochen haben und auslaufen. Das entspricht, um ehrlich zu sein, im Freibad eher dem Planschbecken als dem Zehn-Meter-Turm. Wenn man auf dem Surfbrett liegt und ihnen entgegenpaddelt, sehen die Wellen trotzdem plötzlich ziemlich groß aus. Die Power, mich umzuwerfen, haben sie auf jeden Fall.
Aufgeben kommt nicht infrage
„Go, go, go“, ruft mir Gonçalo Caldeira zu. Ich versuche, in die Praxis umzusetzen, was wir mit dem Surflehrer vorher bei Trockenübungen am Strand trainiert haben. Also kräftig anpaddeln. In einem Schwung den Körper aufs Surfbrett wuchten, sodass die Füße gleich in der richtigen Position sind und man nicht mehr korrigieren muss. Den Oberkörper hoch, die Knie gebeugt, den Blick nach vorne. Und Platsch! Statt das Brett zu beherrschen, lande ich im Wasser. Das geht beim ersten Versuch so, beim zweiten, beim dritten. Mit den Wellen zu spielen, war der Wunsch. Die Realität sieht anders aus: Ich bin ihr Spielball, der hin und her gekickt wird. Aber aufgeben und sich in die Sonne legen? Kommt nicht in Frage. Irgendwann muss es ja klappen!
Die Atlantikküste Portugals ist unter Big-Wave-Surfern weltberühmt. Ihr Dorado ist der Ort Nazaré in der Region Região Centro, denn dort brechen die größten Wellen der Welt. Ein mehr als fünf Kilometer tiefer und über 200 Kilometer langer Unterwasser-Canyon sorgt hier dafür, dass sich bei starkem Westwind massive Brecher auftürmen. Das ist vor allem im Winter der Fall: Dann ist das Meer an manchen Tagen nur etwas für Profis und ihr Support-Team. Den Weltrekord für die höchste gesurfte Welle hält der Nürnberger Sebastian Steudtner: Mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern bezwang er ein 26-Meter-Monster.
Im Sommer sind die Wasserwände vor der Praia do Norte mit „nur“ zehn Metern Höhe meist deutlich zahmer. Wer den Adrenalinkick sucht, statt wie alle anderen Zuschauer zu sein, kann sich mit dem Jetski mitten ins Getümmel bringen lassen. „Nazaré Canyon Extreme“ heißt die Aktivität, der Name ist Programm. Eingekleidet in einen Neoprenanzug klammert man sich an ein von einem Jetski gezogenes Board und erlebt die Naturgewalt am eigenen Leib. Wichtig ist nur, sich gut festzuhalten. Denn das Schwimmen ist inmitten der Wogen undenkbar, und um sich die Wasserwände herunterzustürzen wie die Extremsportler, fehlt natürlich das Talent.
Lernen, wie man das Board trägt
Im Gegensatz zu Nazaré sind die vielen Buchten rund um die weiter südlich gelegene Örtchen Baleal und Peniche perfekt für all jene, die nur zum Spaß auf dem Surfbrett stehen – oder es gar zum ersten Mal versuchen, so wie ich. Hier falle das Üben besonders leicht, heißt es. Auf dem Weg zur Anmeldung bei der Surfschule melden sich allerdings erste Selbstzweifel: Werde ich mich, inzwischen über 40, vor den viel Jüngeren und viel Geschickteren blamieren? „Surfen lernen kann man in jedem Alter. Mein ältester Teilnehmer war 68, als er es zum ersten Mal ausprobiert hat“, erzählt Gonçalo Caldeira, Head Coach der Silver Coast Surf School in Baleal. Ohne Anleitung aber hat man keine Chance: „Wenn es einfach wäre, hätte ich keinen Job.“ Eine 16-Jährige, viele Mittzwanziger, eine drahtige Frau in den 50ern: Unser Kurs ist zum Glück bunt gemischt. Während manch anderer Anbieter Surflehrer ohne Lizenz engagiert, bei der Versicherung spart und deutlich größere Gruppen bildet, um Kosten zu sparen, kommen bei der etablierten Silver Coast Surf School auf einen zertifizierten Surflehrer maximal sechs Schüler. Das hat den Vorteil, dass der Instructor im Wasser mehr Zeit pro Teilnehmer hat – und den Nachteil, dass man Fehler nicht verheimlichen kann. „Manche Leute stehen in der ersten Stunde auf dem Brett. Andere brauchen ein paar Tage“, meint Gonçalo Caldeira. „Sich zu stressen, bringt aber gar nichts: Das Wichtigste ist, Spaß zu haben!“ Wir lernen: Wie man sein Surfboard trägt, wie man es im Meer gegen die Wellen richtet, um nicht versehentlich von ihm erschlagen zu werden, wie man richtig paddelt, um schnell die nötige Geschwindigkeit zu erreichen, wie man in einem Rutsch auf dem Brett steht, wie man dann – das ist die größte Herausforderung – die Balance hält, statt sofort wieder ins Wasser zu plumpsen. Mein rechter Fuß, hat Gonçalo Caldeira herausgefunden, ist wohl der willensstärkere: Er soll auf dem Brett deswegen nach vorne, der linke Fuß kommt dahinter. „Goofy“ nennt er die Stellung, so wie der tollpatschige Freund von Micky Maus heißt. Passt auch zu mir: Die Videoaufzeichnung beweist, dass meine Slapstick-Einlagen zwar filmreif sind und die Leute zum Lachen bringen, ich aber noch einen weiten Weg vor mir habe.
Morgens surfen, Mittagspause, nachmittags surfen: Nach zwei Tagen spüre ich alle Muskeln und schlafe auf dem Rücken, weil die Brust schmerzt. Mein Körper braucht eine Pause! Weil auch die Surfschule am Wochenende geschlossen hat, kann ich ohne schlechtes Gewissen das Boot zum vorgelagerten Berlengas-Archipel nehmen. Hier gehe ich in einer der Felsbuchten im glasklaren, türkisgrünen Wasser schnorcheln, wandere zum Leuchtturm, erkunde im Boot die vielen Höhlen. Im Morgengrauen geht es dann auf eine Angel-Exkursion mit Fischern: Was wir fangen, landet anschließend im Kochtopf. Der Besuch des Biosphärenreservats ist zwar streng reglementiert, doch in einer winzigen Pension und im historischen Fort gibt es einige Übernachtungsmöglichkeiten. Sind die Tagesbesucher mit der letzten Fähre abgereist, hat man die windumtosten Inseln also ganz für sich allein. Sieht man mal ab von den gegen den Wind anschreienden Dreizehenmöwen, Sturmschwalben und Gelbschnabel-Sturmtauchern.
Es fühlt sich gigantisch an
Zurück in Baleal, klappt es auf dem Surfbrett weiterhin nicht wie erhofft. Habe ich mir also zu viel vorgenommen? Vor ein paar Jahren hat es mit dem Snowboarden doch auch in ein paar Tagen geklappt, wobei da die Steigung des Hangs beim Lernen eine große Hilfe ist. Gonçalo Caldeira schlüpft in die Rolle des Motivationstrainers. „Gib dir Zeit. Dein Kopf kann viel wollen, doch dein Körper muss die nötigen Bewegungen erst lernen.“ Und er hat Recht: Je gelassener man ist, desto besser die Laune. Mal wieder Atlantikwasser geschluckt? Egal! Jemand anderes surft schon in grünen Wellen, statt nur im weißen Schaum? Glückwunsch! Surfen lernen ist wirklich nie kinderleicht – schon gar nicht, wenn man es als Erwachsener ausprobiert, der von Berufs wegen viel zu viel Zeit am Schreibtisch verbringt. Irgendwann aber passt dann plötzlich alles. Ich brauche keine Starthilfe mehr von Gonçalo, sondern sorge selbst für genügend Speed. Meine Füße scheinen mit dem Surfboard zu verwachsen: Statt mich abzuwerfen wie ein bockiges Pferd, kann ich es nun kontrollieren und in Richtung Strand steuern. Und statt krampfhaft zu überlegen, was nun als Nächstes zu tun ist, kann ich den Schwebezustand einfach genießen: Es fühlt sich gigantisch gut an, scheinbar mühelos übers Wasser zu gleiten. Ich schaffe es, mit leichtem Hüftschwung und Gewichtsverlagerung eine Drehung einzuleiten – so rausche ich noch schneller voran. Die Wellen sind keine Gegner mehr. Auch wenn es noch Zeit brauchen wird, bis ich echte Brecher angehe: Im Flow-Zustand Wellen zu reiten, ist ab jetzt ein umwerfend gutes Gefühl.