Aufatmen in Köpenick: Union Berlin hat sich der Abstiegssorgen vorerst entledigt. Mit einem Fußball, der verstärkt an den früherer Erfolgstage erinnert, will der Club den Klassenerhalt sichern.

Auf dem Trainingsplatz war Nenad Bjelica die vergangenen Wochen überhaupt nicht eingeschränkt, hier durfte er schalten und walten, wie er wollte. Doch bei drei Bundesligaspielen musste er auf die Tribüne gehen, eine halbe Stunde vor und nach den Partien blieb ihm der Zugang zur eigenen Mannschaft verwehrt. Umso glücklicher ist Bjelica, dass die Sperre wegen einer Tätlichkeit gegen Nationalspieler Leroy Sané im Nachholspiel beim FC Bayern München inzwischen abgelaufen ist. „Auf der Tribüne ist es nicht angenehm, Spiele zu beobachten“, sagte er. Im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg hatte er endlich wieder seinen richtigen Arbeitsplatz besetzt: die Trainerbank. Was er von dort aus sah, war ein Union Berlin, das wieder wie Union Berlin spielte, „mit Herz, Leidenschaft und Zusammenhalt“, wie Bjelica nach dem 1:0 glücklich zusammenfasste.
Und so soll es weitergehen, am Samstag (17. Februar) steht das Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim auf dem Programm. Die Kraichgauer erleben aktuell eine Ergebnis-Krise, seit sieben Spielen ist das Team von Trainer Pellegrino Matarazzo nun schon sieglos. Entsprechend gereizt war die Stimmung nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Abstiegskandidat 1. FC Köln am vergangenen Wochenende, als Hoffenheim-Fans die Spieler mit Pfiffen und wütenden Worten bedachten. „Wir müssen zwingender sein, effektiver – und da arbeiten wir dran und probieren, es am nächsten Wochenende besser zu machen“, sagte TSG-Profi Grischa Prömel, der fünf Jahre für Union aktiv war. Doch Geschenke will er beim Wiedersehen mit den Ex-Kollegen keine verteilen. Man werde in Hoffenheim „die Energien bündeln, und dann bin ich relativ zuversichtlich, dass es gegen Union klappt“.
Und falls nicht? Mit einem Sieg wären die Berliner plötzlich bis auf drei Punkte an den Hoffenheimern dran – das war vor ein paar Wochen fast unvorstellbar. Doch während die TSG seitdem in einen gefährlichen Abwärtsstrudel geraten ist, hat sich Union aus dem Loch herausgekämpft. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Schön – da sind sich alle einig – ist der Fußball der Eisernen aktuell nicht wirklich anzusehen. Aber das ist den Protagonisten herzlich egal. Sie feiern viel lieber eine Renaissance des alten Spruchs von Ex-Trainer Urs Fischer, der von seinem Team stets gefordert hatte: „Wir müssen eklig sein.“ Und so ließ Mittelfeldstratege Rani Khedira leise Kritik am Spielstil nach dem Sieg gegen Wolfsburg auch gar nicht erst zu. „Es war zwar kein schönes Spiel, aber es muss auch nicht schön sein, es muss erfolgreich sein“, sagte Khedira. Punkt.
Der Bruder von Rio-Weltmeister Sami Khedira gab zwar zu, „dass wir aktuell das gewisse Spielglück auf unserer Seite haben“. Doch das habe man sich mit harter Arbeit auch verdient. „Wenn man in den letzten Wochen so wenige Gegentore bekommt, so stabil steht und fast nur durch Standards Gegentore bekommt, zeugt das von einer gewissen Stabilität“, sagte der Mittelfeldspieler. In der Tat ist Union defensiv inzwischen deutlich weniger anfällig, auch wenn Torwart Frederik Rönnow gegen Wolfsburg ein ums andere Mal retten musste. Und offensiv überzeugt das Team mit einer Effizienz, die an noch nicht so lange zurückliegende Erfolgszeiten erinnert. Genauso wie die wiederentdeckte Standardstärke. Das Siegtor von Innenverteidiger Danilho Doekhi per Kopf resultierte aus einer Ecke. „Der einzige Weg, dieses Spiel zu gewinnen, war über Standards, großen Kampf und großen Zusammenhalt“, gab Bjelica unumwunden zu. Wolfsburg war spielerisch besser, Union aber hielt mit Glück und begrenzten, aber effektiven Mitteln dagegen. „Wir kommen vorne dann immer wieder zu gefährlichen Situationen und dann haben wir das Quäntchen Glück wieder auf unsere Seite gezogen“, meinte Khedira. All das habe man sich hart erarbeitet und es sei „die Basis für alles weitere“.
Die neue alte Heimatstärke
Wichtig bei der Trendwende war auch die Unterstützung der Anhänger. „Natürlich helfen unsere einmaligen Fans uns enorm“, bekräftigte Abwehrchef Robin Knoche. Doch gegen Wolfsburg hätten sie – genau wie die VfL-Anhänger – beinahe für einen Spielabbruch gesorgt. Nach dem Werfen von Gegenständen wie Tennisbällen auf den Platz sah sich Clubsprecher Christian Arbeit zu einer Durchsage per Stadionmikrofon genötigt: „Wir sind so kurz davor, dieses Spiel nicht weiter austragen zu können.“ Nachdem Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck beide Mannschaften zwischenzeitlich in die Kabine geschickt hatte, konnte nach rund einer halben Stunde Unterbrechung aber weitergespielt werden. „Jeder hat seinen Standpunkt, und als Spieler möchte ich da gar nicht zu viel beimessen“, sagte Knoche diplomatisch zu der aktuell verzwickten Situation im deutschen Profifußball. Statt sich über die nervigen Pausen und die daraus womöglich resultierenden Verletzungsrisiken zu beschweren, nahm Knoche das Ganze mit Humor: „Ich brauche noch ein paar Tennisbälle, die nehme ich einfach mit.“

Auch Trainer Bjelica sah die Unterbrechung pragmatisch. „Wir haben die Pause genutzt, um taktisch etwas anders zu machen“, verriet der Kroate hinterher. Mit Erfolg: „Danach hat die Mannschaft besser funktioniert.“ Landsmann Niko Kovac durchschaute zwar den Plan, doch am Ende reisten er und die Wolfsburger als Verlierer nach Hause. „Neno hat im 5-3-2 angefangen, dann auf 5-4-1 umgestellt und mit 4-3-3 aufgebaut“, sagte Kovac: „Wir haben uns angepasst, aber leider nicht gewonnen.“ Auf die Wolfsburger hat Union nur noch zwei Punkte Rückstand, doch die Eisernen schauen weiterhin nur nach unten. Da der 1. FC Köln beim 1:1 in Hoffenheim einen möglichen Sieg in der Nachspielzeit noch aus den Händen gab, ist der Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsrang auf fünf Punkte angewachsen. Der erste direkte Abstiegsplatz ist sogar schon neun Zähler entfernt. In Berlin-Köpenick kann leicht aufgeatmet werden.
Doch mehr noch als die nackten Zahlen lässt die Art und Weise der Spiele auf eine bessere Zukunft hoffen. Union spielt wieder Union-like, und dazu zählt auch die neue alte Heimstärke. Zuletzt gelangen drei Siege in Folge im Stadion An der Alten Försterei ohne Gegentreffer – fast wie in alten Zeiten. „Wir freuen uns, dass wir in unserem eigenen Stadion wieder schwerer zu bespielen sind und in den letzten Begegnungen eine gewisse Heimstärke entwickelt haben“, meinte Knoche. Diese Serie wollen die Eisernen nach dem Gastspiel in Hoffenheim ausbauen, wenn es dann zu einem Heimspiel-Doppelpack kommt. Doch Achtung: Die Gegner – der aktuell sehr starke Aufsteiger 1. FC Heidenheim (24. Februar) und Vizemeister Borussia Dortmund (2. März) – haben es in sich. Sich also nur auf die wiedergewonnene Heimstärke zu verlassen, wird nicht ausreichen. „Wir wollen auch in der Ferne wieder eine Schippe drauflegen“, sagte Knoche, „um auch auswärts zu punkten“.
Was ebenfalls an das „alte“ Union erinnern lässt: die Flexibilität der einzelnen Spieler. In einem funktionierenden System und mit einer gewissen Stabilität überzeugen plötzlich auch wieder Profis auf für sie ungewohnten Positionen. Der Tscheche Axel Kral musste diesmal auf der rechten Außenbahn aushelfen, weil die etatmäßigen Rechtsverteidiger Josip Juranovic (verletzt) und Christopher Trimmel (gesperrt) fehlten. Und der gelernte zentrale Mittelfeldspieler machte seine Sache dort auch gut. Trainer Bjelica verfolgte es von der Trainerbank aus mit Vergnügen.