Borussia Dortmund stand in den vergangenen Jahren für Spektakel-Fußball. Die Titel holte aber der FC Bayern. Trainer Edin Terzic arbeitet nun an einem Paradigmenwechsel.
Wenn man in den vergangenen Jahren bei Borussia Dortmund ins Stadion ging, war Spektakel fast garantiert. 85 Tore schoss der BVB in der Saison 2021/22 unter Trainer Marco Rose, kassierte aber auch 52. Nur eines weniger als Absteiger Arminia Bielefeld. 137 Treffer bekamen die Fans in dieser Saison in den 34 BVB-Spielen zu sehen. Mehr als vier im Schnitt. Im Liga-Durchschnitt waren es 3,1 gewesen. Und das war kein Einzelfall. In der Saison davor waren es 3,03 in der Liga gewesen, aber 3,56 in BVB-Spielen, in der davor lautete das Verhältnis 3,68 zu 3,20.
Der Haken bei der Sache: Den Deutschen Meistertitel holte der BVB damit nie. Den gewann nun elf Mal in Folge der FC Bayern München. Als Edin Terzic im Sommer 2022 wieder Trainer wurde, wollte er das unbedingt ändern. Was im ersten Jahr zumindest in dieser Hinsicht nicht gelang. Bei einem Torverhältnis von 83:44 fielen in Spielen mit BVB-Beteiligung immer noch rund ein halbes Tor mehr als in anderen Partien. Zwar waren die Dortmunder so nahe dran wie nie seit dem letzten Titel 2012. Doch daran, dass es am Ende nicht klappte, waren neben der mäßigen Hinrunde wieder einmal die vielen Gegentore schuld. Gegen Bremen (2:3), in Köln (2:3), in Gladbach (2:4), gegen die Bayern (2:2), bei den Bayern (2:4), in Stuttgart (3:3) und auch im letzten Spiel gegen Mainz (2:2) reichten den Dortmundern mindestens zwei erzielte Treffer nicht zum Sieg.
Das geht so nicht weiter, sagte sich Terzic im Sommer. Spektakel ist gut und schön, die attraktive Spielweise sorgt auch dafür, dass die Dortmunder sich bundesweit großer Beliebtheit erfreuen und das Stadion mit 80.000 Fans immer ausverkauft und überbucht ist. Aber auf Dauer ist eben nichts attraktiver als Titel. Schließlich hatte Terzic, beim legendären 5:2 im Pokalfinale 2012 gegen die Bayern noch als Fan mit BVB-Jacke und Schal in der Kurve, zu seinem Amtsantritt die Fans versucht, auf Titel einzuschwören. „Lasst uns so hungrig sein wie noch nie, lasst uns so hart arbeiten wie noch nie. Lasst uns auch so positiv sein wie noch nie. Und am allerwichtigsten: Lasst uns so laut sein wie noch nie“, hatte er gesagt. Dann sei er „sicher, dass wir die große Chance haben, zu feiern wie noch nie“.
„So hungrig sein wie noch nie“
Weil trotz der bärenstarken Rückrunde und der bis zur vorletzten Minute des letzten Spiels greifbaren Meisterschale am Ende nur Tränen blieben, ging Terzic ans Eingemachte. Er wollte die DNA des Clubs verändern. Zweckmäßiger spielen lassen. Im Herbst fasste er das ganze öffentlich unter dem Motto „Weniger sexy, mehr Erfolg“ zusammen. Von den ersten vier Heimspielen gewann der BVB gleich drei mit 1:0. Und obwohl es auch einige torreiche Spiele gab, ist die Torquote beim BVB auf ein normales Maß geschrumpft. Nach 20 Spielen lag der BVB bei 40 erzielten Treffern. Zwölf weniger als vor zwei Jahren unter Rose, mit 26 hatte er aber auch fünf weniger kassiert. Der Schnitt lag mit 3,3 zu 3,19 nur noch minimal über dem Liga-Mittel. Der Haken nun: Einen solchen Paradigmen-Wechsel kann man einem verwöhnten Publikum wie in Dortmund eben nur mit der Aussicht auf Titel begründen. Und der Zug war angesichts des großen Rückstands auf die Bayern und auch auf Bayer Leverkusen schon im Winter abgefahren.
Das steigerte die Kritik an Terzic, der aber die beiden wichtigsten Kräfte beim BVB eisern hinter sich weiß: Club-Chef Hans-Joachim Watzke und die Fans in der Kurve. Doch auch sie wollen irgendwann eine Ausbeute sehen. So überraschte Watzke kürzlich in einem Bild-TV-Interview, als er nach seinem Basta-Bekenntnis zu Terzic aus dem August befragt wurde. „Wir gehen die nächsten Jahre den Weg mit Edin Terzic. Punkt, aus“, hatte er damals gesagt. „Ich weiß nicht, ob ich das so noch mal sagen würde“, sagte Watzke nun. Er habe sich gewundert, „dass da so eine Welle draus gemacht wurde. Da wurde meine Glaubwürdigkeit hinterfragt, das ist doch alles Unsinn. Meine Überzeugung ist, dass Edin Terzic ein hervorragender Trainer ist. Das habe ich zum Ausdruck gebracht. Nicht mehr und nicht weniger“. Es sei klar, „dass irgendwann einmal die Zukunft zu Ende ist. Ich weiß auch, dass Fußball ein Ergebnissport ist. Wenn du 15 Mal verlierst, wird es schwierig“.
Das als Abrücken Watzkes von Terzic zu interpretieren, würde ebenfalls zu weit gehen. Aber die Job-Garantie für den Trainer ist zumindest auch nicht mehr unantastbar. Grundsätzlich will Watzke es nach vielen früh gescheiterten Verbindungen nach der Ära von Über-Trainer Jürgen Klopp unbedingt mit Terzic durchziehen. Man darf aber davon ausgehen, dass spätestens im Sommer eine Bilanz gezogen werden wird.
Dass der BVB im Sommer in Nuri Sahin und Sven Bender zwei weitere Co-Trainer dazuholte, wurde von manchem als Zeichen der Entmachtung Terzics gedeutet. Vor allem Sahin, der beim türkischen Erstligisten Antalyaspor schon zwei Jahre als Chefcoach und auch Sportchef gearbeitet und diese Posten extra für das BVB-Angebot aufgegeben hat, gilt für viele als Schatten-Trainer. „Ich habe quasi mein Baby hinterlassen mit Antalyaspor, wir haben recht schöne und erfolgreiche Zeiten da gehabt“, sagte der 35-Jährige, der mit den Türken mit 59 Punkten in der Vorsaison einen Vereinsrekord aufgestellt hat: „Aber wenn Borussia Dortmund ruft, auch in einer schwierigen Phase anfragt, dann war es für mich auch mein Bauchgefühl, was gesagt hat: „Ok, du musst nach Hause, der Verein braucht dich!‘“ Zudem wurde schnell ein sechs Jahre altes Zitat Sahins ausgegraben, wonach er gesagt hatte: „Ich habe den großen Traum, eines Tages Borussia Dortmund zu trainieren. Das möchte ich unbedingt.“
„Intelligenz und Stärke“
Langfristig ist das sicher auch das Ziel des gebürtigen Lüdenscheiders. Doch er ist sicher auch loyal und clever genug, sich nicht als Königsmörder in Stellung zu bringen. Sondern sich lieber als fleißiger Zuarbeiter seine Sporen zu verdienen und so für eine spätere Beförderung in Stellung zu bringen. Watzke dementiert Berichte über eine Entmachtung Terzics jedenfalls energisch. Es sei dessen ausdrücklicher Wunsch gewesen, diese beiden Vereins-Ikonen prominent einzubinden. „Das ist ein Zeichen von Intelligenz und Stärke“, sagte der Club-Chef: „Nur Leute, die was können, holen sich Leute dazu, die was können. Leute, die unsicher sind, holen sich irgendeine Pflaume.“ Terzic erklärte: „Die Spiele werden mehr, die Kader werden größer, die Herausforderungen für einen Trainer werden immer größer. Da braucht man starke Unterstützer. Deshalb war es mein klarer Wunsch, dass ich starke Persönlichkeiten an meine Seite bekomme. Das zeigt meine Stärke.“
Aktuell ist die Arbeitsaufteilung klar. Sahin führt bei den Einheiten oft auf dem Platz das Wort und ist der Spezialist für die Offensive. Bender ist für die Defensive zuständig und auch für Standards. Eine Variante führte im zweiten Spiel des Jahres in Köln (4:0) direkt zu einem Tor. „Auch wenn sie auf der gleichen Position im gleichen Trikot gespielt haben, haben sie eine andere Herangehensweise“, sagte Terzic. Sahin war in erster Linie ein Fußball-Feingeist, Bender eher das, was man im Fußball-Jargon ein „Kampfschwein“ nennt. Doch Terzic ist und bleibt der Chef, der am Ende die Entscheidung trifft. Und dafür verantwortlich gemacht wird. Im Guten wie im Schlechten.
Um nach der Saison eine positive Bilanz zu haben, arbeitet Terzic weiter an der Überzeugungskraft für den DNA-Wechsel. Natürlich will er kein unattraktives Spiel predigen, obwohl die Spiele beim 0:0 in Heidenheim und sogar dem 3:0 bei Heidenheims Mitaufsteiger Darmstadt schwere Kost waren. Er will zweckmäßigen Fußball und damit im Endeffekt vor allem erfolgreichen. Dafür führt er gerne auch mal aus, welch brotlose Kunst der Zauberfußball sein kann. Donyell Malen habe im Trainingsspiel „ein herausragendes Fallrückzieher-Tor“ erzielt, erzählte Terzic dieser Tage: „Doch am Ende hat seine Mannschaft 1:3 verloren. Und sein Tor hat keine Gewichtung gehabt.“
Deshalb verteidigt der BVB nun so gewissenhaft, dass es Torhüter Gregor Kobel hin und wieder fast ein bisschen zu viel des Guten ist. „Manchmal nervt es mich ein bisschen, weil jeder vor meinem Gesicht rumturnt und ich nicht so viel sehe“, sagte der Schweizer lachend. Vielleicht wird er sich daran gewöhnen müssen. Genau wie die Fans an weniger Spektakel und weniger eigene Tore. Doch selbst in Dortmund werden sie das akzeptieren, wenn sie nur bald endlich mal wieder die Meisterschale auf den Borsigplatz präsentieren können.