Im Kampf gegen den Islamischen Staat sind noch immer deutsche Soldaten als Ausbilder der kurdischen Kämpfer im Nordirak stationiert. Die internationale Hilfe stärkt die Entschlossenheit der Kurden: Am 25. September soll ein Referendum über ihre Unabhängigkeit vom Irak entscheiden.
Die Hitze und das Flimmern über der weiten gelben Ebene sind kaum auszuhalten. Das Thermometer zeigt 43 Grad Celsius. Der Himmel ist blau und wolkenlos. Erst am Abend wird es mit rund 30 Grad ein wenig kühler. Dann, wenn die Sonne im Spätsommer kurz vor 19 Uhr Ortszeit hinter dem Horizont verschwindet und die internationalen Truppen sich im Camp zum Abendessen treffen. Unweit davon liegt das deutsche Lager, 150 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die die kurdische Peschmerga im Kampf gegen das selbst ernannte Kalifat, den Islamischen Staat, unterstützen. Der Frauenanteil mit rund zehn Soldatinnen ist klein, aber beachtlich: Die meisten von ihnen haben Führungspositionen inne. Wie auch Almut G. Sie ist Einheitsführerin der Militär-Trainingseinheit. Zu dieser Einheit gehören 30 deutsche und sechs slowenische Ausbilder. Von infanteristischer Ausbildung bis Erste Hilfe – die Lehrgänge sind vielseitig. Für deren reibungslosen und koordinierten Ablauf ist Almut G. verantwortlich.
100 Millionen Euro Militärhilfe
Die internationale Allianz, die im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) die Kurden ausbildet, ist breit aufgestellt: 65 Staaten beteiligen sich daran. Alleine Deutschland hatte im letzten Jahr 100 Millionen Euro für den Einsatz an Militärhilfen bereitgestellt, der Einsatz wurde bis Ende des Jahres verlängert. Ziel ist, dass die Peschmerga in Zukunft selbst eigene Strategien und Strukturen schaffen können. Es geht dabei um militärisches Know-how, Ausrüstung und humanitäre Hilfsgüter. Seit Beginn des ersten Einsatzes im Januar 2015 wurden mehr als 14.000 kurdische Soldaten und auch Soldatinnen geschult: im Umgang mit Waffen, Erster Hilfe, in der Beseitigung von Sprengfallen und, was angesichts der Bedrohung durch chemische Waffen immer brisanter wird, auch in der ABC-Abwehr.
Almut G. trainiert eine kleine Gruppe weiblicher Peschmerga. Sie zeigt ihnen, wie sie sich beim Klettern geschickt verhalten. Dadurch sollen sie nicht nur besser auf den Kampf vorbereitet werden, auch Verbundenheit und Vertrauen zueinander werden gefördert. Das soll auch zu einem stabileren Umgang mit den männlichen Kameraden, zu mehr Selbstsicherheit führen. „Die Frauen haben sich ganz bewusst für die Armee entschieden. Da ist keine dabei, die nicht weiß, warum sie es macht“, erklärt Almut G. Auffallend ist, dass sich meistens Kurdinnen aus der Mittelschicht für den Dienst an der Waffe melden. Auch Almut G. aus dem bayerischen Uffenheim hat sich bewusst für die Bundeswehr entschieden. Mittlerweile trägt sie den Dienstgrad Hauptmann. „Ich wollte schon immer die Welt sehen und etwas bewegen“, betont die 29-Jährige. „Nur am Schreibtisch sitzen wollte ich nie. Da war die Bundeswehr für mich das Richtige.“ Seit 2008 ist sie Soldatin bei den Gebirgsjägern. Wandern und Skifahren sind für sie zwei Besonderheiten, die den Dienst in der Kaserne am Königssee so attraktiv machen – denn sie wollte Beruf und Sport verbinden. Ihr Kamerad, Stabsgefreiter André C., ist Kampfmittelaufklärer. Almut G. ist seine Vorgesetzte. Gemeinsam leiten sie das Klettertraining. „So sehen die weiblichen Peschmerga-Offiziere, dass auch eine Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern gut funktioniert.“ Denn gerade beim Klettern muss man sich auf den anderen absolut verlassen können.
Der gebürtigen Mittelfränkin gefällt die Zusammenarbeit mit den kurdischen Soldatinnen. „Im Gespräch mit ihnen nehme ich viel mit, auch für mich persönlich. Älter als 30 ist keine von ihnen.“ Der Anteil an Offizierinnen unter den Peschmerga ist gering, aber es gibt sie. Gewöhnen muss sie sich noch an das langsame Tempo hier vor Ort. „Auch wenn sie später als vereinbart zum Unterricht kommen“, erklärt Almut G., „sind sie da, dann sind sie auch da. Und zwar mit vollem Einsatz“.
Zahllose Sprengfallen
Die Übungen finden außerhalb von Erbil statt, auf dem Gelände der kurdischen Gendarmerie, der sogenannten Zerevani, deren Mitglieder ebenfalls an den Trainings teilnehmen. „Das trägt auch zur Sicherheit Europas bei“, fasst Oberst Peter Eichelsdörfer, Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents, den internationalen Einsatz zusammen. Der Krieg gegen den Islamischen Staat tobte bis vor wenigen Wochen in rund 140 Kilometern Entfernung, in Tal Afar. Das Dorf nahe Mossul wurde mittlerweile befreit. Zahllose Sprengfallen machen eine Erkundungstour in der Stadt jedoch fast unmöglich. Trotzdem sind die deutschen Soldaten auch außerhalb des Camps unterwegs. „Erbil ist sicher, die Stadt konnte durch den heftigen Widerstand der Kurden nie vom IS angegriffen werden, doch viele der Dörfer außerhalb sind zerstört“, ergänzt der Oberst. Dort gibt es noch jede Menge an Sprengkörpern, die versteckt in Häusern, auf dem Dorfplatz oder auf Wegen deponiert sind. „Wir fahren auch nur in gepanzerten Fahrzeugen raus, im Konvoi, ein Arzt ist immer dabei. Damit es eine schnelle Erstversorgung im Fall eines Angriffes oder einer Explosion gibt“, ergänzt der Bad Reichenhaller. „Das Gefühl einer Bedrohung ist da, und dem müssen wir Rechnung tragen.“
Peschmerga-Oberst Bamo arbeitet bei der Einsatzplanung eng mit Eichelsdörfer zusammen. Der kurdische Oberst gehört einer religiösen Minderheit, den Kaka’i, an. Diese werden ähnlich den christlichen Jesiden verfolgt. „Meine Religionszugehörigkeit motiviert mich umso mehr, gegen den IS zu kämpfen“, sagt der 56-Jährige. Durch den Chemiewaffenangriff Saddam Husseins auf sein Volk erfuhr er bereits Verfolgungen.
Mzruri, 36 Jahre alt, stellvertretender Brigadegeneral, hat gerade an einer Fortbildung teilgenommen. Er ist Patriot, das gibt er gerne zu, zeigt stolz sein Abschlusszeugnis mit dem Bundesadler. Der Kurde lobt die Zusammenarbeit mit den Deutschen. Die letzten drei Jahre hat er gegen den IS an der Front gekämpft und Flüchtlingen geholfen. „Das Schlimmste, was ich gesehen habe, war ein totes Baby. Seine Mutter hatte es im Arm, als sie auf eine Mine trat.“ Seit 1991 kämpft er in den Reihen der Peschmerga. Deutschland sei das erste Land gewesen, das seiner Armee Unterstützung angeboten hatte.
In der Ferne wirbelt jäh Staub auf. Eine Explosion. Schreie, eine zweite Explosion. Männer in Uniform rennen los, verschanzen sich hinter Hauswänden und Ruinen. Es gibt einen Verletzten. Ein Mann liegt im Staub und windet sich vor Schmerzen. Die Männer handeln schnell und spurten auf die Straße, drehen den Verletzten auf den Rücken, packen ihn an den Schultern, schleifen ihn in sichere Entfernung, um ihn erstzuversorgen.
Von den Kameraden erhalten sie Rückendeckung, mit den Waffen im Anschlag wird der Verletztentransport gesichert. „Tak, Tak, Tak“, rufen die Peschmerga und zielen auf den imaginären Feind. Ausbilder Franz W. gibt ein Signal. Die Übung ist beendet. Der vermeintlich angeschossene Soldat steht auf, klopft sich den Staub aus der Uniform.
Alltag im Ausbildungscamp. Genau so kann der Ernstfall aussehen, an der Front, die nicht mal zwei Autostunden entfernt ist. Hauptfeldwebel Franz W. aber ist noch nicht zufrieden. Die Peschmerga sollen lernen: wie man kämpft, wie man sich schützt, wie man eine Strategie entwickelt. Zuverlässigkeit spielt dabei eine ganz große Rolle. Ein kurdischer Sprachmittler ist immer dabei, übersetzt. Franz W. erklärt, was verbessert werden kann. Ausgebildet werden hier Trainer. „Wir wollen nicht den einzelnen Soldaten ausbilden, sondern den Ausbilder, dass er das Gelernte weitergeben kann. Ziel ist, dass er eigenverantwortlich arbeitet und führen kann“, ergänzt Almut G.
Ziel der Kurden ist die Autonomie
Franz W. ist als Spezialist gegen atomare, biologische und chemische Waffen eingesetzt. Zurzeit dient er in der Kaserne in Bruchsal. Seine Aufgaben: Anlegen der Schutzkleidung und Masken, Desinfektion im Ernstfall und sichere Wasseraufbereitung bis hin zur Dekontamination von Personen und Fahrzeugen. „Solange Länder chemische Waffen besitzen, sind ABC-Kapazitäten notwendig. Es bleibt ein brisantes Thema.“ Der ausgebildete Chemielaborant ist in Kaufbeuren aufgewachsen, in der Nähe einer Kaserne. „Das hat meine Berufswahl beeinflusst“, gibt er zu. Bereut hat er sie nicht. „Ich möchte auch weiterhin an Auslandseinsätzen teilnehmen, andere Kulturen kennen lernen und interessante Eindrücke bekommen.“ Sein Ziel: die Offizierslaufbahn.
Nebenan sitzen Peschmerga-Soldaten dicht gedrängt im Schatten. „Seit wir von den Deutschen ausgebildet werden, haben wir viel weniger Verluste an der Front“, sagt Sarbast, ein 34-jähriger Kurde. Der dreifache Familienvater hat schon gegen Saddam Hussein gekämpft, später gegen den IS in Mossul, in der irakischen Armee. „Doch als Kurde habe ich viele Benachteiligungen erlebt“, erzählt der Antiterror-Spezialist. Jetzt kämpft er mit den Peschmerga für die Sicherheit seiner Heimat Kurdistan. Die Familie ist mit seinem Einsatz einverstanden. „Meine Frau sieht das als eine große Ehre, wenn ich für mein Land kämpfe“, sagt er stolz.
Das Selbstbewusstsein der Kurden ist gestiegen. Das Referendum für die Unabhängigkeit Kurdistans findet trotz heftiger Kritik aus Bagdad statt. Unter anderem die Türkei will dies verhindern, ein unabhängiger kurdischer Staat wäre ein Alptraum für Präsident Erdogan. Doch da lassen sich die Kurden nicht hineinreden. Ihr Ziel, autonom zu werden, rückt in greifbare Nähe. Sie bleiben entschlossen – wie im Kampf gegen den Islamischen Staat.