Action, Abenteuer, Teamgeist: Die Jugendwerbung der Bundeswehr entwirft ein umstrittenes Bild ihrer Arbeit, mit dem sie vor allem jüngere Menschen zu rekrutieren versucht. Gegner werfen ihr mangelnden Realismus vor.
Anfang April entbrannte erneut die Debatte um Werbeauftritte der Bundeswehr in den Schulen. Anlass der Debatte war ein Antrag des Spandauer SPD-Kreisverbands an den Berliner Landesparteitag, das Berliner Schulgesetz um einen kurzen Passus zu erweitern, der für Sprengstoff sorgt: „Es wird militärischen Organisationen untersagt, an Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im militärischen Bereich zu werben."

Kaum hatte die Berliner SPD, die gern ihre eigenen Wege geht, den Beschluss gefasst, regte sich auch schon Empörung. Vom Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), bis hin zur eigenen Bundesparteispitze forderten mehrere Sozialdemokraten die Berliner SPD auf, den Beschluss zurückzunehmen. Bislang weigern sich die Berliner Sozen unter Hinweis darauf, dass sie ja nicht die Information, sondern lediglich die Werbung für den Dienst in der Bundeswehr in Berliner Schulen ablehnten, denn um diese geht es bei „militärischen Organisationen".
Die Forderung, die Bundeswehr aus den Schulen herauszuhalten, ist nicht neu. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert dies seit Jahren und sieht kaum einen Unterschied zwischen Information und Werbung. „Diese Unterscheidung ist in der Praxis schwierig: An welchem Punkt beginnt Werbung, an welchem endet Information? Ein Jugendoffizier, der in die Schule kommt, hat einen klaren Auftrag seines Dienstherrn, er informiert eben nicht unabhängig", sagt der Pressesprecher des GEW-Hauptvorstands Ulf Rödde.
Die Bundeswehr, so der Pressesprecher weiter, sei kein Arbeitgeber wie jeder andere. Zumindest hierin sind sich GEW und die Bundeswehr einig, denn genauso argumentiert auch die Pressestelle des Verteidigungsministeriums. Die GEW fügt hinzu, dass ein Soldat im Extremfall bereit sein müsse, zu töten, getötet zu werden oder traumatisiert von einem Einsatz zurückkehren könne. Daher fordert die Gewerkschaft, bei Bundeswehrbesuchen in Schulen stets auch die „andere Seite", also zum Beispiel einen Vertreter einer pazifistischen Organisation, zu Wort kommen zu lassen. Die Schüler sollten lernen, die Argumente abzuwägen und sich eine eigene Position zu erarbeiten.
Die Jugendwerbung der Bundeswehr beschränkt sich jedoch nicht auf die Schule. Seit einigen Jahren ist die Bundeswehr auch mit niedrigschwelligen Angeboten im Netz unterwegs. Mit Slogans wie „Mach, was wirklich zählt" und „Folge Deiner Berufung" ist die Bundeswehr auf Plattformen wie Youtube präsent und versucht sich zunehmend als sinnstiftender Arbeitgeber darzustellen. Laut Bundeswehr-Journal sollen damit vor allem 17- bis 35-Jährige erreicht werden, also auch Minderjährige. Die Bundeswehr bestätigt dies: Im Jahr 2018 seien von insgesamt 20.012 eingestellten Soldaten 1.679 minderjährig gewesen, immerhin mehr als acht Prozent.
Kein Arbeitgeber wie jeder andere
Die Bundeswehr hält dies für unbedenklich und „vollständig im Einklang mit dem internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen," so die Pressestelle des Verteidigungsministeriums. Die GEW sieht das anders: Laut Pressesprecher Rödde ist es wenig glaubwürdig, wenn die Bundesregierung im Ausland auf die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention pocht, sich aber durch die Rekrutierung Minderjähriger und deren Ausbildung an der Waffe im eigenen Land selbst nicht daran hält. Auf diese Kritik wiederum antwortet das Verteidigungsministerium, dass gerade minderjährige Schulabgänger sich in einer Berufsfindungsphase befänden, und verweist auf die Möglichkeit der Weiterqualifikation bei der Bundeswehr.
Wie bereits erwähnt ist die Bundeswehr auch im Internet seit Jahren aktiv, derzeit ist sie mit einer neuen „Serie" auf der Plattform Youtube zu sehen – laut Verteidigungsministerium ist die Kampagne jedoch „nur ein sehr kleiner Teil unserer umfangreichen Aktivitäten im Bereich der Nachwuchswerbung."

Bereits 2013 kritisierte Prof. Dr. Friedemann Vogel, Linguist an der Uni Siegen, die gezielte Werbung von Jugendlichen durch actionbetonte Videos und Texte (FORUM berichtete bereits am 16. März 2013). Vogel, damals noch Juniorprofessor an der Uni Freiburg, untersuchte mit seinem Team die damalige Seite treff.bundeswehr.de und kam zu dem Schluss, dass sie gezielt Jugendlichen ein freizeit- und actionbetontes Bild von der Truppe vermittle. „Nahezu alle Begriffe, die negative Emotionen wie Angst und Leid beschreiben oder hervorrufen, fehlten. Stattdessen präsentierte die Seite Jugendlichen positive Erlebnisse. Sie vermittelte den Eindruck, der Armeedienst sei ein freizeitbetontes Zeltlager zur sportlichen und geistigen Selbstoptimierung mit Freunden", sagte Vogel. Inzwischen ist treff.bundeswehr.de abgeschaltet, die Nachfolgeseite heißt bundeswehrentdecken.de. Die Zielgruppe scheint die gleiche geblieben zu sein. Dort sind inzwischen Statements von Soldaten zu finden, die über ihre Ausbildung sowie ihre Einsätze berichten. Hat die Bundeswehr also dazugelernt? Kaum, sagt Vogel. Zwar schränkt er ein, dass er die Nachfolgeseite von treff.bundeswehr.de nicht vollständig untersucht habe, aber ein erster Blick zeige, dass sich im Wesentlichen nichts geändert habe. „Da beschreibt zum Beispiel ein Soldat seinen Werdegang als Scharfschütze. Der Soldat berichtet von den Herausforderungen bei der Ausbildung und der Teamarbeit. Aber an keiner Stelle ist die Rede davon, dass er dafür ausgebildet wurde, mit hoher Präzision Menschen zu töten."
Die Presseabteilung des Bundesverteidigungsministeriums hält dagegen: „Seit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 steht die Bundeswehr vor der Herausforderung, zur Erfüllung ihres Auftrages verstärkt junge Menschen für eine Tätigkeit in den Streitkräften zu gewinnen. Die Bundeswehr ergreift – wie jeder andere Arbeitgeber auch – hierfür personalwerbliche Maßnahmen, um potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern ein realistisches Bild von der Vielfalt der attraktiven beruflichen Möglichkeiten und Perspektiven in ihrem Aufgabenbereich zu vermitteln."
„Sicher," räumt Vogel ein, der den Realismus in der Selbstdarstellung der Bundeswehr in sozialen Medien bezweifelt, „aber hier geht es um mehr als um die Vermarktung eines Erfrischungsgetränks. Das hier ist sprachlich geschickte Köderung junger Menschen in einem Alter, in dem sie besonders anfällig sind, und zwar für Tätigkeiten, durch die sie schweren Schaden erleiden können. Aus gutem Grund ist deshalb ja auch die Tabakwerbung in den meisten europäischen Ländern verboten."
Um welche Gefahren geht es konkret? Ein Blick in die Statistik zeigt, dass bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr – laut eigenen Angaben – von 1992 bis 2018 gerade einmal 37 Soldaten durch Feindeinwirkung ums Leben kamen. Fast doppelt so viele deutsche Soldaten im Ausland haben durch sonstige Umstände ihr Leben verloren. Zum Vergleich: Jagdgegner gehen davon aus, dass in Deutschland jährlich 30 bis 40 Menschen durch Jagdunfälle ums Leben kommen. Diese Zahlen geben aber nur einen sehr geringen Ausschnitt wieder, denn die Armee ist ein gefährlicher Arbeitgeber. Nach armeeeigenen Angaben starben seit Gründung der Bundeswehr 1955 mehr als 3.200 Menschen infolge ihrer Dienstausübung. Da gehören Unfälle mit dazu. Noch problematischer ist die Selbstmordrate. Mehr als 3.500 Soldaten haben sich seit der deutschen Wiederbewaffnung 1955 selbst getötet, obwohl hier in den vergangenen Jahren eine Besserung zu verzeichnen ist.
„Brauchen ein nüchternes Bild"
Doch Vogel geht es nicht nur um das Risiko, im Einsatz getötet zu werden. „Online präsentiert sich die Bundeswehr als ein spannender Arbeitgeber zwischen Outdoor-Erlebnis und Hightech. Vielleicht empfinden das manche Soldaten auch so. Aber der andere Teil der Realität ist das Risiko schwerer Verletzungen mit dauerhaften körperlichen Behinderungen oder eine posttraumatische Belastungsstörung infolge eines Auslandseinsatzes. Darauf werden die Jugendlichen in den Onlineportalen und Gadgets nicht hingewiesen," sagt Vogel.

Zumindest in den Einstellungsgesprächen werde darüber informiert, so die Pressestelle des Verteidigungsministeriums: „Im Vorfeld einer Einstellung wird durch eine umfassende Aufklärung und Beratung bezüglich der Chancen und Risiken des Soldatenberufes und ein intensives, wissenschaftsbasiertes und eignungsdiagnostisches Assessmentverfahren sichergestellt, dass nur Kandidaten eingestellt werden, die sich eingehend mit den Anforderungen des Soldatenberufs auseinandergesetzt haben und die erforderliche physische und psychische Eignung aufweisen."
Wenn dies der Fall ist, so spielt dies in den Werbevideos keine Rolle – und zumindest war dies früher in der Einstellung auch nicht der Fall. Ein ehemaliger KFOR-Soldat berichtet: „Viele kamen vom Einsatz als andere Menschen zurück, als sie waren, als sie gefahren sind. Wir wurden zwar darauf vorbereitet, dass es hart werden würde, aber nicht darauf, dass der Einsatz bleibende Auswirkungen haben könnte." Zumindest damals, in den 90er-Jahren, gab es auch kein Nachsorgeprogramm, das den heimkehrenden Soldaten vonseiten der Bundeswehr aus Betreuung angeboten hätte. „Für den Umgang mit dem Tod von Kameraden durch fremden oder eigenen Beschuss – oder auch einfach nur durch einen Unfall – gab es vor Ort die Militärseelsorge," sagt der KFOR-Soldat, der heute einen zivilen Beruf hat.
Hier müsse allerdings auch außerhalb der Bundeswehr noch einiges passieren, nicht nur vorbeugend, sondern auch nach dem Einsatz, sagt der Erlanger Psychotherapeut Dr. Hans-Ludwig Siemen. „Das Problem ist eher die Gesellschaft in der Bundesrepublik, die von den Folgen, insbesondere der posttraumatischen Belastungsstörung, nichts hören möchte, und die Betroffenen fühlen sich von ihrer sozialen Umgebung schnell ausgegrenzt."
Vogel widerspricht nicht, möchte die Bundeswehr jedoch weiter in die Pflicht nehmen: „Jugendliche brauchen von Anfang an ein nüchterneres Bild und umfassende Informationen statt emotional irreführender Sprache, die zu einer Banalisierung des Militärischen führt."