Bei Julia Bierenfeld wurde schon vor vielen Jahren Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Heute ist sie Expertin für antientzündliche Ernährung – und hat so ihre Erkrankung im Griff. Ihr Wissen gibt sie regelmäßig in Vorträgen und Workshops an andere Betroffene weiter.
Frau Bierenfeld, Multiple Sklerose ist eine chronische entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark umfasst und meist im frühen Erwachsenenalter beginnt. Kann man mit der Ernährung den Krankheitsverlauf beeinflussen?
Wir wissen bereits von anderen entzündlichen Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, dass es möglich ist, mit der Ernährung einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung zu nehmen. Mehrere Studien befassen sich ebenfalls mit den positiven Effekten der Ernährung auf den Verlauf der MS. Bei Multipler Sklerose spielen Entzündungsprozesse in der Krankheitsaktivität eine wesentliche Rolle, wobei sich bestimmte Lebensmittel ungünstig auf diese auswirken und sogar die Entstehung dieser Prozesse begünstigen können. Faktoren wie Übergewicht, Schlafmangel, Stress und Umweltgifte beeinflussen ebenfalls den Verlauf der Erkrankung. Untersuchungen haben sich auch mit dem Zusammenhang zwischen einem Ungleichgewicht im Darm und der Entwicklung von MS beschäftigt. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter erheblichen Verdauungsbeschwerden. Eine entzündungshemmende Ernährung, die einen hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln enthält, eignet sich besonders gut für eine gesunde Verdauung. Die Auswahl der richtigen Fette trägt ebenfalls zu einem gesunden Darm bei. Angesichts der Komplexität des Themas habe ich einen Ratgeber mit dem Titel „Die richtige Ernährung bei Multipler Sklerose“ geschrieben, der die wesentlichen Bausteine einfach und verständlich zusammenfasst und zudem leckere Rezepte zum Nachkochen enthält.
Wie unterscheidet sich eine gesunde ausgewogene Ernährung von der richtigen Ernährung bei MS?
Im Grunde sind beide Ernährungsformen recht ähnlich. Sie unterscheiden sich nur in wenigen Punkten. In der antientzündlichen Ernährung legen wir den Fokus auf eine pflanzenbasierte Ernährung und damit die Reduktion von tierischen Lebensmitteln. Auch sollten Junk Food und stark verarbeitete Produkte sowie raffinierter Zucker stark reduziert werden. Die Zufuhr der richtigen Fette ist außerdem sehr wichtig. Mehr Omega-3 aus Leinöl, Walnüssen oder Olivenöl, dafür weniger Omega-6 aus Soja, tierischen Fetten und wenig oder besser überhaupt kein Sonnenblumenöl.
Eine antientzündliche Ernährung ist durch den hohen Anteil an Gemüse reich an Ballaststoffen für eine gesunde Verdauung und liefert zudem wertvolle antioxidative Nährstoffe.
Sie haben selbst MS. Wie sind Sie darauf gekommen, dass sich die Ernährung auf Ihren Zustand auswirkt?
Als ich 2014 meine Diagnose bekommen habe, stand die Ernährung noch nicht wirklich im Fokus als begleitende Maßnahme zu einer medikamentösen Therapie. Ich hatte damals allerdings ein paar Kilo zu viel auf den Rippen und wusste, dass Übergewicht sich negativ auf den Verlauf der Erkrankung auswirken kann. Nachdem mein Neurologe mir den Tipp gegeben hatte: „Machen Sie weiter wie bisher“, war mir klar, dass dies nicht mein Weg ist. Ich wollte in erster Linie erst einmal Gewicht verlieren und das schaffte ich auch. Da ich aber nicht wusste, wie die richtige Ernährung bei MS aussehen konnte, habe ich eine Weiterbildung zur Ernährungsberaterin gemacht und viele weitere Seminare besucht. So konnte ich tiefere Einblicke gewinnen und fing an einige Dinge auszuprobieren.
Was haben Sie an Ihrer Ernährung verändert?
Zu Beginn war es wirklich ein Ausprobieren. Es gab immer ein kleines Rädchen, an dem ich gedreht habe. Eine Ernährungsumstellung ist keine einmalige Sache, sondern ein fortlaufender Prozess. Auch heute probiere ich immer noch neue Dinge aus und schaue, wie es sich auf mein Wohlbefinden auswirkt.
Gestartet bin ich damit, dass ich mehr Gemüse und Rohkost in meine Ernährung integriert und dafür weniger Brot, Brötchen und andere Backwaren gegessen habe. Mittlerweile backe ich mein Sauerteigbrot selbst, das bekommt mir sehr gut.
Außerdem habe ich meine Öle in der Küche getauscht. Sonnenblumenöl raus, dafür Leinöl, Olivenöl und Rapsöl integriert. Ebenso habe ich fette Milchprodukte gegen fettarme (nicht zu verwechseln mit Light) getauscht. Außerdem achte ich hier sehr auf die (Bio) Qualität. Ich esse nur noch selten Fleisch – vielleicht zweimal im Monat. Dafür esse ich viel Fisch, Gemüse und Hülsenfrüchte.
Ich versuche sehr pflanzenbetont zu essen mit wenig tierischen und stark verarbeiteten Lebensmitteln. Mache meine süßen Snacks selbst, aber ich verbiete mir auch nichts. Ich lebe eher nach einem 80:20 Prinzip, was so viel heißt, dass 80 Prozent antientzündlich sind und 20 Prozent Ausnahme sein dürfen.
Was und in welcher Zeit hat sich an Ihrem Zustand verbessert?
Das ist schwer zu sagen, da ich in den letzten Jahren natürlich nicht nur meine Ernährung verändert habe, sondern auch meinen kompletten Lebensstil. Ich denke, dass der ganzheitliche Ansatz im Wesentlichen dazu beigetragen hat, dass es mir heute so gut geht und ich seit sieben Jahren schubfrei bin.
Das, was sich auf jeden Fall recht schnell gebessert hatte, war meine Verdauung. Ich litt jahrelang an Beschwerden und habe diese nicht in den Griff bekommen, bis ich mit der antientzündlichen Ernährung gestartet bin. So hat sich natürlich auch mein Wohlbefinden schnell gebessert. Es macht einen großen Unterschied, ob man unter Verdauungsbeschwerden leidet oder nicht.
Welche Lebensmittel wirken sich besonders positiv auf die Erkrankung aus?
Ich würde grob sagen pflanzliche Lebensmittel, die viele antioxidative Nährstoffe enthalten. Also vor allem sekundäre Pflanzenstoffe – sie sind Farb-, Duft- und Aromageber der Pflanzen und werden im Reifeprozess gebildet. Daher ist es wichtig, dass Obst und Gemüse reif geerntet werden. Ein Großteil der pflanzlichen Lebensmittel in der Ernährung sollte also aus regionalem und saisonalem Anbau stammen, so können die Pflanzen diese wertvollen Stoffe bilden.
Außerdem die richtigen Fette, nämlich jene mit reichlich Omega-3 Fettsäuren. Diese finden wir in Leinöl, Walnüssen, Hanfsamen, Olivenöl. Die wertvollsten und antientzündlich wirkenden EPA und DHA erhalten wir aus fettem Seefisch oder Algen.
Auch sind Kräuter und Gewürze nicht zu unterschätzen, da sie viele dieser Stoffe enthalten. Ihre antioxidativen Nährstoffe, Gerbstoffe und ätherischen Öle haben sehr viele gesundheitliche Vorteile.
Welche Lebensmittel beeinflussen den Krankheitsverlauf negativ?
Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass wir tierische Fette, Omega-6 und Zucker hier in jedem Fall nennen sollten. Wobei wir auch immer bedenken sollten, dass die Menge das Gift macht und auch die Qualität einen Unterschied machen kann.
Aber gerade Sonnenblumenöl, welches einen hohen Anteil an Omega-6 hat, finden wir in vielen industriell hergestellten Nahrungsmitteln. Omega-6 wirkt sich eher ungünstig auf das Entzündungsgeschehen aus. Auch Arachidonsäure, welche wir in Fleisch, Wurst, Eiern und fetten Milchprodukten reichlich finden, kann sich negativ auf Entzündungen auswirken.
Auch das Immunsystem spielt bei MS eine große Rolle. Was können MS-Patienten mit täglichen Mahlzeiten dafür tun?
Da 80 Prozent unseres Immunsystems im Darm sitzen, ist eine bunte und abwechslungsreiche Ernährung wichtig. Gerade pflanzliche Lebensmittel haben eine große Nährstoffdichte und liefern nicht nur Ballaststoffe für einen gesunden Darm, sondern auch jede Menge antioxidative Nährstoffe, die entzündungshemmend wirken.
Je abwechslungsreicher und vielfältiger wir essen, desto besser werden die verschiedenen Darmbakterien genährt und der Darm gesund gehalten. Zucker, Weißmehl, Zusatzstoffe und auch Süßstoffe wirken sich eher negativ auf die Darmbesiedelung aus und damit auch auf die normale Funktion des Immunsystems.
Ist unsere Darmfunktion gestört, können weniger Nährstoffe aufgenommen werden, was sich wiederum auch negativ auf unser Immunsystem und den gesamten Organismus auswirken kann.
Wie schafft man es, die richtige Ernährung bei MS langfristig beizubehalten und nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen?
Ich denke es ist wichtig, nicht zu streng mit sich selbst zu sein. Die 80:20 Regel ist eine gute Leitlinie, um nicht ständig in alte Muster zu verfallen. Auch ist es sinnvoll einige Gewohnheiten hinsichtlich der Ernährung zu etablieren. Dies kann zum Beispiel ein Glas lauwarmes Wasser nach dem Aufstehen sein oder bereits am Abend sein Frühstück vorzubereiten. Zudem fällt es leichter, neue Gewohnheiten an bereits bestehende anzuknüpfen.
Besonders wertvoll war für mich das Thema „Meal Prep“ – also das Vorbereiten von Mahlzeiten. So konnte ich einiges an Zeit und Aufwand sparen und ich kam nicht in Versuchung auf den Lieferservice zurückzugreifen oder mir ein belegtes Brötchen beim Bäcker zu holen.
Eine gute Vorbereitung in der Küche erleichtert einiges, vor allem an Tagen, an denen nicht so viel Energie fürs Kochen übrig bleibt. Wenn ich meine Mahlzeiten bereits vorbereitet habe, kann ich mir einfach etwas aus dem Kühlschrank nehmen und nur noch kurz aufwärmen. So habe ich schnell eine antientzündliche Mahlzeit auf dem Tisch, ohne lange in der Küche stehen zu müssen. Es macht in jedem Fall Sinn, sich hier einmal zu überlegen, wie Meal Prep in der eigenen Ernährung gut umgesetzt werden kann.
Wie gelingt die Ernährungsumstellung am besten?
Es ist wichtig, nicht zu schnell zu viel zu ändern. Sonst kann sich recht schnell Frust einstellen, gerade wenn man sich am Anfang zu viel zumutet. Es ist wichtig, sich zu überlegen, was man verändern möchte und dies einmal genau aufzuschreiben. Dann Schritt für Schritt mit der Veränderung beginnen und mit der starten, die sich am leichtesten anfühlt. Mit der 80:20-Regel läuft man zudem nicht Gefahr, dass man das Gefühl hat, auf zu vieles verzichten zu müssen. Auch zur Ernährungsumstellung und Meal Prep sind viele Tipps in meinem Ratgeber „Die richtige Ernährung bei Multipler Sklerose“ zu finden.