Peter Scholl-Latour wurde vor allem als Experte für den Nahen Osten und den Islam angesehen. Dabei gab es kaum eine Krisenregion, zu der er seine Meinung nicht mitgeteilt hätte. Dieser Tage wäre Scholl-Latour 100 Jahre alt geworden.
Die großen Forschungsreisenden hatten ihn nach eigenem Bekunden schon ganz früh gefesselt. So etwas Ähnliches schwebte ihm daher ebenfalls als Berufswunsch vor. Doch was in vielen Fällen kaum über das Stadium einer jugendlichen Fantasie hinausgekommen wäre, wurde im Falle von Peter Scholl-Latour Wirklichkeit. Der Journalismus wurde für ihn dabei das adäquate Mittel zum Zweck, wie er schon bei seinen ersten heiklen Missionen als Reisekorrespondent ab Ende der 1950er-Jahre feststellte. „Ich habe dadurch das Leben führen können, was ich mir im Grunde als kleiner Junge erträumt hatte“, sagte Scholl-Latour einmal im Rückblick.
Er wurde auf diesem Weg zu einem der bekanntesten Journalisten Deutschlands und vom „Spiegel“ daher zum „letzten Welterklärer“ geadelt, was sich in vielen Publikationen über den am 9. März 1924 in Bochum Geborenen schnell zu einem geflügelten Wort entwickeln sollte. Scholl-Latour war bis ins hohe Alter von einer unbändigen Reiselust geradezu besessen und daher für dauerhafte administrative Führungsjobs bei TV- oder Print-Medien überhaupt nicht geschaffen.
Hoch angesehen und umstritten
Zeit seines Lebens blieb und stilisierte er sich als Reporter an der vordersten Front. In der breiten Öffentlichkeit genoss er beispielsweise durch seine achttägige Gefangenschaft 1973 bei der Vietcong-Guerilla oder wegen seiner furchtlosen Begleitung der Mudschahedin beim Krieg in Afghanistan reichlich Bewunderung. Spätestens, als er sich Ende der 1980er-Jahre dazu entschloss, nur noch als freischaffender Publizist und Autor tätig zu sein, wurde er trotz seines zum persönlichen Markenzeichen aufgestiegenen Nuschelns zu einem Dauergast in sämtlichen Talkshows. Und er wurde zu einem beliebten und oft zitierten Ansprechpartner für alle Themen rund um den Islam und den Nahen Osten, wodurch Scholl-Latour das Bild vieler Bundesbürger von der arabischen Welt, aber auch von Asien und Afrika, wo er sich ebenfalls bestens auskannte, lange Zeit prägte.
Er schrieb mehr als 30 Sachbücher, von denen die meisten zu Bestsellern wurden. Die Gesamtauflage lag bei rund zehn Millionen Exemplaren. Alleine mit seinem 1980 unter dem Titel „Der Tod im Reisfeld“ veröffentlichten Werk über den Indochina-Krieg stellte er mit 1,3 Millionen verkauften Exemplaren einen Sachbuch-Nachkriegsrekord auf. Allerdings waren seine Veröffentlichungen im akademischen Umfeld meist ziemlich umstritten. Nicht selten wurde ihm eine Vereinfachung der Fakten in seiner populär-verständlichen Darstellung der großen Krisenherde der Welt vorgeworfen. Vor allem seine Vermischung von historischen Entwicklungslinien mit journalistischen Schilderungen sowie persönlichen Eindrücken, Reflexionen und Anekdoten wurde aus dieser Ecke scharf kritisiert. Die „FAZ“ sprach diesbezüglich von einem „Scholl-Bashing“. Womöglich wurde dies ein Stück weit auch vom Neid auf den finanziellen Erfolg Scholl-Latours geschürt. So besaß er eine Riesendachwohnung in Berlin, eine Bleibe im rheinischen Rhönsdorf, ein Domizil auf der noblen Pariser Ile Saint-Louis und eine Villa im Hinterland von Nizza.
In einer 1993 erschienenen Schmähschrift mit dem Titel „Das Schwert des ‚Experten‘“ wurde ihm sogar der Vorwurf eines verzerrten Araber- und Islambildes gemacht, einer Art von Anti-Islamismus, aus dem sich Angst, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schüren ließen. Immerhin hatte Scholl-Latour völlig zu Recht schon 1983 in seinem Buch „Allah ist mit den Standhaften“ auf die streng-fundamentalistischen Seiten des Islams aufmerksam gemacht. „Scholl-Latour galt den einen als Doyen des deutschen Auslandsjournalismus und profunder Kenner der islamischen Welt und Asiens, während andere über ihn spotteten oder schimpften“, so beschrieb es die „Süddeutsche Zeitung“. „In Deutschland, dem Land der Besserwisser und der Professoren, gilt es eben noch immer als anrüchig, wenn einer in seinen Dokumentarfilmen oder Büchern und in Talk-Shows komplizierte Dinge im Interesse der Verständlichkeit stark herunterbricht und, ja, manchmal auch ein bisschen stark vereinfacht.“
Fälschlicherweise wurde häufig behauptet, dass Peter Roman Scholl der Sohn „eines aus dem Saarland stammenden Arztes“ gewesen sei, so beispielsweise seitens der „FAZ“. Tatsächlich waren beide Elternteile im Elsass geboren, allerdings gab es laut Scholl-Latour väterlicherseits Wurzeln, die ins Saargebiet zurückreichten, nämlich nach Bildstock und Wadern. Sein Vater Otto Konrad Scholl war jedenfalls nach Ende des Ersten Weltkriegs zunächst in der Poliklinik Berlin, danach in einer Klinik in München und schließlich als Facharzt für Hautkrankheiten im Krankenhaus Bergmannsheil in Bochum tätig. In der Ruhr-Stadt kam der Sohn zur Welt, der sich später unter ungeklärten Umständen den Doppelnamen Scholl-Latour zulegte.
Volontariat bei SZ in Saarbrücken
Wegen seiner jüdischen Mutter wurde der katholisch getaufte Peter Roman Scholl, der zweisprachig deutsch-französisch aufwuchs und die doppelte Staatsbürgerschaft besaß, 1936 mit Blick auf die sich aus den Nürnberger Rassegesetzen ergebenden Restriktionen zur Schulausbildung in die Schweiz ins Jesuitenkolleg St. Michel in Fribourg geschickt. Als das NS-Regime Geldüberweisungen in die Schweiz verbot, musste Scholl 1940 ins Reich zurückkehren und legte 1943 das Abitur in Kassel ab. Ein Jahr später versuchte er vergeblich, sich zu den alliierten Truppen in Frankreich durchzuschlagen. Danach wollte er sich Titos Partisanenarmee im späteren Jugoslawien anschließen, wurde jedoch in Graz verhaftet und kam in Gestapo-Gewahrsam.
Nach dem Zweiten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zur Ausbildung bei einer französischen Elite-Fallschirmjägereinheit und war danach bis 1947 als Soldat in Indochina im Einsatz. 1948 machte Scholl-Latour ein Volontariat bei der „Saarbrücker Zeitung“ und nahm – der Familientradition folgend – zunächst ein Studium der Medizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Pariser Sorbonne auf. Schon wenig später folgte ein Fächerwechsel hin zu Sprach- und Politikwissenschaften. 1950 erwarb er die „Licence des lettres“ an der Sorbonne und ein Jahr später das „Diplôme des Sciences Politiques“ am renommierten Pariser Institut d’études politiques. 1954 promovierte er an der Sorbonne mit einer Dissertation über den deutschen Schriftsteller Rudolf G. Binding.
1954/1955 folgte ein kurzes Zwischenspiel als Regierungssprecher des umstrittenen saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Danach absolvierte er zwischen 1956 und 1958 ein Diplom-Studium der Arabistik und Islamkunde an der Université Saint-Joseph in Beirut. Während all dieser Studienjahre blieb Scholl-Latour der „Saarbrücker Zeitung“ als Reisejournalist verbunden, wobei seine Beiträge zur Publikation auch an Blätter außerhalb des Saarlandes weitergeleitet wurden. Eine Mitarbeit Scholl-Latours beim Saarländischen Rundfunk (SR) kann spätestens für das Jahr 1957 nachgewiesen werden. Drei Jahre später verdankte er dem SR seine Ernennung zum ersten Afrika-Korrespondenten aller ARD-Sender, wobei die sich am Kongo gegenüberliegenden Städte Léopoldville (heute Kinshasa) und Brazzaville zu seinen beiden Dienstsitzen bestimmt wurden.
1963 wechselte Scholl-Latour vom Hörfunk zum Fernsehen und gründete das vom WDR verantwortete ARD-Studio in Paris, das er bis 1969 leitete. Von 1969 bis 1971 bekleidete er die Funktion des WDR-Fernsehdirektors. Danach wechselte er zum ZDF, wurde dessen Chefkorrespondent und leitete zusätzlich von 1975 bis 1983 das Pariser ZDF-Studio. Natürlich war er ständig als Sonderberichterstatter an den Brennpunkten der Weltpolitik unterwegs. So begleitete er Anfang 1979 beispielsweise Ayatollah Chomeini im Flugzeug bei dessen triumphaler Rückkehr aus dem französischen Exil in den Iran – was letztlich seiner viel bewunderten Fähigkeit zu verdanken war, sich das Vertrauen so ziemlich aller wichtigen Machthaber im Nahen Osten zu sichern.
Streitlustig bis zuletzt
Nach dem Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher wurde Scholl-Latour 1983/1984 für ein Jahr lang Chefredakteur des „Stern“ und blieb bis 1987 Vorstandsmitglied des zum Bertelsmann-Konzern gehörenden „Stern“-Verlags Gruner + Jahr. 1985 ging er – nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, der Journalistin Gertrud Knies, die ihm einen in Saarbrücken-Fechingen geborenen Sohn geschenkt hatte – eine zweite Heirat mit Eva Schwinges ein. Ab Ende der 1980er-Jahre machte er sich frei von allen Branchen-Bandagen. „Kein Sender wollte auf den deutschen Fernseh-Kriegsgott und Monsieur Nahost verzichten“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. „Scholl-Latour war überall dabei, bei den Konflikten in Afghanistan, Tschetschenien und dem Irak, beim Arabischen Frühling. Er reiste sogar nach Syrien, in den Palast des Diktators Baschar al-Assad.“ Und blieb bis zu seinem Tod in Rhöndorf im Alter von 90 Jahren am 16. August 2014 ein streitlustiger und polarisierender politischer Beobachter, der mit seinen Prognosen meist ins Schwarze traf. „Er war ein Republikaner mit konservativen Zügen, ein Freigeist, der wider den Stachel lockte“, charakterisierte ihn der „Tagesspiegel“. Der „Stern“ würdigte Scholl-Latour als „letzten großen Weltreporter“ und als „Aristokraten des Journalismus“.