Wenn der Deo-Kauf zur Sinnkrise wird
Heute Morgen hätte ich beinah 3,59 Euro dafür gezahlt, dass ich nach dunkler Schokolade dufte, genauer gesagt: nach „dark chocolate“, denn der moderne Mann duftet nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch.
Aber der Reihe nach: Ich bin beruflich unterwegs und habe vergessen, mein Deo einzupacken. Ohne das berufliche Treffen genauer beschreiben zu müssen, kann ich versichern, dass es sich nicht förderlich auswirken würde, dabei einen ausgeprägten Schweißgeruch zu verströmen. Ich also rasch in einen Drogeriemarkt, finde aber das Deo nicht, dass ich normalerweise benutze. In einer Anwandlung von Selbstüberschätzung greife ich zu einem Produkt namens „Dark Temptation“. Die „Dunkle Versuchung“ ist kostengünstig und klingt, als mache sie geruchsmäßig etwas her, jedenfalls verspricht der Untertitel einen „Dark chocolate“-Duft.
Offensichtlich wirkt mein Griff nach dem Zartbitterschokoladen-Deo alles andere als selbstsicher, denn eine vorbeilaufende Drogeriemarkt-Verkäuferin fragt: „Kann ich helfen? Finden Sie Ihren Duft nicht? Dieses Deo“, sie deutet in die Richtung meiner zögernden Hand, „riecht nach dunkler Schokolade.“ Ich interpretiere die Frage als Warnung: Sind Sie sich sicher, dass DAS wirklich Ihr Duft ist? Natürlich bin ich mir nicht sicher! Als ob ich wüsste, wonach ich riechen will, oder soll! Welchen Duft verströmt denn der angesagte Mann heutzutage?
Nach der „Dunklen Versuchung“ habe ich – ehrlich gesagt – auch deshalb gegriffen, weil rechts und links davon die Düfte „Skateboard & Fresh Roses“ und „Caramel Billionaire & Wild Mojito“ angeboten werden sowie „Alaska“, bei dessen Anwendung man angeblich den Geruch von Bergamotte und Ozean verströmt. Welchen Ozeans genau bleibt dabei unklar. Wer bitte will denn nach einem Rollbrett oder einem Cocktail auf Rum-Basis riechen?
Da sehe beziehungsweise rieche ich mich doch eher von einer Aura Zartbitterschokolade umweht. Aber was weiß ich schon darüber, wie man heutzutage maskulin riecht. Den typischen Männergeruch hielt ich lange Zeit für gleichbedeutend mit einfach drei Tage hintereinander nicht duschen, habe mir aber sagen lassen, dass das inzwischen so nicht mehr stimmt.
Aktuell angesagte Herrendüfte seien jetzt solche, die in Richtung „elegant, frisch, würzig“, aber auch „energetisch“ oder „sinnlich“ tendieren. Elegant und energetisch sind nicht so mein Ding, und bei würzig stelle ich mir vor, nach gut durchgegartem Rollbraten zu riechen oder wie ein langgereifter Käse aus dem Elsass. Und sinnlich? Ich will mal nicht übermütig werden!
„Frisch“ klingt doch gut. Das würde bedeuten, ich bräuchte ein Deo, das eine Duftmarke in Richtung Minze, Nelke und Gardenie setzt. Das wiederum erinnert mich jedoch zu sehr an eine Teemischung, und wer will schon, dass man sich, noch bevor ich im Büroflur um die Ecke biege, zuraunt: „Riecht ihr’s, da naht der Teebeutel.“
Ich ertappe mich dabei, wie ich insgeheim hoffe, die Kolleginnen und Kollegen, die ich heute treffe, gehörten allesamt zu den zahlreichen bedauernswerten Opfern, bei denen Corona am Geruchssinn genagt hat. Dann wäre es egal, ob ich nach Schokolade, Karamell-Milliardär oder Rosen-Rollbrett rieche.
Am erfolgreichsten sind ja angeblich Männer, die dezent nach Moschus duften – erfolgreich sowohl in beruflichen als auch erotischen Angelegenheiten. Aber wird Moschus nicht aus einer haarigen Drüse gefriemelt, die sich an einer unappetitlichen Stelle der Unterseite einer Reh- oder Ziegenbockart befindet? Das ist mir entschieden zu animalisch. Will ich olfaktorisch Revierkampf- oder Gattungsbereitschaft signalisieren? Nein, jedenfalls nicht bei dem anstehenden beruflichen Treffen. Und auch sonst eher nicht.
Vielleicht bin ich einfach noch nicht dazu bereit, modern männlich zu riechen, und sollte diesen Trend ungenutzt vorbeiziehen lassen.
Als die Drogeriemarkt-Verkäuferin zwischen den Regalen verschwindet und mir bei meiner Verkaufsentscheidung nicht mehr über die Schulter schaut, greife ich nach einem klassischen Deo-Roller und hoffe, dass der damit erzielte neutrale Körpergeruch als seriös-altmodisch interpretiert werden wird.