Unzählige Lebensmittel landen im Müll. Und das nicht nur, weil zu viel produziert wird, sondern weil häufig die Kennzeichnung „mindestens haltbar" mit „abgelaufen" gleichgesetzt wird. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Lebensmittelreste zu verwerten.
er sich, seinem Geldbeutel und der Umwelt etwas Gutes tun will, sollte vor allem nur so viel einkaufen, wie er oder sie wirklich braucht. Jede Sekunde landen in Deutschland 313 Kilo genießbare Lebensmittel im Müll. Das entspricht dem Gewicht eines halben Kleinwagens. Pro Jahr und Einwohner sind das 81,6 Kilo im Wert von rund 234 Euro. Die Menge summiert sich in Deutschland auf zwölf (Angabe der Verbraucherzentralen) bis 18 Millionen (Schätzung des World Wide Fund for Nature, WWF) Tonnen Lebensmittel im Wert von 20 Milliarden Euro. Um diese Menge zu transportieren, bräuchte man nach einer Berechnung der Verbraucherzentralen 480.000 Sattelschlepper. In eine Reihe gestellt, ergäbe das die Strecke von Lissabon nach St. Petersburg.
2016 hat die Naturschutz-Organisation WWF den 2. Mai zum Tag gegen Lebensmittelverschwendung erklärt. Auf das Datum kam die Organisation, weil statistisch alle Lebensmittel im Müll landen, die im jeweiligen Jahr bis zu diesem Tag hergestellt wurden – also etwa ein Drittel der gesamten Produktion.
Verbraucher werfen am meisten weg
Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wären zwei Drittel dieser Lebensmittelabfälle „vermeidbar". Gründe für diesen Irrsinn gibt es viele: Bauern sortieren einen Teil ihrer Ernte aus, weil der Handel mit seinen Normen keine zu krummen Möhren, zu kleinen Kartoffeln und alles Mögliche andere nicht abnimmt. Händler und Großhändler vernichten abgelaufene Ware, Verarbeiter ebenso.
Hinzu kommt, dass die großen Handelsketten die Bäuerinnen und Bauern verpflichten, festgelegte Mindestmengen zu liefern. Die Erntemengen hängen jedoch vom Wetter und anderen nicht planbaren Faktoren ab. Folglich produzieren die Landwirte sicherheitshalber mehr, als sie vorab in den Verträgen verkauft haben. Was dann übrig bleibt, landet oft im Müll.
Doch den meisten Lebensmittelmüll produzieren nach Angaben des Ministeriums die Verbraucherinnen und Verbraucher: 52 Prozent der Gesamtmenge. Bei Kantinen, Restaurants und Lieferdiensten (Außer-Haus-Verpflegung) sind es 14 Prozent, im Handel vier Prozent, in der Verarbeitung rund 18 Prozent, in der Landwirtschaft je nach Schätzung rund zwölf Prozent. Das meiste Essen werfen Privathaushalte und der Handel weg, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Das BMEL und die Verbraucherzentralen raten, das abgelaufene Essen trotzdem zu probieren. Riecht und schmeckt es gut, kann man es verzehren. Ausnahme: Fleisch und Fisch!
Ein Drittel der weggeworfenen Lebensmittel sind Obst und Gemüse, 16 Prozent Selbstgekochtes, 14 Prozent Backwaren, elf Prozent Getränke und neun Prozent Milchprodukte. Dabei kann man von einem Apfel oder einer Tomate die schlechte Stelle großzügig abschneiden und den Rest noch gut verwerten. Brot hält sich länger ungeschnitten in einem Brottopf aus Ton und lässt sich, wenn es trocken geworden ist, zu Paniermehl verarbeiten. Vollkornbrot ist gesünder als Grau- oder Weißbrot und bleibt deutlich länger frisch. Vieles kann man auch einfrieren, bevor es schlecht wird.
Entscheidend ist jedoch, nicht zu viel einzukaufen. „Hungrig einkaufen ist wie betrunken flirten", heißt es auf einer Postkarte. Wer satt in den Supermarkt geht, kauft weniger und vor allem weniger ungeplant. Hier hilft auch ein Einkaufszettel, den man im Laden abarbeitet. Was nicht auf der Liste steht, bleibt im Regal.
Zu gut für die Tonne
Mit Kampagnen wie „Zu gut für die Tonne" will auch das BMEL die Lebensmittelverschwendung eindämmen. Viele Initiativen widmen sich dem Thema, zum Beispiel die Foodsaver und Foodsharer, die in zahlreichen Städten übrig gebliebene Lebensmittel einsammeln und an Bedürftige verteilen. Auf „Schnibbelpartys" und in „Volxküchen" kochen offene Gruppen gemeinsam. Die Transition-Town-Netzwerke bieten neben Repair-Cafés zum gemeinsamen Reparieren defekter Geräte und Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstätten auch Kochtreffs an. Restlos-Läden verkaufen günstig Lebensmittel, die die Supermärkte ausrangiert haben. Tipps zur Verwertung vermeintlicher Essensreste finden sich auf zahlreichen Internetseiten. So lässt sich zum Beispiel das Grünzeug von Möhren mit wenig Aufwand zu leckerem Pesto verarbeiten.
Containern statt Einkaufen
Restaurants, Imbisse, Läden, Markthändlerinnen und Markthändler und andere verkaufen kurz vor Feierabend ihre Reste oft deutlich günstiger. Fragen lohnt sich. Apps wie togoodtogo.de helfen bei der Suche. Vor allem in Großstädten ernähren sich manche Menschen auch von dem, was andere weggeworfen haben. Sie gehen „containern", holen also weggeworfene Lebensmittelpackungen aus den Müllcontainern der Supermärkte. Erwischen lassen sollte man sich dabei nicht. 2020 verurteilte ein Gericht zwei Studentinnen aus dem Münchener Umland wegen Diebstahls, weil sie Essen aus dem Müll einer Supermarktfiliale gerettet hatten. Trotz zahlreicher Petitionen für die Legalisierung des Containerns hat der Gesetzgeber den Diebstahl-Paragrafen 242 Strafgesetzbuch immer noch nicht entsprechend geändert. Die Internetseite Careelite.de zitiert eine Umfrage: 81 Prozent der Menschen in Deutschland seien dafür, dass Containern erlaubt wird.
Auch an anderer Stelle befördern Politik und Gesetzgebung die Lebensmittelverschwendung. Während zum Beispiel in Frankreich Supermärkte übrig gebliebene Ware an gemeinnützige Organisation spenden müssen, haften in Deutschland Tafeln oder Foodsaver für die Qualität ihrer verteilten Lebensmittel. Abgelaufenes dürfen sie deshalb nicht verschenken. Auch zahlreiche Hygienevorschriften behindern die Lebensmittelretter.