Kurz vor dem Saisonstart präsentieren sich die Eisbären Berlin ziemlich wechselhaft. Das Team von Trainer Serge Aubin muss sich für eine erfolgreiche Titelverteidigung vor allem in der Abwehr steigern – die soll als Prunkstück gelten.
Dieser Nackenschlag hat gesessen. 1:7! Bei der deftigen Pleite in der Champions Hockey League gegen das schwedische Spitzenteam Frölunda Göteborg wurden die Eisbären Berlin phasenweise vorgeführt, auch der Trainer betrachtete es als eine internationale Lehrstunde auf dem Eis. „Es war ein schwerer Tag für uns", sagte Serge Aubin hinterher konsterniert, „wir hatten keine Antworten". Vielleicht lag es auch daran, dass die Profis nach dem beeindruckenden 8:2-Sieg nur zwei Tage zuvor beim französischen Titelträger Brûleurs de Loups de Grenoble meinten, es gehe auch mit ein paar Prozent weniger Einsatz. In jedem Fall sahen die Eisbären die hohe Niederlage als eine Art Weckruf kurz vor dem Saisonstart in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Der Meister startet am Sonntag (18. September) bei den Nürnberg Ice Tigers.
„Wir sind immer noch in der Findungsphase, und mit dem Spiel in Frölunda sind wir auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen", sagte Nationalspieler Marcel Noebels. Der Topscorer hatte an dem schwachen Auftritt des deutschen Meisters eine Menge zu kritisieren, doch am meisten regte ihn die fehlende Defensiv-Disziplin auf: „Wir sind noch in einer Phase der Saison, in der wir allzu sehr nach vorne spielen wollen und vergessen, dass wir hinten auch etwas investieren müssen." Mit einer gut abgestimmten Balance aus Abwehr und Angriff hatte der DEL-Rekordchampion in den zwei vergangenen Spielzeiten die Meisterschaften gewonnen, und so will er in der Saison 2022/23 den Titel-Hattrick perfekt machen.
„Wir wollen den dritten Titel in Folge"
„Wir wollen den dritten Titel in Folge", sagte Geschäftsführer Thomas Bothstede ohne Understatement. Bei der Mannschaft kommt die hohe Zielsetzung gut an. „Wir wollen immer um den Sieg spielen und gewinnen. Das ist unser Anspruch hier in Berlin", sagte Kapitän Frank Hördler. Auch für Trainer Aubin, der in den Playoffs mit den Eisbären „das letzte Spiel" gewinnen wolle. Dann wäre DEL-Titel Nummer zehn in der Clubgeschichte perfekt.
Aubin stand bei den zwei letzten Titeln als verantwortlicher Coach hinter der Bande, seit seinem Amtsantritt 2019 haben sich die Eisbären wieder zum Ligakrösus entwickelt. Umso nervöser wurden die Verantwortlichen, als die Gerüchte über einen möglichen Abschied des Kanadiers immer mehr zunahmen. Aus Nordamerika soll es Interesse am früheren NHL-Stürmer gegeben haben, doch die Eisbären konnten ihren Meistertrainer halten. Er sei „glücklich, dass uns Serge Aubin erhalten bleibt", sagte Bothstede, „er ist ein prima Trainer. Ich weiß das. Wir kennen uns seit zwölf Jahren aus unserer Freezers-Zeit in Hamburg."
Über die CHL-Pleite in Göteborg war Aubin gar nicht mal so unglücklich, nachdem sich der erste Schock gelegt hatte. Man habe die Partie gründlich analysiert und der Mannschaft die „vielen ungewöhnlichen Fehler" aufgezeigt, verriet der Kanadier, „die passieren uns normalerweise nicht". Aubin glaubt, dass dieser schwache Auftritt tatsächlich nur ein Ausrutscher und keine Prognose für die kommende DEL-Saison war: „Wir blicken optimistisch voraus. Wenn wir unser System spielen, erzielen wir Tore und bereiten jedem Gegner Probleme." Auch Noebels bestätigte, dass das Team die Tage danach „gut genutzt" habe. Noch einmal werde man sich nicht so präsentieren, versprach Neuzugang Marco Nowak: „Wir sind die Eisbären und gehören zu den Top-Teams Europas."
Nationalspieler Nowak wechselte vom Ligakonkurrenten Düsseldorfer EG in die Hauptstadt, für ihn sei damit „ein kleiner Traum in Erfüllung" gegangen. „Wenn man eine Chance bekommt, beim besten Club der Liga zu spielen, und dann auch noch in Berlin, da sagt man nicht Nein", meinte der Verteidiger. Er habe sich „super eingelebt" und eine „überragende Truppe" vorgefunden. Über den Dreijahresvertrag, den der gebürtige Dresdner bei den Eisbären unterschrieb, freute sich auch seine Verwandtschaft. „Ich bin ja Ossi, und meine ganze Familie mit den Eltern wohnt ja noch in Dresden", sagte Nowak: „Sie werden mich bestimmt bei vielen Heimspielen unterstützen."
Nowak gehört neben den Kanadiern Brendan Guhle (Anaheim Ducks) und Julian Melchiori (Grizzlys Wolfsburg) zu drei neuen Top-Verteidigern in dieser Saison. Die Abwehr soll das neue Prunkstück sein. „Wir haben mehr Tiefe dort als letzte Saison", meinte Sportchef Stephane Richer. Trainer Aubin ist froh über die neu dazugewonnene Qualität in der Abwehr: „Wenn wir gut sein wollen, müssen wir defensiv gut sein und uns auch ohne Puck gut bewegen." Dass es in der Vorbereitung auch zu Rückschlägen wie gegen Göteborg kam, ist für Nowak normal. Die neuen Paare müssten sich erst einspielen, „wir müssen alle das System weiter verinnerlichen".
Im Tor gehen die Berliner ein gewisses Risiko ein. Sie vertrauen zunächst als Duo den zwei jungen Torhütern Tobias Ancicka (21) und Juho Markkanen (20). „Das macht nicht jeder Verein, der oben mitspielen möchte", sagte Noebels: „Ich wünsche den Jungs, dass sie es packen". Ancicka kündigte bereits selbstbewusst an: „Ich möchte die Nummer eins im Eisbären-Tor werden." Damit würde er die Nachfolge von Meister-Goalie Mathias Niederberger antreten, dem viele Fans hinterhertrauern. Der Nationaltorwart wechselte zum Titelrivalen Red Bull München. Insgesamt gab es ein Dutzend Abgänge, neben dem Abschied von Niederberger schmerzen auch die von Blaine Byron, der ein Vertragsangebot abgelehnt und stattdessen zu IK Oskarshamn an die schwedische Ostseeküste gewechselt ist, und Vize-Kapitän Kai Wissmann, den NHL-Club Boston Bruins mit einem Einjahresvertrag ausgestattet hat. Außerdem muss der Titelverteidiger vorerst auf die langzeitverletzten Angreifer Leonhard Pföderl und Yannick Veilleux verzichten.
Niederberger wechselt zum Erzrivalen
Aubin ist mit dem aktuellen Personal in seinem Kader dennoch mehr als einverstanden. „Wir haben ein wirklich gutes Team, das noch stärker als im Vorjahr ist", behauptete der Coach, der vor allem die Diversität zu schätzen weiß: „Jeder im Team ist unterschiedlich. Wir haben ein paar große, gute Schlittschuhläufer ins Team gebracht, die zudem Erfahrung haben, aber auch junge Spieler wie Brendan Guhle."
Der 25-jährige Guhle kam mit NHL-Erfahrung nach Berlin, in der besten Eishockeyliga der Welt hat er immerhin schon 65 Spiele absolviert. Der Kanadier gilt als schnell, wendig und sehr zweikampfstark. Auch Melchiori hatte vor seiner Zeit in Wolfsburg in der NHL gespielt.
Auch vom neuen Stürmer Frank Mauer verspricht sich der Trainer viel. „Er kennt unser System in- und auswendig", sagte Aubin über den Neuzugang von Red Bull München. Vor allem auf die Flexibilität, die Mauer während seiner langen Karriere oft genug bewiesen hat, setzt Aubin auch in Berlin: „Er ist jemand, der alles machen kann." Die Neuzugänge seien eine „gute Ergänzung" und würden sich „wirklich gut" schlagen. Aubin lobte aber auch die Mannschaft hinter der Mannschaft und meinte: „Hinter der Bande arbeitet eine Crew, mit der wir viel erreichen können. Das sind alles gute Jungs, die mit uns an einem Strang ziehen." Auch wenn es mal eine Klatsche gibt.