Das Newcomer-Duo Bleibtreu ist auf seiner „Sicher nicht"-Tour. Dabei schwimmen Gabriela Lindl und Daniel Brockhaus musikalisch gegen den Strom und überraschen mit schrägen Texten.
Daniel Brockhaus und Gabriela Lindl kann man schwer verpassen an diesem Samstagnachmittag im Museumsrestaurant des „Hamburger Bahnhofs". Zum Interviewtermin in Berlin haben die beiden Bleibtreu-Musiker auf dem einzig erhöhten, feuerwehrroten Sofa Platz genommen. Es steht direkt gegenüber vom Eingang und fällt sofort ins Auge. Dort sitzen die zwei Künstler wie auf einem Präsentierteller und erzählen von ihrer ersten Konzertreise. Nach dem Startschuss der Tournee Ende April in Berlin tritt das Duo auch in Süddeutschland und in Österreich auf. Zweifellos haben die beiden Performer ein gutes Gespür für Inszenierung. Schließlich sind die beiden nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler.
Gabriela Lindl ist die Pianistin und weibliche Gesangstimme von Bleibtreu. Die zierliche Blondine ist gerade erst von Filmarbeiten in den Tiroler Alpen zurückgekommen. Dort hat die Schauspielerin in der Serie „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte" mitgespielt. „Mit unserem Namen Bleibtreu zeigen wir Haltung, egal wie schief sie ist", erklärt die 34-jährige Mimin und rührt in ihrem Kaffee. „Wir versuchen, einen Standpunkt zu beziehen, stellen Fragen wie: Bleibt man sich selbst treu, und bleibt man dem Partner treu?", ergänzt Daniel Brockhaus, der ebenfalls singt und Violincello spielt. Tatsächlich hören sich viele Texte der Berliner Newcomer-Band manchmal melancholisch und oft sehr kratzig an. Beispielsweise kratzen Eigenkompositionen des Duos solange an den gängigen Klischees romantischer Liebe herum, bis es anfängt wehzutun: „Du liegst neben mir, ich mag deinen Geruch … nicht! Mocht’ ich noch nie. Du gehst neben mir, ich mag deinen Gang … nicht! Mocht’ ich noch nie. Du lehnst an mir, ich mag das … nicht!", heißt es etwa in ihrem Song „Glück".
„Spaß an ungewöhnlichen Texten"
Wenig opportun liest sich auch der Titel ihrer ersten Tournee. „Sicher Nicht – das bezieht sich auf eine typisch österreichische Redewendung", erläutert der Sänger, der ein paar Jahre in der österreichischen Hauptstadt gelebt hat. „Die Wiener sagen das immer in einem lakonischen Tonfall. Bei unseren Liedern hört man, glaube ich, auch den Spaß an ungewöhnlichen Texten." So dreht es sich in den Texten immer wieder um philosophische Grundfragen. Um Liebe, um Tod und um Glück. „Wir arbeiten uns alle an Fragen ab, die wir nicht beantworten können", sagt der 43-Jährige. „Auch, wenn wir sie alle nicht beantworten können." Bleibtreu wird nicht müde, diese Fragen zu stellen und vertont das Ganze auf unterhaltsame Art und Weise. So etwa geht es in ihrem Lied „Achtsamkeit" keineswegs um Meditations- oder Atemtechniken, sondern um Beziehungsfragen und Gruppensex. Bei anderen Texten lassen sie sich nach eigener Aussage von Dichtern wie Friedrich Hölderlin, Thomas Bernhard und Wolf Wondratschek inspirieren.
Auch auf klanglicher Ebene schwimmen die beiden Künstler gegen den Strom und brechen mit Erwartungen. Gabriela Lindls Altstimme klingt mal wie ein kratzbürstiger Kobold, mal rauchig-traurig wie eine Nina Simone des 21. Jahrhunderts. Daniel Brockhaus’ sonore Baritonstimme bildet das passende Pendant dazu. Die klassischen Instrumente Klavier und Violoncello wirken beim ersten Hören möglicherweise wie ein Widerspruch zu den frechen, oft provokanten Texten. Tatsächlich mixt das Duo diese scheinbaren Gegensätze zu einer farbigen und charmanten Hörtinktur, von der man leicht süchtig wird.
Kennengelernt haben sich Gabriela Lindl und Daniel Brockhaus, als sie Anfang der 2010er-Jahre als Darsteller am Schlosstheater Celle engagiert waren. Doch es brauchte den heißen Sommer 2018, in dem sie anfingen, auch musikalisch zu kooperieren. So kam eins zum anderen. Noch im August komponierten und texteten sie ihr erstes Lied „Sainte Tropez". Gute Voraussetzung, als Band erfolgreich zu werden, bringen die beiden hochbegabten Künstler bereits mit. Gabriela Lindl, die wegen ihrer tschechischen Mutter auch fließend Tschechisch spricht, hat in früheren Jahren eine eigene Punkband ins Leben gerufen. Später studierte sie klassischen Gesang in Perugia und Bologna. „Ich bin sehr geprägt durch meine Großtante, die Sopransängerin war, und durch meine langjährige Gesangslehrerin, die Opernsängerin Frauke Hoffmann", erklärt Gabriela Lindl ihre Passion zum Gesang. Außerdem kann die in Freiburg geborene Wahl-Berlinerin Saxofon, Schlagzeug und Xylofon spielen.
„Deutschlands erste Scheidungsband"
Daniel Brockhaus hat ebenfalls musikalische Wurzeln. Seine Eltern sind beide klassische Musiker, und er lernte im zarten Alter von fünf Jahren schon Cello. „Später aber kaufte ich mir eine E-Gitarre und spielte in verschiedenen Bands." Ein bisschen Rebellentum scheint Teil seiner Persönlichkeit zu sein. Als er sich von seinen Lehrern an der Waldorfschule in Hannover nicht ernstgenommen fühlte, setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um von der Schule zu fliegen. Zum Leidwesen seiner Eltern schlug er zunächst keine künstlerische Laufbahn ein, sondern machte eine Tischlerlehre. „Beim Tischlern lernte ich Konzentration, aber auf Dauer wurde es mir doch zu einsam hinter der Werkbank", erinnert er sich und bestellt einen weiteren Espresso. So verdingte sich der Künstler eine Zeit lang als Möbelpacker, als Chauffeur und gründete ein kleines Transportunternehmen, mit dem er Blumen auslieferte. Schließlich zog der spätere Mime auf eigene Faust nach Wien, wurde dort Nachtportier und absolvierte eine Schauspielausbildung beim Franz-Schubert-Konservatorium. Es folgen zahlreiche Engagements bei deutschen und österreichischen Theaterbühnen sowie Film- und Serienverträge. Zuletzt stand Daniel Brockhaus für den Krimi ‚Schweineleben‘ vor der Kamera.
Bis zum Frühsommer stehen Daniel Brockhaus und Gabriela Lindl vor allem als Musiker auf der Bühne. Dort werden sie öfter gefragt, ob sie auch privat liiert seien. Gabriela Lindl grinst nur und trinkt ihren letzten Schluck Kaffee. „Ein Paar?", fragt Daniel Brockhaus vielsagend, „wir sind sogar ein Duo." Außerdem haben sie noch ein weiteren Traum: „Wir wollen Deutschlands erste Scheidungsband werden." Wie ernst er diese Äußerung meint, weiß man nicht so genau. Sie erinnert genau an die Art von Humor, die man von den Wienern her kennt. Oder von den Texten der Newcomer-Band Bleibtreu.