Kein Tier polarisiert in unseren Breiten derzeit mehr als der graue Jäger im Wald, der sagenumwobene Stammvater des Haushundes: der Wolf oder Canis lupus. Inzwischen ist er in Deutschland und Österreich zum Medienstar geworden.
Es ist ein politisches Tier, das die Gesellschaft spaltet: Progressiv steht gegen konservativ, Stadt gegen Land, Wissenschaft gegen Landwirtschaft. Die einen rühmen die Artenvielfalt, die anderen sehen eine Gefahr für Fauna, Flora und Mensch. Beide Seiten führen aber gleichermaßen den Tierschutz ins Feld.
Vor eineinhalb Jahrhunderten wurde der Wolf in unseren Breiten ausgerottet, seit fast 20 Jahren ist er dabei, Mitteleuropa wieder zu besiedeln. Doch obwohl das Tier über einen starken Rückhalt in der Bevölkerung verfügt – 70 Prozent begrüßen seine Rückkehr –, gibt es auch erbitterte Gegner, in erster Linie in der Land- und Forstwirtschaft. Der Wolf gilt als Beutegreifer und hat bereits größere Schäden vor allem beim Weidevieh verursacht. Die offizielle Politik steht jedoch geschlossen hinter Isegrim, frei nach dem Motto: „Der Wolf gehört zu Deutschland."
Nach der Wende hat es der Wolf endgültig in den Westen geschafft, erzählt Josef Tumbrinck, Unterabteilungsleiter im Bereich Naturschutz im Bundes-Umweltministerium: „Ich hatte im Naturschutzverband Kontakt in die DDR. Dort ist mir berichtet worden, dass es Wölfe gab, die über die Oder gekommen sind, aber dass sie illegal geschossen worden sind. Von daher konnte sich der Wolf zu DDR-Zeiten nicht ausbreiten, weil er aus Polen kommend gleich eliminiert wurde."
Festgestellt wird die Herkunft über die DNA, die aus dem Kot, der Losung in der Jägersprache, oder aus den Bisswunden ihrer Beutetiere analysiert wird. Denn für gewöhnlich erlegt der Wolf seine Beute rasch durch einen Kehlbiss. Der Wolf ist eines der am eifrigsten erforschten Tiere. Darum weiß man so genau, woher sie kommen und wie viele es sind. Bei der letzten Zählung waren es 70 Rudel, die sich in Deutschland niedergelassen haben, aktuell werden 100 Rudel geschätzt. Sie halten sich vorwiegend im Osten Deutschlands und in der norddeutschen Tiefebene auf.
Dort wurden sie bereits zum Problem, wie der Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Werner Schwarz, feststellt: „Schafe haben hier die ganz große Bedeutung auf den Deichen. Der Huftritt und der kurze Biss, den die Schafe am Gras hinterlassen, sorgen für einen wirklich nachhaltigen Deichschutz, Sturmschadenschutz. Wenn wir die nicht mehr haben, dann weichen die Deiche auf, das Gras wächst lang, und bei Sturmfluten brechen die Deiche."
Geschätzt 100 Rudel in Deutschland
Wölfe haben es aber gerade auf schutzlos grasende Schafe abgesehen. Zäune lassen sich aber nicht so leicht aufstellen, meint Schwarz: „Wenn wir mit Zäunen arbeiten, werden die Touristen sagen: ‚Wir wollen nicht immer über die Zäune steigen‘. Und mit Herdenschutzhunden funktioniert das schon gar nicht, weil die nicht gewöhnt sind an Touristen."
Gerade das aber fordert der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal: „Man muss sich in der Bewirtschaftung umstellen und wieder größere Herden mit Behirtung bilden", sagt er. „Das geht nicht von heute auf morgen, denn Behirtung und Arbeit mit Herdenschutzhunden ist eine uralte Kulturtechnik." Andere Länder in Europa hätten aber bereits viel Erfahrung damit. Und auch Wolf-Experte Christian Pichler vom WWF, dem World Wide Fund for Nature, plädiert für den Bau von Elektrozäunen: „Wenn der Wolf sich Schafen nähert und mit der Schnauze den Zaun berührt, dann bekommt er einen Schlag. Er kann diesen elektrischen Schlag nicht zuordnen und lernt, dass Schafe wehtun und lässt in der Regel dann in Zukunft von ihnen ab."
Verhaltensforscher Kotrschal betreibt in Ernstbrunn, nördlich von Österreichs Hauptstadt Wien, ein Wolf Science Center, das vor zehn Jahren gegründet wurde. Dort vergleicht er gemeinsam mit 20 Mitarbeitern das Verhalten von 20 Hunden und 20 Wölfen. Hinter dem Zaun links heulen die zahmen Wölfe, hinter dem Zaun rechts bellen die Hunde. Obwohl der Hund, vom Chihuahua bis zum Schäferhund, vom Wolf abstammt, werden die Tiere in Ernstbrunn getrennt gehalten und erforscht.
„Für eine Privathaltung ist ein zahmer Wolf ungeeignet", warnt der Verhaltensforscher. „Schon deswegen, weil er natürlich auf Augenhöhe mit uns leben will, und weil er niemals einsehen würde, dass er zum Beispiel den Inhalt des Kühlschranks nicht mit uns teilen soll oder dass Nachbars Katze ein Wesen ist, das man am besten nicht anrührt."
Kotrschal vermutet, dass Wolf und Mensch vor Tausenden Jahren sogar gemeinsam auf die Jagd gegangen sind. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hätten die Menschen allerdings begonnen, den Wolf auszurotten, als er ihnen auf bedrohliche Weise die Nahrung streitig machte. Absolutistische Herrscher sahen in ihm eine Konkurrenz um das Wild in ihren Waldrevieren. Und aktuell werden von Tirol bis Brandenburg nicht nur illegal geschossene, sondern auch enthauptete Wölfe gefunden, Beispiele für eine tiefgreifend zerrüttete Beziehung von Mensch und Wolf. Dabei richten etwa Wildschweine in der Natur weit mehr Schaden an als der Wolf, der zudem eine Art Gesundheitspolizei ist, weil er in erster Linie kranke und alte Tiere jagt.
Wildschweine richten mehr Schaden an als Wölfe
Dabei ist es nicht so einfach, dem Tier so zu Leibe rücken, wie manche das gerne möchten: Denn er hat schon einmal das Gesetz auf seiner Seite. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU schützt ihn in fast ganz Europa. Allerdings kann er zum sogenannten Problemwolf werden, wenn er etwa die Menschenscheu verliert, mindestens 25 Schafe tötet oder sich nicht vertreiben lässt. Aber auch dann darf er noch nicht geschossen werden, sondern soll mit Gummikugeln oder Leuchtraketen vergrämt werden. Den Wolf in ausgewählten Forstgebieten einzuzäunen, funktioniert auch nicht, weil die Tiere ihre Reviere wechseln und nicht selten große Strecken zurücklegen.
„Der Mensch fällt nicht in das Beuteschema des Wolfes", beruhigt Christian Pichler vom WWF. Der Mensch ist des Menschen Wolf, wusste schon der römische Komödiendichter Plautus. Die größte Gefahr für den Menschen sind nämlich jene eigenen Artgenossen, die Futter für Wölfe auslegen und sich dadurch mitschuldig machen, wenn einmal jemand durch einen Wolf zu Schaden kommt, weil dieser den Menschen nicht mehr scheut. „Der Wolf ist keine Bestie, aber auch kein Kuscheltier", heißt es deshalb beim WWF. Obwohl er selbst Wölfe als Plüschtiere feilbietet.