Nach dem erfolglosen Ausflug in den Westen kann sich Hertha BSC im Heimspiel gegen den FC Bayern Kopf und Körper freispielen.
Wie viel Kraft das Pokalspiel in Dortmund gekostet haben mag, ließ sich schon am vergangenen Samstagnachmittag beim Auftritt des BVB in der Bundesliga erahnen: Die Schwarz-Gelben kassierten nach schwacher Vorstellung eine nie für möglich gehaltene 2:1-Niederlage beim Tabellenletzten Darmstadt 98. Es konnte einem also als Hertha-Fan schon etwas Ungutes schwanen vor dem Abendspiel der Mannschaft auf Schalke.
Die Königsblauen hatten zwar zuletzt einen Punkt aus München entführt, trotzdem war die Anspannung im Lager der Westfalen aufgrund des bislang dürftigen Abschneidens in der Liga greifbar. Und wer weiß: Wäre Salomon Kalou der Treffer nach einer knappen Viertelstunde gelungen, hätte die Partie eine andere Wendung nehmen können. Der Schuss des Ivorers verfehlte allerdings sein Ziel.
Kalou hatte
die Chancen
Ansonsten beschränkte sich das Team von Trainer Pal Dardai darauf, kompakt zu stehen und dem Gegner möglichst wenig Räume zu lassen. Mit zunehmender Spieldauer vermittelte die Vorstellung der Berliner allerdings, dass die taktische Disziplin immer mehr zur Passivität mutierte. Den Ballbesitz überließ man größtenteils dem Gastgeber, der den Druck erhöhte. Zum Schalker Führungstor musste allerdings ein Fehler der Herthaner in der eigenen Hälfte herhalten: Ausgerechnet der erfahrene Kalou ließ sich den Ball leichtfertig stibitzen. Dann ging alles zu schnell für die Hintermannschaft, und das 1:0 unmittelbar vor der Pause war perfekt.
Das zeitige 2:0 im zweiten Durchgang war dann im Grunde nur der Ausdruck der Machtverhältnisse auf dem neu verlegten Grün in der "Arena auf Schalke". Nach dem, wie es Pal Dardai formulierte, "besten Spiel im Jahr 2017" im Pokal in Dortmund also eine eher kraftlose Performance. Für Hertha BSC eine nicht unbekannte Problematik in Verbindung mit Englischen Wochen: Seit Beginn der vergangenen Saison mussten die Blau-Weißen achtmal drei Spiele in einer Woche austragen, und nur in einem Fall konnte man die letzte Partie gewinnen. Es scheint also, als wäre der Kader immer noch nicht breit genug aufgestellt, obwohl Dardai im Vergleich zum Pokalkrimi immerhin auf drei Positionen gleichwertig rotieren konnte.
Krasser
Außenseiter
Dennoch fehlte die Kraft, die man in den 120 Minuten von Dortmund gelassen hatte, um am Ende nicht mit leeren Händen dazustehen. Eine neuerliche Enttäuschung, die trotz verstärkter Regeneration im Bochumer Quartier bis zum Spiel in Gelsenkirchen auch möglicherweise nicht für die notwendige Frische im Kopf gesorgt hat. So heißt es also: Niederlage akzeptieren, weiter arbeiten. Das gilt auch für Vedad Ibisevic, der seine "Torblockade" nicht beenden konnte und nun seit 700 Minuten ohne Erfolgserlebnis ist.
Angesichts der Bilanz im neuen Jahr drei Punkte aus vier Ligapartien und ein unglückliches Aus im Pokal fordert Pal Dardai vom Umfeld "Respekt für die Realität" ein. Das tut sich schwer mit der Ausbeute, zumal der bislang einzige Dreier 2017 durch ein glanzloses 1:0 zu Hause gegen Ingolstadt zustande kam. In dieser Situation kommt mit dem FC Bayern München am Sonnabend ein Gegner ins Olympiastadion, der zwar nie wirklich gelegen kommt aber gegen den die Fans der Leistung der eigenen Mannschaft auch prinzipiell ein größeres Wohlwollen entgegenbringen. Ein nicht so ansehnliches Unentschieden oder ein gutes Spiel mit einer knappen Niederlage wird da schnell positiv bewertet. Aber spätestens nach dem Bayern-Spiel dürfte in der Hauptstadt genauer hingeschaut werden wenn sich in den folgenden Partien Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und die TSG Hoffenheim in Berlin vorstellen und Hertha beim wieder erstarkten HSV, dem 1. FC Köln und in Mönchengladbach antreten muss. Der Gegner vom Samstag spielt dagegen weiter "Krise auf höchstem Niveau". Von den letzten neun Ligapartien gewann der FC Bayern acht, nur gegen Schalke 04 gab es ein Unentschieden. Dennoch ist man nicht sonderlich glücklich an der Isar die Art und Weise der Erfolge verströmt eben nicht genug Glanz. Wo mit dem beinahe identischen Kader unter dem früheren Trainer Pep Guardiola Ballbesitz und Ideenfußball zelebriert wurden, kommt unter Carlo Ancelotti die Kreativität des Öfteren zu kurz. Beispiel: Bei den Auswärtsspielen in Darmstadt (Dezember 2016) und Ende Januar in Bremen wies die Statistik jeweils gerade mal vier Torchancen für den Favoriten aus. Gewonnen haben die Bayern trotzdem wenn auch, wie zuletzt auch in Freiburg, mit nur einem Tor Unterschied. Vergangenen Samstag beim 2:0 in Ingolstadt fiel der Sieg zwar etwas deutlicher aus, das Führungstor gelang der Ancelotti-Elf allerdings erst in der 89. Minute. Die Kaltschnäuzigkeit funktioniert also zwar noch, richtig überzeugend wirkt das allerdings trotzdem nicht.
Letztes Wochenende ließ Ancelotti dabei ohne echten Flügelspieler beginnen die Bemerkung, seine beste Mannschaft auflaufen zu lassen, musste ein wenig wie eine Abmahnung für die Außenstürmer Douglas Costa und Arjen Robben wirken. Der Brasilianer hatte sich zuletzt zwar mit öffentlichen Abwanderungsgedanken beschäftigt, zeichnete aber etwa in Darmstadt und im Pokal gegen Wolfsburg für das entscheidende Tor verantwortlich. Robben wiederum war an beiden Treffern in Bremen beteiligt. Dennoch spielte der FCB in Ingolstadt zunächst im 4-3-2-1, richtig Schwung nahm der amtierende Meister aber erst in der letzten halben Stunde auf
als Robben und Costa eingewechselt wurden. Den beiden gelang im Zusammenspiel sogar noch der zweite Treffer in der Nachspielzeit. Gut möglich also, dass Carlo Ancelotti in Berlin wieder zurückkehrt zum "bewährten" System.
Der FC Ingolstadt war den Bayern sehr hoch stehend begegnet, musste dem großen Laufpensum allerdings in der Schlussphase Tribut zollen. Wenn der Rekordmeister in Berlin wieder mit Außenspielern agieren sollte, wäre ein solches Vorgehen wohl auch zu riskant. Bei schnellen Spielzügen über die Flanken würde die Hertha-Defensive sicherlich Gefahr laufen, ein ums andere Mal gefährlich hinterlaufen zu werden.
Vergangene Saison hatte Dardai zum Heimspiel gegen die Bayern (0:2) am 31. Spieltag kräftig rotieren lassen gleich sechs Spieler, die im Pokalhalbfinale drei Tage zuvor gegen Dortmund (0:3) nicht in der Startelf standen, waren von Beginn an dabei. Dies war einerseits der Belastung der Englischen Woche geschuldet, andererseits wohl auch der Einsicht, gegen den übermächtigen Gegner Teilen des Stammpersonals zu einer Verschnaufpause zu verhelfen.
Diesmal nun haben die Herthaner zumindest eine Woche Spielpause gehabt, um in puncto Frische wieder aufzutanken. Und: Acht von neun Heimspielen hat man 2016/17 gewonnen fünf davon "zu Null". Zahlen, derer es sich vor der vermeintlichen "Mission Impossible" gegen München auch noch mal zu vergewissern lohnt.
Hagen Nickelé