Eine Haartransplantation ist keine exotische Schönheitsoperation für Prominente. Dr. Felix Jehle, Oberarzt der Bodenseeklinik in Lindau, gibt Einblicke in Methoden, Risiken und Chancen für ein jüngeres Aussehen.
Wenn ein Mann in jungen Jahren häufig auf seine Denkerstirn angesprochen wird, kann dies im Betroffenen einen Komplex auslösen. Geheimratsecken oder ein hoher Ansatz stehen allgemein nicht in der Gunst des Trägers, ist das Schönheitsideal kulturell bedingt nach wie vor dichtes, kräftiges Haupthaar. Und auch Trägerinnen von nur lichtem Haar empfinden den Mangel an Volumen als äußerlichen Makel. Während der Haarverlust bei Männern jedoch zu 95 Prozent erblich bedingt ist und etwa 50 Prozent aller Herren davon betroffen sind, lässt sich die Ursache bei Frauen schwerer bestimmen, es sei denn, die genetische Veranlagung kann man familiär eindeutig ausmachen. Wegen der Verteilungsunterschiede zwischen den Geschlechtern sind auch die Zahlen der Personen, die zum Mittel einer Haartransplantation greifen, eindeutig: Es sind mehrheitlich Männer, die sich wegen psychischer Belastung operativ behandeln lassen. Vor der Ultima Ratio einer OP kann Mann wie Frau auch zu konservativen Mitteln greifen, die zumindest versprechen den Verlust weiterer Haare zu stoppen.
Grob zusammengefasst lassen sich die Arten des Haarausfalls auf drei reduzieren.
Genetisch bedingter Haarausfall
In der Medizin spricht man von Androgenetischer Alopezie, wenn sich Geheimratsecken und Tonsur am Hinterkopf aufeinander zubewegen. Das männliche Sexualhormon Testosteron beziehungsweise sein Abbauprodukt Dihydrotestosteron (DHT), sorgt für eine Verkürzung der Wachstumsphase der Haare, bis die Follikel, die Wachstumsmotoren für Haare, endgültig absterben. Bei Männern tritt der genetisch bedingte Haarausfall nicht selten im Alter zwischen 20 und 30 in ihr Leben. Auch bei Frauen spielen männliche Hormone, die sogenannten Androgene, eine wichtige Rolle. Frauen erleben den Verlust ihres Haars meist in Schüben. Während er bei Männern zügiger voranschreitet, lässt sich der Haarausfall bei Frauen mehr Zeit. Oft setzt er erst nach den Wechseljahren ein und nimmt mit dem Altern zu. Von 100 Frauen mit Haarausfall haben 95 eine androgenetische Alopezie.
Kreisrunder Haarausfall
Zu einem ausgedehnten und rapiden Verlust der Haarpracht kommt es bei der sogenannten Alopecia Areata, dem kreisrunden Haarausfall. Münzgroße, kreisrunde Löcher sind das Erkennungszeichen dieser Form des Haarausfalls, der auch Kinder treffen kann. Auch andere behaarte Stellen des Körpers können Symptome aufweisen. Bei der Alopecia Areata handelt es sich um eine entzündliche Form des Haarausfalls, welche vermutlich autoimmun bedingt ist. Die gute Nachricht: Bei kreisrundem Haarausfall ruhen die Follikel lediglich, sie sind in der Regel nicht abgestorben und können nochmals in die Wachstumsphase eintreten. Es kann bei dieser Form des Haarausfalls auch zur Spontanheilung kommen. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer konservativen Therapie. Kreisrunder Haarausfall tritt gelegentlich zusammen mit Neurodermitis, Heuschnupfen, Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) oder einer Schilddrüsenstörung auf. Kreisrunder Haarausfall bei Frauen kann sowohl während als auch nach einer Schwangerschaft auftreten.
Diffuser Haarausfall
Unabhängig von Alter und Hormonspiegel kann der diffuse Haarausfall (Effluvium diffusum oder Telogen Effluvium) eintreten. Typischerweise beginnt er plötzlich und wirkt sich gleichmäßig auf die gesamte Haarpracht aus, die zunehmend dünner wird. Die Ursachen für diffusen Haarausfall sind wissenschaftlich nicht zu 100 Prozent geklärt. Man geht von Initialmomenten wie Stressphasen, Fieberanfällen, grippalen Infekten oder chronische Entzündungen aus. Neben der Gesundheit kann auch eine längerfristige Unterversorgung der Haarwurzeln mit wichtigen Nährstoffen –
besonders Eisen oder Zink – zum Ausfall führen. Oder die Unverträglichkeit von Medikamenten triggert das schlagartige Einsetzen des Haarverlusts. Insbesondere diffuser Haarausfall ist in vielen Fällen auf eine unausgewogene Ernährung oder sonstige Schadstoffe in unserem Körper zurückzuführen. Eine länger anhaltende unausgewogene Ernährung, Crash-Diäten oder Rauchen hinterlassen eben auch optische Eindrücke.
Dr. Felix Jehle, Oberarzt der Bodenseeklinik in Lindau bestätigt, dass die Kundschaft für eine Haartransplantation hauptsächlich Männer sind: „Grob überschlagen würde ich schon sagen, dass es 85 Prozent Herren sind, die sich zwecks Konsultation an uns wenden. Klassischerweise sind dies Männer zwischen dem 35. und 65. Lebensjahr mit androgenetischer Alopezie. In den Beratungsgesprächen evaluieren wir von Fall zu Fall wo ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis besteht und wo die Motivation zu einer Behandlung nachvollziehbar ist." Gefragt nach dem Mindestalter, ab dem es sich lohnt eine Beratung aufzusuchen, gibt Dr. Jehle die Empfehlung, sich schon frühzeitig an eine Klinik zu wenden: „Bei Männern ab dem Alter von 35 ist es schon ratsam, wenn es sich familiär abzeichnet, dass der erbliche Verlust voranschreitet, diesen gemeinsam zu beobachten. Es gibt ja nicht nur die Möglichkeit einer Haartransplantation sondern konservative medikamentöse Methoden der Behandlung. Wer erst mit Mitte 50 kommt und nur noch die Hälfte seiner Haare auf dem Kopf trägt, stellt den behandelnden Arzt vor die Herausforderung genügend Spenderhaar am Hinterkopf gewinnen zu müssen, die vielleicht nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Oder zumindest besteht das Problem, dass die kahlen Stellen nicht mehr in einer einzigen operativen Sitzung zu beheben sind, sondern mehrere Eingriffe erfordern."
Der Druck guten Aussehens durch prominente Beispiele oder auch durch einen zunehmenden Hedonismus wie er in den sozialen Medien gepflegt wird, verleitet Menschen auch zum Beauty-OP-Tourismus. Wer sich für Haartransplantationen interessiert, wird ganz schnell bei Angeboten aus der Türkei fündig, die preislich günstiger ausfallen und fachlich nicht notwendigerweise schlecht sein müssen. Darauf angesprochen räumt Dr. Jehle ein: „Man kann die Arbeit der Kollegen in der Türkei nicht allgemein schlechtreden, auch da gibt es Licht wie Schatten. Sicherlich ist dort eine Industrie entstanden, die im Internet aktiv beworben wird. Die Gefahr des Eingriffs im Ausland liegt darin, dass man in zu jungen Jahren, ohne vorhergehende Beratung in die Türkei fliegt. Ohne es sich zweimal überlegt zu haben, wird der Druck, den Eingriff vor Ort durchzuziehen, ungleich höher. Auch sollte man stets an die Möglichkeit einer adäquaten Nachbehandlung und Nachsorge denken."
Transplantation hinterlässt Narben
Während in der Bodenseeklinik sowohl die FUT- (Follicular Unit Transplantation) beziehungsweise Streifenmethode als auch die FUE- (Follicular Unit Extraction) Methode angeboten und angewendet werden, greift man in der Türkei nahezu ausschließlich zur neueren, aber nicht notwendigerweise besseren FUE-Methode. Die Entnahmeart der Grafts, also der Transplantate, die in der Regel ein bis drei Haarfollikel beinhalten, macht den Unterschied. Das Einpflanzen ist bei beiden Methoden gleich. Während bei der FUT-Methode ein Hautstreifen am Hinterkopf entnommen wird, von dem die Follikel gewonnen werden, kommt es bei der FUE-Methode zu einem Herausbohren der einzelnen Grafts aus der Kopfhaut in einem gebührenden Abstand. Da im ersten Fall die Wunde chirurgisch verschlossen werden muss, ist initial eine gewisse Wundspannung zu verspüren. In der Regel entsteht bei der FUT-Technik eine feine strichförmige Narbe, die bei guter Wundheilung nur schwer abzugrenzen ist. Wenn die Verschieblichkeit der Haut zum Schädelknochen gut ist, kann man den meist etwa 1,5 Zentimeter breiten Streifen bedenkenlos entnehmen. Die Mobilität der Haut ist ein limitierender Faktor, da durch mehr Spannung die Wundheilung schlechter und somit das Risiko einer gegebenenfalls etwas auffälligeren Narbe höher ist. „Weitere Voraussetzungen für ein zufriedenstellendes Ergebnis ist natürlich gesundes Spenderhaar. Es nutzt nichts, krankhaftes, brüchiges Haar zu transplantieren. Auch die Kopfhaut der Transplantationsstellen soll nicht entzündlich, stattdessen gut durchblutet sein. Von fachärztlicher Seite sollte die Art des zugrunde liegenden Haarausfalls diagnostiziert werden, da zwar die meisten, jedoch nicht alle Fälle des Haarausfalls einer chirurgischen Therapie mittels Haartransplantation zugeführt werden können. Durch Autoimmunerkrankungen bedingter Haarausfall sollte beispielsweise zunächst dermatologisch abgeklärt werden. Falls gesunde Spenderhaare im Bereich eines noch aktiv-krankhaften Empfänger-Areals transplantiert werden, wäre sonst zu befürchten, dass die Haare nach einer Transplantation nicht gesund nachwachsen", gibt Dr. Jehle zu bedenken.
Die ab den 2000ern zunehmende FUE-Methode kann entgegen fälschlicher Annahmen jedoch auch kleine Vernarbungen hinterlassen. Es entsteht hier zwar keine lineare Narbe, aber gelegentlich können viele kleine punktförmige Narben oder Pigmentierungsstörungen im Bereich der Kopfhaut verbleiben. Je nach Wundheilung kann es zu mehr oder weniger auffälligen Hautpartien kommen. „Der große Unterschied ist, dass man die Haare bei der FUE-Methode an der Entnahmestelle am Hinterkopf großflächiger rasieren muss. So eignet sie sich eher für junge Leute, die gern Kurzhaarfrisuren tragen. Die Fläche der Entnahme ist bei der FUE-Technik natürlich größer, da man zwischen den Bohrlöchern gesunde Areale stehen lassen muss, damit es nicht zu einer größeren Wunde kommt. Bei der FUE-Technik ist man auf die Entnahme von maximal circa 3.000 bis 4.000 Grafts pro Operationssitzung limitiert, da man bei Überschreiten einerseits schon in die Regionen kommt, wo der Haarausfall noch weiter voranschreiten kann und andererseits gewisse Qualitätsstandards einzuhalten sind. Unter anderem sollte die Dichte des Haarkleides im Entnahmebereich nicht zu stark ausgedünnt werden. Mit anderen Worten: Man sollte nur dort entnehmen, wo die Haare mit Sicherheit gegenüber dem männlichen Testosteron hormonresistent sind. Bei der FUT-Technik rasiert man lediglich den Streifen, der dann Stoß auf Stoß vernäht wird, sodass man direkt nach Entnahme keine kahle Stelle mehr sieht", so das Fazit von Dr. Jehle bezüglich Pros und Contras beider Methoden. Letztlich haben laut Dr. Jehle nach wie vor beide Techniken ihre Daseinsberechtigung – je nach konkretem Fall des Patienten.
Beide Methoden sind zufriedenstellend
Zeit spielt auch bei der Haartransplantation eine entscheidende Rolle. Der Eingriff sollte genau getimt sein, denn die Follikel kommen, gleich welcher Methode, in eine Nährlösung, in der sie nicht zu lange liegen sollten, denn für sie bedeutet eine Entnahme operativen und oxidativen Stress. Neben dem Ziehen der Kopfhaut durch die Tumeszenzlösung, die unter die Kopfhaut gespritzt wird, verspürt man einen gewissen Druck, aber außer dem Pieks der örtlichen Betäubung ist der Eingriff weitgehend schmerzfrei und unproblematisch. Das Einpflanzen geschieht wie bereits erwähnt bei beiden Methoden gleich: Die Transplantationskanäle werden durch eine Hohlnadel gesetzt, die Grafts anschließend mit einer feinen Pinzette eingesetzt. Auch an dieser Stelle kommt eine örtliche Betäubung zum Einsatz.
Summa summarum liegen Haartransplantationen bei einem Zeitaufwand von drei bis zu sechs Stunden. Die Kosten berechnen sich je nach Aufwand des zu behandelnden Areals und sind von behandelnder Klinik unterschiedlich bemessen. Nach einer internationalen Studie liegen in Deutschland die Kosten pro Graft bei 2,93 Euro, folglich würde man bei 2.500 implantierten Grafts mit insgesamt 7.173,39 Euro rechnen müssen (Quelle: www.haartransplantation-vergleich.de)