Hundert Tage „Schonfrist“ sind vorbei. Aber so lange hat die neue Luxemburger Regierung nicht mit ihrem ersten großen Aufregerthema gewartet. Dabei steht das Land vor einigen beachtlichen Herausforderungen.
Viele Jahre schien das kleine Großherzogtum wie eine glückliche Enklave, in der es sich gut leben ließ. Das Land führte die Liste der reichsten Länder an, Wachstum und Wohlstand schienen einprogrammiert. Selbst Finanzskandale („Luxleaks“ deckten 2014 Steuervermeidungsmodelle für internationale Konzerne auf) schienen dem Land wenig anhaben zu können.
Erst allmählich wurde klar, dass sich das prosperierende Luxemburg mit mehr Problemen herumschlagen muss als nur dem schier unauflöslichen Dauerstau infolge der immer weiter steigenden Pendlerzahlen.
Wohlstand schwächelt
Im Wahlkampf des vergangenen Jahres stand das Thema Wohnungsmangel ganz oben auf der Agenda. Die Luxemburger wählten im vergangenen Herbst nach zehn Jahren die liberal-sozialistisch-grüne Koalition von Xavier Bettel ab. Sie wollten einen Wechsel – aber nicht so ganz. Die konservative CSV wurde stärkste Kraft, ihr Spitzenkandidat Luc Frieden vereinbarte mit den Liberalen eine Koalition, der ehemalige Regierungschef Xavier Bettel wurde Außenminister. Die zuvor mitregierende Arbeiterpartei LSAP und die Grünen müssen nun in der Chamber, dem Parlament, Oppositionsarbeit verrichten.
Gerade mal fünf Wochen brauchten die neuen Regierungspartner, um ihren Koalitionsvertrag unter Dach und Fach zu haben. Am 17. November 2023 wurde dann die Regierung vereidigt, am 22. November verkündete Luc Frieden in seiner ersten Regierungserklärung, was sich die Partner laut Koalitionsvertrag vorgenommen hatten.
Um das Mehrfachdilemma aus fehlendem Wohnraum, zu teuren Wohnungen und gleichzeitiger Krise in der Baubranche aufzulösen, sollten Steuern gesenkt und Vorschriften vereinfacht werden. Dazu gehörten auch Umweltauflagen. „Umweltpolitik ist ganz wichtig für diese Koalition, aber sie soll andere Projekte nicht blockieren“, sagt Luc Frieden. Dabei betont sein Koalitionspartner Xavier Bettel, dass das kein Dumping in Sachen Umwelt sein soll: „Das ist keine Majorität, die gegen Klimapolitik ist oder die kein Herz für Soziales hat. Im Gegenteil.“
Steuersenkungen, um die Wirtschaft anzukurbeln, mehr Engagement für Innere Sicherheit und die Gesundheitsversorgung stehen ebenfalls als große Schwerpunkte im Koalitionsvertrag.
Das liest sich alles zunächst nach vergleichsweise normaler Regierungspolitik für ein Land, das wie alle anderen die Folgen der Pandemie noch nicht wirklich verkraftet hat und gleichzeitig die Folgen des Kriegs in der Ukraine samt allen globalen Verwerfungen zu spüren bekommt.
Der leise Abstieg von Platz eins der wohlhabendsten Länder kam schleichend. 2022 wurde das Großherzogtum in den Statistiken entthront. Nach den Zahlen von Eurostat, der europäischen Statistikbehörde, ist nun Südirland, gemessen am Bruttoinlandsinlands, Spitzenreiter. Luxemburg liegt mit dem 2,57-fachen des EU-Durchschnitts „nur“ noch auf Platz zwei. Und 2022 verzeichnete Luxemburg lediglich einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,4 Prozent (Deutschland: 1,8 Prozent, EU-Durchschnitt: 3,5 Prozent). In Luxemburg schwächelt vor allem die Industrie. Aber die hat ohnehin dramatisch an Bedeutung verloren.
Das Land habe „nicht mehr genügend Wachstum“, argwöhnte das Luxemburger Statistikamt Statec. Die Wirtschaft wachse nur wenig, gleichzeitig nehme die Bevölkerungszahl zu, zuletzt jährlich um zwei Prozent. Statistisch sinkt also das Pro-Kopf-Wachstum.
Das macht sich letztlich auch bei den Staatsfinanzen bemerkbar. In dem eigentlich wohlhabenden Land haben die Jahres-Ausgaben die Steuereinnahmen im vergangenen Jahr überschritten, in diesem Jahr wird es ebenfalls so sein. Luxemburg ist eigentlich seit Langem einen ausgeglichen Haushalt gewöhnt, in etlichen Jahren wurden sogar Überschüsse erzielt.
Und in dem reichen Land wird Armut inzwischen auch sichtbar. Der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen liegt bei um die 20 Prozent (Quelle: Statista), und das in einem Land, in dem jeder fünfzehnte Einwohner Millionär ist. Nach Berichten des „Luxemburger Wort“ zählte Luxemburg im Jahr 2022 rund 46.000 Millionäre (bei rund 660.000 Einwohnern).
Ein großes Problem liegt nicht nur in den schon beschriebenen rasant steigenden Immobilien- und Mietpreisen insgesamt, sondern auch darin, dass sozialer Wohnungsbau offensichtlich in der Vergangenheit vernachlässigt wurde. Ein Anteil von lediglich zwei Prozent an den Gesamtwohnungszahlen ist im internationalen Vergleich extrem niedrig.
Die neue konservativ-liberale Regierungskoalition hat also einige Aufgaben auf der Agenda. Schlagzeilen gemacht hat sie allerdings erst einmal mit etwas ganz anderem, nämlich einem „Bettelverbot“. Das sorgt bis heute für heftige Diskussionen in Bevölkerung und Medien.
Management für „Luxemburg S.A.“
Die frühere Innenministerin Taina Boffering (LSAP) hatte noch eine entsprechende Vorlage zurückgewiesen, ihr Nachfolger Léon Gloden (CSV) hat das Bettelverbot ausgerechnet ein paar Tage vor Weihnachten durchgewinkt. Damit sollte vor allem aggressives und von Banden organisiertes Betteln in der Landeshauptstadt bekämpft werden. Das war allerdings schon vorher möglich, jetzt gilt das Verbot für jede Form des Bettelns. Das Problem sei juristisch und nicht moralisch zu beurteilen, befand der Minister.
Was den landeweiten Proteststurm zusätzlich befeuerte: Der Innenminister ließ Polizisten aus anderen Landesteilen nach Luxemburg Stadt abordnen, um das Verbot durchzusetzen. Und das, wo zuvor bereits schon über zu wenig Polizeipräsenz geklagt wurde. Der Gemeinderat von Esch etwa forderte vor wenigen Tagen seine Polizisten zurück. Der Minister verwies darauf, es ginge nicht nur um die Durchsetzung eines Bettelverbots, sondern auch um Bekämpfung beispielsweise der Drogenkriminalität in der Hauptstadt. Das Ganze schlägt weiter hohe Wellen.
Derweil gibt sich der neue Regierungschef Luc Frieden eher als Manager denn als Staatenlenker. Kritiker befanden, seine erste Regierungserklärung hätte einem „Business-Plan“ für eine „Luxemburg S.A.“ geglichen, frei nach dem Motto: „economy first, everything else second“. Er will die Wirtschaft wieder voranbringen, vorrangig mit Steuererleichterungen und dem Abbau bürokratischer Vorschriften.
Tania Boffering, als LSAP-Fraktionschefin jetzt sozusagen Oppositionsführerin, befand nach der Regierungserklärung, die Regierung habe „schon jetzt einen Fehlstart hingelegt“. Sam Tanson, Parteisprecherin der Grünen, fürchtet wegen des wirtschaftsfreundlichen Kurses, der zudem auf Sparmaßnahmen setzt: „Schwarz-Blau könnte für die Bürger richtig teuer werden.“ Und sie zeigt sich verärgert, dass die neue Koalition alte Gräben neu aushebt, wenn etwa erklärt wird, man wolle eine Klima- und Umweltschutzpolitik, „die begeistert“ und „nicht nervt“. Alles in allem eine Regierungserklärung von Luc Frieden „wie eine Rede in der Handelskammer“. Der Sprecher der Luxemburger Piratenpartei, Sven Clement, fühlte sich dabei an die Geschichte von Robin Hood erinnert, „nur umgekehrt“.
Um die Beschaulichkeit im kleinen Luxemburg scheint es jedenfalls nicht mehr so gut bestellt.