Noch gibt es sie, die Berufsfischer. So wie die Familie Böttcher, die im brandenburgischen Neuglobsow den Stechlinsee auf nachhaltige Weise befischt. Als Spezialität der Böttchers gilt die Maräne, eine lachsartige Fischart.
Es ist still auf dem Gelände der Hoffischerei. Am Ruhetag schleicht nur die Hofkatze herum. Aber man erkennt gleich, dass dies der Hof einer Fischerfamilie ist. Ein flaches weißes Haus, davor Holzbänke und Tische. Am Ufer ankern Boote. In einem der Boote liegt ein Kescher, und die Fangnetze für die Maränen sind mit einer Plane überzogen. Rainer Böttcher sitzt am Tisch im Garten und plaudert über das Fischen und die Familie. Er ist Fischer wie schon sein Vater, Großvater und Generationen vor ihm. Opa Kurt baute die Fischerei am Stechlinsee auf, als er 1948 aus Westpreußen kam. Er suchte eine neue Herausforderung und blieb im Norden Brandenburgs. Vielleicht war das Sprichwort ausschlaggebend: Der Fischer wirft die Netze aus, wo das Wasser am ruhigsten ist. Das weiß allerdings keiner so genau. Jedenfalls war es das klarste Wasser, das er je gesehen hatte, so erzählte es sein Opa. Das nährstoffarme Wasser sei gut für die Maränen. Sein Opa war der erste bekannte Böttcher in der Gegend, der als Fischer mit der Maräne sein Brot verdiente. Das hat Rainer Böttcher auf seiner Website festgehalten.
Nährstoffarmes Wasser gut für Fische
„Ich wurde nicht mit Angel und Gummistiefeln geboren. Habe dann nach Überlegungen, ob Autoschlosser oder Fischer, doch den Beruf von Vater und Großvater gewählt." Heute ist er froh darüber. Auch seinem Sohn Martin ging es wie ihm. Nach dem Abschluss der Lehre als Lebensmitteltechniker entschied er sich für die Fischerei und machte nochmals eine Ausbildung und seinen Meister. Mittlerweile ist der 34-Jährige in den Beruf hineingewachsen. Um 6 Uhr am Morgen beginnt für Vater und Sohn der Tag, wenn es zum Fischen geht. Sie ahnen, wo sich die Fische aufhalten. Nämlich dort, wo das beste Nahrungsangebot auf sie wartet. Das ist allerdings von Jahreszeit und Temperatur abhängig. Die Maräne beispielsweise hält sich, außer zum Laichen, im tiefen Wasser auf. Dort zieht sie in Schwärmen, dem Hering ähnlich, durch den See auf der Suche nach Plankton, ihrer Nahrungsquelle. „Mit unseren zehn Meter hohen Netzen, die wir auf einer Seite beschweren, sodass sie senkrecht im Wasser stehen, werden sie hineingelenkt", erklärt Rainer Böttcher. „Es passiert sogar, dass wir tagelang nur eine einzige Maräne fangen. Aber Hechte, Barsche, Aale, Rotaugen und Rotfedern haben wir fast immer im Netz." Nach dem Fang werden die Fische geräuchert und kommen in den Direktverkauf im Hofladen. Vor über 30 Jahren ein waghalsiges Ereignis, doch es gelang und gab der Stechliner Fischerei Aufschwung. Wie in den Anfangsjahren werden die Fische wegen der schnellen Verderblichkeit nur regional vermarktet. Vom Fisch über die Salate bis zu den Marinaden ist alles hausgemacht. Die Maräne gibt es gebraten, geräuchert oder sauer eingelegt. Sie ist 25 Zentimeter groß, das Fleisch des lachsartigen Fisches ist fest, hell und grätenarm. „Das EU-Life-Projekt hat in unser fischereieigenes Bruthaus investiert, mit der Verpflichtung, keine Maränenbrut aus anderen Gewässern außer dem Stechlinsee innerhalb des Naturparks zu verwenden."
Wenn Reparaturen an den Booten oder in der Lagerhalle notwendig sind, kann ein Arbeitstag auch mal bis Mitternacht dauern. In der Vergangenheit habe es auch Angebote gegeben, in die Gastronomie einzusteigen. Aber da behielt die traditionelle Vorsicht Oberhand. „Wir wollten Fischer bleiben. Beides geht nicht. Wo hat man sonst so viel Freiheit? Es gibt keinen, der uns bei der Arbeit reinreden kann. Und wenn du dann morgens auf den See rausfährst und während des Sonnenaufgangs die Vögel zwitschern hörst oder der Seeadler bis auf zehn Meter Abstand unseren Kahn umkreist, möchtest du mit niemandem tauschen." Es gibt Tage, da beobachten die Kormorane die Fischer. Aber es gibt keine spektakulären Jagden auf die Maränen. Mehr als 30 Meter tief taucht keiner der Vögel, mögen sie noch so angriffslustig sein.
Vater Adolf ist in den Ruhestand gegangen. Immerhin hat er noch bis kurz vor seinem 88. Geburtstag auf dem Hof gearbeitet – doch ganz aufgeben kann er nicht. Er kommt fast täglich zum Helfen. Der Dienstagmorgen ist ein fester Tag in seinem Terminkalender. Er bekommt das größte Netz mit den Maränen zum Putzen. Die vielen kleinen Fische, die sich im Netz gefangen haben, setzt er wieder in den See. Böttchers haben sich auf nachhaltige Fischfangmethoden spezialisiert und richten sich seit 25 Jahren nach den festgelegten Fangobergrenzen. Was dagegen nicht im Räucherofen landet, ist die Fontane-Maräne. Der Neuglobsower Biologe Michael Schulz und sein Berliner Kollege Dr. Jörg Freyhof vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin (IGB) haben im Jahr 2000 die neue Fischart, die nur im Stechlinsee vorkommt, entdeckt. Während ihrer Forschungen fanden sie heraus, dass der kleine Fisch, Stechlin-Maräne genannt, im Gegensatz zu seinen Verwandten im Frühjahr laicht und sich in tieferen Schichten des Sees aufhält. „Es ist eine andere, eine neue Fischart und hat sich erst nach der letzten Eiszeit, also vor weniger als 12.000 Jahren entwickelt", sagt Schulz. Nur darf sich der See nicht verändern und zu viel Sauerstoff verlieren. Es wird viel auf Nachhaltigkeit geachtet, da der See im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land liegt. Das Ufer bleibt unverbaut. Es dürfen nur die Fischer und Forscher mit Bootsmotoren auf den See fahren.
Evolutionsbiologisch eine Sensation
Manche Gäste hoffen, sie bekommen die Fontane-Maräne auf dem Teller serviert. „Da müssen wie sie enttäuschen. Das geht aus Artenschutzgründen nicht", erklärt Rainer Böttcher. Denn der Stechlinsee ist der einzige Ort der Welt, an dem diese Art vorkommt. „Aufgrund ihrer Größe, etwa zehn bis zwölf Zentimeter, können wir den Fang durch die Maschenweite der Kiemennetze ganz leicht vermeiden." Er ist aus wirtschaftlicher Sicht uninteressant, evolutionsbiologisch betrachtet aber ist der kleine Fisch eine Sensation. Zu Ehren des märkischen Heimat-Dichters Theodor Fontane, der den See in seinem Roman „Der Stechlin" berühmt machte, wurde die neue Art Coregonus fontanae – Fontane-Maräne – benannt.
Wirtschaftskrisen und Corona haben die Stechlin-Fischer überstanden. Gibt es ein Geheimrezept? „Wir sind sehr vorsichtig", erklärt Rainer Böttcher. Es gab von Beginn an keine gewagten Investitionen. Es ist ein ziemlich freies, jedoch an bestimmte Regeln gebundenes Leben, mit schwankendem Einkommen und durchaus nicht schlechten Zukunftsaussichten. „Wir hoffen, dass der See nicht zu viel Sauerstoff verliert"; ein Problem, das auch Experten beschäftigt. Im Seelabor des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, das sich am anderen Ufer befindet, werden die Auswirkungen von Klimawandel, Licht- und Luftverschmutzung der Seen untersucht, so auch im Stechlinsee.
Der Fischer spekuliert nicht gern darüber, was kommen könnte. Er ist ein Mann der Gegenwart, der gelassen jeden Tag nimmt, wie er ist. Die Corona-Krise kam für viele Menschen plötzlich und in einem unerwarteten Ausmaß. Der Lockdown glich somit auch für die Fischerfamilie einem unfreiwilligen „Experiment". Das haben sie gut gemeistert. Der Kiosk wurde nicht geschlossen. Nur draußen im Biergarten sitzen, das ging nicht. „Wir haben frischen Fisch verkauft und Kochtipps dazu geliefert. Denn die Leute wussten anfangs nicht, wie er zubereitet wird. Die Maräne schmeckt sowohl geräuchert als auch gebraten. Vor dem Braten sollte man sie leicht salzen und mit Mehl bestäuben. Und die Zitrone zum Beträufeln nicht vergessen.
Die Fischerei ist aufgrund ihrer Lage ein beliebtes Ausflugsziel. In drei Stunden hat man den See erwandert. Gerade an schönen Wintertagen, wenn alles still ist und der Raureif auf den Eichen, Buchen und Kiefern glänzt. Sogar in der kalten Jahreszeit öffnen die Stechlin-Fischer ihren Kiosk. Allerdings sollte man die Öffnungszeiten beachten.