Nicht nur die legendären Weine machen das Burgund zu Frankreichs Schlaraffenland. Dijon-Senf wird heute zwar in aller Welt hergestellt, doch in seiner Heimat produziert eine Manufaktur die Spezialität mit lokalen Zutaten auf traditionelle Weise. Ein echt scharfes Vergnügen.
Wer an den Samen schnuppert, riecht erst einmal: nichts. „Nur Mut“, sagt dann aber Marc Désarménien. Der Patron der Moutarderie Fallot ist ein sympathischer Gastgeber. Wenn auch er zur Qualitätskontrolle die Rohware kostet: Was soll da schon schiefgehen? So lässt man alle Vorsicht fahren und zerkaut ein paar der Körner. Süßlich und leicht nussig schmecken die Winzlinge. Dann wird es aber schnell deutlich herber. Plötzlich ist auch die Schärfe da: Wärmend breitet sie sich im Mundraum aus, zieht brennend wie ein Feuerstoß durch die Nase, treibt einem Tränen in die Augen. Irre, was dieser Senf an Power hat!
Bis sich die rotbraunen, grau schimmernden und pechschwarzen Körner zur Senfpaste vereinen, dauert es zwar noch. Doch dann heißt es: Einmal probiert, für immer verführt. Wer in der Kleinstadt Beaune, gelegen mitten im Burgund, einmal die Manufaktur Fallot besucht hat, macht um industriell produzierte Massenware mit Zutaten aus aller Welt künftig einen Bogen.
„Gut gemachter Senf ist ein tolles Gewürz: Ein Klacks, und er macht fast jedes Gericht noch einen Tick besser“, meint Marc Désarménien. Seit 1840 gibt es seinen Betrieb, es ist im Burgund der letzte in Familienbesitz. Aus aller Herren Länder kommen deshalb Touristen, um die gläserne Produktion zu erleben. Ausgezeichnet mit dem französischen Siegel als lebendes Industrieerbe, erklärt Fallot den ganzen Prozess der Senfherstellung. Naja, fast: „Die alten Rezepte behalten wir für uns.“
„Senf aus dem Burgund ist heute auf der ganzen Welt bekannt. Die Tradition gibt es seit dem Mittelalter“, weiß Christian Poyer. Der joviale Genussmensch ist Präsident der Confrérie de la Moutarde de Dijon, der lokalen Senfbruderschaft. In historischen – senfgelben – Kostümen informieren die Mitglieder über die Geschichte der lokalen Spezialität. Zwar stammt die Pflanze aus Asien, und es war der Römer Columella, der das erste Rezept zur Senfherstellung veröffentlichte. Dass man in Frankreich, England und Spanien von Moutarde, Mustard und Mostaza spricht, geht auf sein „mustum ardens“ zurück, den brennenden Most.
Kein anderer Ort ist so bekannt für die Senfherstellung wie Dijon, weil sich dort lange Zeit besonders viele Fabrikanten tummelten und den Namen der Stadt in alle Welt trugen. Lokalpatriot Christian Poyer verweist auch auf das Haus Burgund, das einst zu den mächtigsten Herrscherfamilien Europas zählte. „Moult me tarde“ war das Motto von Philipp dem Kühnen, was sich mit „viele erwarten mich“ übersetzen lässt. Weil der Ritter und sein Gefolge ständig in Kämpfe verwickelt waren, kannte man die Reiter landauf, landab bald als „Moustardiez de Dijon“. Dass bei den Gelagen reichlich Senf zum Fleisch aufgetischt wurde, versteht sich von selbst: Schließlich reisten die Ritter stets mit genügend Vorrat.
In Dijon dreht sich viel ums gute Essen
Heute gibt es in Dijon – Ironie der Geschichte – keinen Senfhersteller mehr, obwohl viele Firmen weiterhin mit dem Namen der Stadt werben. In einer Zweigstelle der Manufaktur Fallot können Besucher bei einem Workshop zwar ihren eigenen Senf herstellen, doch das Original wird 40 Kilometer weiter im Städtchen Beaune produziert. Vor der Degustation lohnt es sich aber, ein paar Haken zu schlagen, um auch anderswo Spezialitäten ins Reisegepäck zu laden – Anis-Bonbons aus Flavigny, Cassis-Likör aus schwarzen Johannisbeeren von Nuits-Saint-Georges, duftender Gewürzkuchen und ein paar Sorten (noch stärker duftenden) Rohmilchkäse wie Epoisses oder Soumaintrain.
Weinbergschnecken lässt man sich dagegen lieber im Restaurant servieren, genauso wie die in Rotwein gegarten Stücke vom Charolais-Rind im Schmortopf „Boeuf bourguignon“.
In Dijon, Hauptstadt des Burgund mit schmucken Patrizierhäusern und gefühlt 100 Türmen, dreht sich selbst für französische Verhältnisse in den Bars, Bistrots und Brasserien viel um gutes Essen. Im vergangenen Mai hat außerdem der Fresstempel „Cité de la Gastronomie et du Vin“ eröffnet, mit Schulen für angehende Köche und Sommeliers, kulinarischen Boutiquen, Restaurants und einer Weinbar, die 250 Weine im Glas ausschenkt.
Wo all der Chardonnay und Pinot noir wächst, sieht man dann bei der Weiterfahrt nach Beaune. Die Route des Grand Crus – Frankreichs erste Weinstraße – führt quer durch die prestigeträchtige Weinbauregion. Pommard, Corton-Charlemagne, La Romanée-Conti, Meursault sind einige der weltberühmten Lagen. Die Climats, wie die oft winzigen ummauerten Parzellen heißen, zählen heute zum Unesco-Kulturerbe. Ein Teil der Ernte wird jeden November bei einer Wohltätigkeitsauktion des historischen Hospices de Beaune versteigert – jeder im Burgund, der etwas auf sich hält, bietet mit. Reifen darf der flüssige Schatz dann tief unter der Erde: Die Gewölbekeller des Händlers Patriarche Père et Fils sind fünf Kilometer lang.
80 Prozent der Ernte kommt aus Kanada
Im Herbst sind es im Burgund die Weinberge, die sich bunt färben. Dass es jetzt ab Mai in der Ebene unterhalb der Rebflächen überall golden leuchtet, liegt aber am blühenden Senf. „Kanada steht für 80 Prozent der globalen Ernte. Deshalb steckt im meisten Dijon-Senf kein Körnchen aus dem Burgund. Das weiß leider kaum jemand“, meint Damien Beaumont, der selbst auf 800 Hektar Land rund ums Dörfchen Barges Senf anbaut. „Dijon-Senf wird durch das Rezept und nicht die Herkunft definiert und darf überall auf der Welt hergestellt werden.“
Fallot in Beaune setzt dagegen ausschließlich auf die Bauern der Region. Weil der Nachschub an Körnern wegen Missernten gerade knapp ist, darf man in der Boutique nur drei Gläser pro Person kaufen. Süßen und mittelscharfen Senf wie in Deutschland gibt es dort aber nicht: In Frankreich steht man auf die volle Ladung an Schärfe, weshalb die intensiv schmeckenden und nicht entölten Samen des Braunen Senfs verwendet werden. Die Mühlsteine sind bei Fallot übrigens noch wie anno dazumal aus Granit – das sorgt beim Mahlen für niedrige Temperaturen und dadurch mehr Aroma.
Wie der Prozess abläuft, sieht man beim geführten Rundgang durch große Glasfenster. „Die Körner werden geschrotet, dann kommen Essig oder Wein und Salz dazu“, erklärt Marc Désarménien. Die Maische darf bei ihm lange fermentieren – was wohl einer der Gründe ist für das besondere Aroma des Endprodukts. Neben traditionell körnigem und klassisch fein gemahlenem Senf gibt es eine ganze Palette an besonderen Geschmacksrichtungen – Basilikum, Burgundertrüffel, Estragon, Johannisbeeren, Spekulatius, Honig, Walnüsse, Chili der Sorte Piment d’Espelette und grüner Pfeffer aus Madagaskar. Besonders stolz ist der Patron aber auf den mit Weißwein aus der fürs Burgund so typischen Aligoté-Traube verfeinertem Senf: Dessen Trauben werden gleich um die Ecke gekeltert.