Das Korso-op. Kollektiv beschäftigt sich in seiner neuen Produktion mit der Geschlechtergleichheit. Kollektiv-Mitglieder Nina Schopka und Nadia Migdal über Sexismus im Schauspielberuf, warum Männer eine Emanzipation brauchen und warum ein Ensemblemitglied ausgestiegen ist.
Nina, Nadia, in dem neuen Stück Eures Kollektivs geht es um die Gleichstellung beziehungsweise Ungleichstellung von Männern und Frauen. Ein aktuelles und brisantes Thema.
Nina: Ja, das ist schon seit ein paar Tausend Jahren aktuell (lacht).
Nadia: Es betrifft einen ja auch selbst und ist ein Thema, das diskutiert wird. Es hat eine Relevanz, auch für uns, wir arbeiten ja mit Themen, die uns selbst umtreiben.
Nina: Das Thema stand schon vor drei Jahren auf unserer Liste. Das Spezielle an dem Thema ist, wie Nadia sagt, dass wir im Kollektiv potenziell Betroffene sind.
Inwieweit seid Ihr betroffen?
Nina: Es betrifft alles. 24 Stunden seit 51 Jahren (lacht).
Nadia: Indem man sich damit beschäftigt, werden einem bestimmte Mechanismen klar, die auf einen einwirken. Es gibt viele Ereignisse – Dinge, die im System schiefliegen, die einem bewusster werden.
Nina: Auch im Alltag. Vor Kurzem ging ich nachmittags auf der Straße und ein Mann kam mir entgegen, den ich gar nicht kannte, den ich noch nicht mal anschaute. Ich machte sogar noch Platz, und dann drängte er mich eben mal so mit seinem Körper gegen die Hauswand. Da kommt eine Frau und ich zeig ihr mal als Mann, was ich draufhabe. Das werden Männer sicher selten erleben. Ich könnte 50 oder 100 solcher Beispiele aufzählen. Vom „harmlosen“ Alltagssexismus bis hin zu sexualisierter Gewalt.
Nadia: Das ist eine Macht-Demonstration.
Nina: Ich glaube, jede Frau hat da eine nicht enden wollende Liste und häufig wird das in unserer Gesellschaft heruntergespielt: ‚Ach, mein Gott‘ und ‚Jetzt hab Dich nicht so.‘ Aber wo ist denn die Grenze, wo ist es denn nicht mehr ‚Ach, mein Gott‘, weil es um Gewalt bis hin zu Tötung geht. Ich denke, die Grenze muss ganz am Anfang gezogen werden.
Nadia: Frauen werden ja viele Verhaltensmuster, die wir zu erfüllen haben, von klein auf suggeriert.
Suggerierte Verhaltensmuster gibt es bei Männern aber auch …
Nina: Ja, es ist ja so, dass sich Männer innerhalb dieses Systems auch komplett amputieren. Die bräuchten ja ganz dringend eine Emanzipation. Man muss nur mal schauen, was sich pubertierende Jungs in ihrer Mannwerdung alles verbieten. Das ist unglaublich. Männer dürfen nicht tanzen, singen, keine bunten Sachen tragen. Dürfen nicht zärtlich, empathisch sein, oder Schwäche zeigen. Und es gibt Bereiche, wo das bis zum Exzess betrieben wird, wie bei der Polizei und dem Militär.
Wie begegnet Euch die Ungleichstellung in Eurem Beruf als Schauspielerinnen?
Nina: Wir werden häufig schlechter bezahlt als die Männer.
Nadia: Hier im Kollektiv natürlich nicht.
Nina: Aber in institutionellen Theatern ist es vielfach noch so üblich.
Nadia: Das fängt schon auf der Schauspielschule an. Was man sich als Frau alles gefallen lassen soll. Man wird angeschrien und angefasst, und dann heißt es: ‚Ja, das gehört halt dazu .‘ Manchmal bespricht man sich mit Kolleginnen, bevor man zu einem Vorsprechen geht. Dann hört man schon mal, dass der Intendant ein Grabscher ist, dass man vorsichtig sein soll. Seit „MeToo“ entsteht da aber so langsam mehr (Selbst-)bewusstsein.
Nadia: Es gibt ja viel mehr Intendanten als Intendantinnen und viel mehr Regisseure als Regisseurinnen. Theater ist ein extrem hierarchisch aufgebautes System und massiv männlich dominiert. Für die Ensembles werden in der Regel auch nur ein Drittel Frauen und zwei Drittel Männer engagiert. Das löst sich zwar mittlerweile auf, aber nur sehr langsam.
Wie geht Ihr mit Eurem Stück an das Thema ran?
Nina: Es ist wie immer eine Collage. Wir versuchen, das Ganze zu umkreisen und verschiedene Aspekte einzufangen. Inhaltlich ist zum Beispiel ein Aspekt, den Bogen zwischen politisch rechtem Denken und Sexismus zu spannen. Ein Anliegen von uns ist aber auch, nicht wieder ein Stück über Männer zu machen. Das war ein Problem in den ersten Fassungen, die wir erarbeitet haben. Natürlich geht es um ein männlich dominiertes System, wir wollten aber nicht deshalb 80 Prozent der Texte für die Männer haben. Die Frauen sollten in dem Stück nicht wieder im Schatten stehen. Wir haben drei Männer und drei Frauen auf der Bühne. Und wir legen den Fokus auf die Frau. Die Frau ist das, worum es geht. Das ist nicht so einfach, wenn man so sozialisiert ist wie wir.
Das Thema ist sehr ernst …
Nina: Es wird auch komisch werden. Eine gewisse Erbarmungslosigkeit ist bei uns ja immer dabei. In der Probe sagen wir oft: ‚Leute, jetzt ist mal gut, wir dürfen nicht nur Komödie machen‘ (lacht).
Wie kommen die männlichen Kollegen mit dem Thema klar?
Nina: Wir haben ein Kollektivmitglied verloren. Er sagte, er möchte sich für dieses Thema nicht starkmachen. Er glaubt nicht, dass die Frauen eine Gleichstellung wollen, sondern, dass sie die Männer unterdrücken wollen. Wir haben auch einen Förderer verloren, der uns schon seit fünf Jahren unterstützt hat. Er glaubt, das Thema schadet seiner Firma, und dass wir damit die Menschheit spalten. Da sieht man schon die Brisanz.
Das muss ein Schock gewesen sein …
Nina: Die Ausstiege gingen natürlich mit Gesprächen einher. Ich dachte dann, dass bei dem Kollegen und dem Förderer vielleicht manche Themen in ihrer Krassheit nicht so präsent sind. Aber dem ist nicht so. Das ist präsent. Aber da ist eine Empathielosigkeit, die fand ich am schockierendsten. Totale Empathiefreiheit. Das hat mich völlig fertig gemacht. Gerade mit dem Kollektivmitglied. Das ist ja ein Mann. Und ich bin eine Frau. Und wenn der mir sagt, er will sich für das Thema Gleichstellung von Mann und Frau nicht starkmachen, dann sagt er also: ‚Ich will mich nicht dafür starkmachen, dass du die gleichen Rechte hast wie ich.‘ Das sagt er mir dann nach langen Diskussionen ins Gesicht. Das hat mich am meisten verletzt und sprachlos gemacht. Das ist ja ein Mensch, mit dem ich schon viele Projekte gemacht habe. Das geht dann natürlich auch nicht weiter, weder privat noch beruflich.
Gibt es denn im Umkehrschluss auch Menschen, die gerade dieses Thema unterstützen möchten?
Nina: Es haben sich tatsächlich auch neue Leute starkgemacht. Frauen in bestimmten Positionen haben sich bemüht, dass gerade für dieses Projekt Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Eine schöne Aktion hat sich die Sparkasse überlegt, die auch zu unseren Förderern gehört. Die werden zum Weltfrauentag am 8.März Freikarten für unser Stück verlosen. Das ist das Positive.
Wie gehen die verbliebenen Männer im Ensemble mit dem Thema um?
Nina: Die wollen das und stehen voll dahinter.
Was erhofft Ihr Euch für eine Wirkung auf die Zuschauer?
Nina: Es immer die Frage, warum man so ein Stück macht. Gut ist, wenn es neue Aspekte, neue Blickrichtungen bewirkt. Wenn es positiv verstört, wenn etwas bewegt wird. Das fände ich genug.
Nadia: Dass Muster hinterfragt werden, dass etwas aufgerüttelt wird.
Nina: Es gibt ja vieles, von dem man gar nicht merkt, dass es eine Ungleichstellung mit sich bringt.
Der Zuschauer soll sich Gedanken machen …
Nina: Oh nein, so was hasse ich. Das klingt so lehrermäßig (lacht). Es soll ein lustvolles Sich-in-Widersprüchlichkeiten-Werfen sein, das Erfahren einer gewissen Bewegung, ein sinnliches Erleben.
Nadia, du lebst in Tel Aviv, welche Unterschiede zu Deutschland stellst du fest in Sachen Geschlechtergleichheit?
Nadia: Es gibt dort viel mehr konservative Gruppierungen in der Gesellschaft, bei denen man ganz deutlich merkt, wo patriarchalische Strukturen ansetzen. Die Geschlechterrollen sind verstärkt wahrnehmbar durch die verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Ich habe dort vergangenen November mein erstes eigenes freies Projekt realisiert. In einem ehemaligen Stripclub, der verwaltet wird von einer Organisation, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Das Gebäude gehört aber einer Immobilienfirma. Bei der Generalprobe war die Geschäftsführerin der Organisation da und hat dann gemeint, wir könnten dieses Stück so nicht aufführen. In unserem Abend geht es unter anderem um die Unterdrückung der weiblichen Sexualität und die Tabuisierung des weiblichen Geschlechts. Sie wollte nicht, dass wir so offen in dem Stück mit diesen Themen umgehen. Sogar Worte wie Geschlechtsverkehr oder Klitoris durften zum Beispiel nicht vorkommen. Und die Ironie war, dass uns Frauen schon wieder der Mund verboten wurde. Die Geschäftsführerin einer Organisation, die sich die Gleichstellung auf die Fahne geschrieben hat, macht sich zur Advokatin eines Systems, das wir kritisieren. Wir haben uns dann für die ersten beiden Vorstellungen auf einige Zensuren geeinigt, die wir aber szenisch offengelegt haben.
Könnt Ihr zu Eurem Stück hier in Saarbrücken noch etwas verraten? Gibt es zum Beispiel Besonderheiten in der Aufführung?
Nina: Es gibt was Besonderes, das verraten wir aber noch nicht (lacht). Was ich verraten kann: Das Publikum bleibt nicht in einem Raum. Und der Rahmen, in den das Ganze gesetzt ist, liegt zwischen Schauermärchen und Schaubudensensation. Es geht also rund!
Nadia: Das Eingebundensein des Publikums gehört ja bei uns immer dazu. Aber ohne Mitmachtheater!
Nina: Das wissen alle, dass ich das hasse (lacht). Aber über die Raumkonzeption ist man ein Teil des Ganzen. Es ist ja bei uns nie so, dass der Zuschauer irgendwo sitzt und nur auf etwas draufschaut. Sondern er befindet sich sozusagen mittendrin.
Was macht das Thema bei der Erarbeitung des Stücks mit Euch Frauen?
Nadia: Wenn ich mich mit etwas intensiv auseinandersetze, stoße ich immer auch auf neue Quellen, entdecke neue Blickwinkel. Und ich merke, dass auch ich meine Sehgewohnheiten aufbrechen muss.
Nina: Dadurch, dass man sich damit beschäftigt, ist man mit krassen Realitäten konfrontiert, die man zwar wusste, aber vielleicht nicht so differenziert betrachtet hatte. Das ist manchmal ganz schön herb. Da gibt es schon schockierende Angelegenheiten, die häufig aber trotzdem gesellschaftlich akzeptiert sind. Wichtig finde ich, dass man im Zuge der Emanzipation sich als Frau nicht zu einem Mann macht, und damit dieses System auch noch anreichert. Ich finde es wichtig, dass die Fähigkeiten und Potenziale der Frauen wieder wachsen dürfen. Vieles in der Gesellschaft wird unter männlichen Prämissen entschieden, wie Ratio, Sicherheit, Machtgewinn. Emanzipation ist für mich, dass den Potenzialen der Frauen wieder Raum gegeben wird. Und dass es dann ein Miteinander von Mann und Frau gibt, kein Gegeneinander.