Die Mundhygiene-Situation von Kindern nachhaltig zu verbessern ist die Idee von Start-up-Gründer Paul Varga und seiner Playbrush, einer interaktiven Zahnbürste. Mit Monsterjagden, Rettungsaktionen rund um die Zahnfee oder Flügen auf den Zahnstern sollen sich so die hartnäckigen Beläge erfolgreich vertreiben lassen.
Der Neunjährige steht eine Stunde vor seiner üblichen Aufstehzeit im Badezimmer: „Ich wollte schon mal Zähne putzen", nuschelt das Schulkind hinter seiner Handzahnbürste mit dehnbarem, interaktivem Aufsteckaufsatz, das ein Spiele-Controller ist, hervor. Dabei richtet der Bettflüchter den Blick konzentriert aufs Kindertablet, das er auf den Handtuchhalter neben dem Waschbecken platziert hat.
Spannung ist angesagt: Schließlich gilt es, innerhalb von zwei Abenteuerminuten nicht nur alle vier Quadranten im Mund gleichmäßig zu schrubben und dabei grüne Kariesmonster zu vertreiben. Vielmehr müssen verschiedene Aufgaben, wie morgens und abends putzen, im richtigen Tempo bürsten, die Innenseite nicht vergessen und einiges mehr erfüllt werden, um neun Medaillen beim Playbrush-App-Spielen zu verdienen und damit das nächste Level zu erreichen.

„Mama, ich bin weitergekommen", freut sich der Bub und wischt ein paar Zahnpasta-Spritzer vom Display. Okay, Badezimmer sind nicht wirklich auf elektronische Spielgeräte eingerichtet. Doch wenn sich Zahnputz-Pädagogik und unterhaltsame Motivation treffen, können sich die Eltern fürs Tablet-Platzieren auch noch eine bessere Lösung einfallen lassen. So wie die Erfinder von Playbrush, die regelmäßiges, sachdienliches Zähneputzen nach dem Kai-Verfahren – Kauflächen, Außenseiten, Innenseiten – zu möglichst vielen Kindern als interaktives Spiel bringen wollen. Zu bezahlbaren Preisen, teils auch als Spende.
Die Philosophie hinter einem Zahnbürsten-Game-Controller, der der Bürste auch bei kleinen Zahnputz-Muffeln Beine macht? „Die Mundhygiene-Situation nachhaltig zu verbessern", sagt Gründer Paul Varga, der Biohygiene studiert hat und der Ideengeber des Start-ups war. Bei seinem fünfjährigen Patenkind hatte der Wiener beobachtet, dass der Junge zwar brav zwei Minuten mit der Zahnbürste verbracht, diese aber während der 120 Sekunden überhaupt nicht im Mund bewegt hatte.
„Zähneputzen ist langweilig, aber notwendig", versuchte der Onkel dem Kind nahezubringen. Varga informierte sich: Zucker und schlechtes Putzverhalten führen nach wie vor zu unerfreulichen Zahnarztbesuchen. Karies, Parodontose und andere Krankheiten fallen über die ersten und auch die bleibenden Zähne des Nachwuchses her, verursachen im Mund und bei der Behandlung den Kindern teils monströse Schmerzen und den Eltern bedrohliche Kosten. „Es wäre so einfach, denn ein Brushing-Code könnte den Kindern zeigen, wie sie richtig putzen", überlegte er.
Sensoren verfolgen die Putzbewegungen

Die rettende Idee: Mit Monsterjagden, Rettungsaktionen rund um die Zahnfee oder Flügen auf den Zahnstern sollten sich die ruinösen Beläge erfolgreich vertreiben lassen. „Unsere Inspiration waren die Geschichten von Zahnmonsterchen, die Eltern ihren Kindern oft erzählen, um ihnen zu erklären, warum es wichtig ist, Zähne zu putzen", sagt Marketing-Managerin Felicitas Fliesser.
Aktion und Reaktion bilden seither die Basis fürs spielerische Zähneputzen. Kinder lieben Computerspiele, bei denen sie geschickt und schnell sein müssen, um ein höheres Level zu erreichen. Hier kommen beim Zahnputz-Durchstarter die kleinen Bakterienmonster ins Spiel, die verjagt werden müssen. Technologisch geht das so vor sich, dass Playbrush via Bluetooth und mithilfe von Bewegungs- und Geschwindigkeitssensoren die Putzbewegungen ins Spiel überträgt, das der kleine Zähneputzer auf dem Bildschirm seines Kindertablets oder Smartphones verfolgt. Die verbundenen Endgeräte, die es manchmal für etwa 50 Euro gibt, dürfen aus den Welten von iOS (Apple iPhone 4S / iPad 3 und iOS 8), Android (ab Android 4.4 KitKat mit Bluetooth Low Energy) und Kindle (ab 4. Generation Kindle Fire HD 2014 und Fire OS 4) stammen.
„Ein Beispiel: Zahnmonsterchen kommen von rechts am Bildschirm. Um die Zahnmonsterchen wegzuschrubben, müssen die rechten Außenflächen geputzt werden. Die Sensoren messen, ob wirklich dort geputzt wird und setzen die Aktion ins Spiel um", erklärt Fliesser. „Das Spiel registriert auch, welche Zahnflächen wie lange bereits geputzt wurden und setzt Anreize, dort zu putzen, wo noch nicht geputzt wurde." Im geschilderten Beispiel heißt das: Rechts außen wurde genug geputzt, deshalb kommen keine Monster von rechts mehr, sondern von links, denn dort wurde noch nicht gut genug geschrubbt.
Während Kinder mit den eigenen Putzbewegungen Flugzeuge fliegen, Bilder malen oder Monster besiegen, motiviert die App, ausreichend lang und alle Zahnseiten gleichermaßen gut zu säubern. Audio-Feedback sowie Auswertungen zum Putzfortschritt gibt es für Eltern oder Zahnarzt dazu. Zum Herbst hin gehören zur Playbrush-App elf Spiele, ein Zahnputz-Coach zum Erlernen der Kai-Technik sowie detaillierte Putzstatistiken.
Vier dieser Spiele sowie der Zahnputz-Trainer sind gratis. Für die weiteren Spiele sowie um Zugang zu den detaillierten und personalisierten Putzauswertungen zu bekommen, wird ein Spiele-Abo benötigt. Dieses ist der Marketing-Managerin zufolge ab 1,99 Euro monatlich erhältlich. Playbrush ist größtenteils online verfügbar: im eigenen Webshop und auf Amazon. Die Zahl der Handelspartner in Deutschland nimmt aktuell zu. In Österreich ist Playbrush flächendeckend in einer Drogeriekette erhältlich. Zusätzlich zum Spiele-Abo gibt es ein Zahnartikel-Abo (unter zehn Euro), das alle drei Monate neue Bürsten beziehungsweise Bürstenköpfe und Zahnpasta – dekoriert mit vielen Spielen – ins Haus liefert. „Kinder wechseln oft nur einmal im Jahr die Zahnbürste. Diese Keimsituation ist unhygienisch", begründet Varga das Push-Angebot.
Das Jungunternehmen mit Sitz in Wien und London hat seit der Gründung 2014 mehr als 175.000 Playbrushes in 25 Ländern verkauft und Investments im siebenstelligen Bereich eingenommen. Neben einem Co-Branding-Deal mit Unilever (Signal und Mentadent), sprangen auch Handelspartner wie Tchibo und Rewe auf den Trend „Connected Health" an. Playbrush wurde mit dem Health Media Award (2016) und dem Gamification World Award (2015) in der Kategorie „Best Technological Innovative Constribution" ausgezeichnet.
Obwohl noch nicht in den schwarzen Zahlen angelangt, lebt das Unternehmen bereits jetzt seine weitergehende Philosophie aus. „Als Playbrush gegründet wurde, haben wir für jede verkaufte Playbrush der ersten Generation ein Zahnbürstenpaket an eine Schule in Afrika geschickt. Wir planen am Ende dieses Jahres eine ähnliche Aktion", sagt Fliesser.

Das Putzverhalten über Instruktionen und Feedback verbessern, den Eltern die Möglichkeit geben, das Putzverhalten des Kindes nachzuvollziehen und gegebenenfalls an vernachlässigten Positionen des Kai-Systems einzugreifen? Klingt gut. Aber geht das auch mit der elektrischen Zahnbürste, die von vielen Dentisten empfohlen wird, wenn das bunte Putzkontrollgel im Zahnbehandlungsstuhl herkömmlich schlecht geputzte Stellen sichtbar macht? „50 Prozent der Neunjährigen putzen elektrisch, 50 Prozent manuell. Die Putzbewegung lernen sollten die Kinder mit Handzahnbürsten und später zur elektrischen Schallzahnbürste switchen", sagt Varga dazu. „Mit der Schallzahnbürste geht es mit der Playbrush-Systematik und -Motivation genauso weiter."
Zunächst kam Playbrush vor zweieinhalb Jahren als intelligenter Aufsatz für manuelle Handzahnbürsten unter dem Namen „Playbrush Smart" auf den Markt. Kurz nach der IFA in diesem September soll die in der Schweiz entwickelte „Playbrush Smart Sonic", eine Schallzahnbürste mit 17.000 Schwenkbewegungen pro Minute und extra weichen Indikator-Borsten, für die älteren Spiel-Putzer folgen. Beide Bürsten werden in der EU hergestellt und verbinden sich mit der gleichen Playbrush-App. Auch die Smart Sonic wird den Plänen nach unter 30 Euro zu bekommen sein. „Das soll so preiswert bleiben, damit Spätschäden für möglichst viele Kinder vermieden werden", erläutert Varga. „Man kann sehr viel mit der Prävention machen."
„Wer zu oft putzt, wird gesperrt"
Eher unabsichtlich wurde bereits jetzt eine noch ältere potenzielle Zielgruppe angesprochen. „Sehr, sehr viele der Eltern spielen und putzen auch dabei", weiß der Playbrush-Gründer aus Rückmeldungen. „In Zukunft wollen wir auch mehr in Richtung Zweier-, Dreier-Spiele machen: Es bringt mehr Freude für die Eltern, wenn mehrere gleichzeitig putzen." Dann braucht die Familie allerdings mehrere Aufsätze. Beim Nacheinander-Putzen hingegen können sich mehrere Personen kostensparend einen Aufsatz teilen, trotzdem eigene Spielerprofile anlegen und auf die App zugreifen.
Steigt mit dem Spielspaß nicht auch das Suchtpotenzial, besonders bei den Eltern? „Wer zu oft putzt, wird gesperrt", bescheidet Varga. „Wir hatten bereits Kandidaten, die zu viel geputzt haben."