Transportsysteme, Güterzüge, Autos, in denen kein Fahrer sitzt. Menschen und Maschinen, die zusammenarbeiten, während 3D-Brillen eine zweite Wirklichkeitsebene einblenden: Überall in Deutschland wird das hochleistungs- und anpassungsfähige Mobilfunknetz 5G dringend gebraucht. Ein Überblick über den Nutzen.
Ein flächendeckendes Netz für den Mobilfunk der fünften Generation, kurz 5G genannt: Das wünschen sich vor allem Automobilkonzerne und die verarbeitende Industrie, die im vierten industriellen Zeitalter 4.0 global mithalten wollen. Von mehr Durchsatz und höheren Kapazitäten sollen mit geeigneten Anwendungen zunächst Unternehmen in der smarten 5G-Fabrik profitieren und dabei Betriebskosten sparen. Einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom vom Mai zufolge, gab knapp die Hälfte (49 Prozent) der Industrieunternehmen ab 50 Mitarbeitern in Deutschland an, dass die künftige Verfügbarkeit von 5G für sie wichtig sei. Bei Großkonzernen ab 2.000 Mitarbeitern sind es sogar zwei Drittel (66 Prozent).
Das 5G-Netz wird – je nach Nutzung – nach drei unterschiedlichen Anwendungsbereichen passend und flexibel eingerichtet: Als ultraschnelles, mobiles Breitband (Enhanced Mobile Broadband), für Kommunikation zwischen Maschinen und Anwendungen (Massive Machine Type Communications, M2M), beziehungsweise als ein Hoch-Zuverlässigkeitsnetz mit kurzen Antwortzeiten (Ultra-Reliable and Low Latency Communications). Passend zum jeweiligen Anwendungsfall kann der Netzwerkbetreiber eine passende Scheibe aus der gemeinsamen Infrastruktur via „Network Slicing" virtuell „herausschneiden", als „Network-as-a-Service": Mit der maßgerechten Zuverlässigkeit, Kapazität, Reaktionszeit (Latenz) und Datenrate.
Osram Nutzer der ersten Stunde
Abgetrennt vom kommunalen Datenverkehr, damit Ressourcen fürs Unternehmen immer zuverlässig vorhanden und einzuteilen sind, zieht 5G gerade als Nachfolger von LTE in einem Campus-Netzwerk bei der Firma Osram im bayerischen Schwabmünchen ein. Erik Ekudden, Senior Vice President and Chief Technology Officer bei Ericsson, erklärt: „Unsere Kooperation mit Osram und der Deutschen Telekom bietet uns eine hervorragende Möglichkeit, die Anforderungen der Industrie an zukünftige Technologien weiter zu erkunden. Diese Art von Projekten hilft uns bei der Entwicklung unseres 5G-Produktportfolios im Bereich Industrie 4.0." Bei Osram kommen Roboter, die sich ohne Fernsteuerung autonom auf dem Werksgelände bewegen, mit W-Lan nicht weiter, weil sich die Hotspots der kabellosen Lan-Verbindungen für mobile, fahrerlose Transportsysteme nicht eignen. Das Roboterfahrzeug würde immer wieder stoppen, eine neue Verbindung aufbauen und erst dann weiterfahren. Für solche automatisierten Geschäftsprozesse des Internets der Dinge (IoT) in der Industrie 4.0 ist eine permanente Konnektivität extrem wichtig. „Unsere Kunden brauchen höchst zuverlässige, leistungsstarke Netzwerklösungen, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und die Anforderungen der Industrie 4.0 zugeschnitten sind", sagt Alex Jinsung Choi, Senior Vice President Research and Technology Innovation bei der Deutschen Telekom. „Durch die Zusammenarbeit mit unserem Partner Ericsson werden wir maßgeschneiderte Campus-Lösungen bereitstellen. Damit entwickeln und optimieren unsere Kunden, wie auch Osram, ihre Produktionsprozesse."
In sogenannten „Campus"-Lösungen lassen sich vor allem unternehmenseigene, abgegrenzte, lokale Campus-Netze mit eigenen Frequenzen maßschneidern. In geschlossenen, leistungs- und sicherheitsstarken, energiesparenden Funkwerken mit minimalsten Reaktionsverzögerungen werden die Daten im Produktionsprozess nicht unnötig und zeitraubend auf die Reise geschickt. Solche 5G-Architekturen sind nicht einfach, denn 5G allein ist nicht für alles die perfekte Lösung, außerdem eine komplett neue Technologie. Beratungshäuser und Telekommunikations-Provider helfen vor allem Mittelständlern dabei, konkrete Produktions- und Logistikprozesse mit 5G-basierten Ende-zu-Ende-Lösungen zu verbessern und zu verbilligen, sowie das 5G-Netzwerk aktiv zu managen. Telekommunikations-Spezialisten wie Ericsson integrieren den neuen Standard in die vorhandene Infrastruktur, nutzen dabei auch LTE im Firmennetz, zumindest für den Übergang.
Jüngst hat das finnische Unternehmen Haltian einen kostensenkenden End-to-End-Smart-Factory-Service auf den Markt gebracht. Bei dieser Lösung kombiniert Haltian die Thingsee-IoT-Plattform und industrietaugliche, umgerüstete Sensoren mit AWS-IoT-Greengrass-Edge-Computing und Private-LTE-Unterstützung, um den Weg für 5G zu ebnen.
Erste vernetzte Automobilfabrik
Der private Campus-Unternehmenskosmos soll übrigens auch mit öffentlichen 5G-Netzen zusammenarbeiten können, beispielsweise bei unterschiedlichen Produktionsstandorten. Umweltfreundliche Elektroautos bezahlbar herstellen, will das Automobil-Start-up „e.GO Mobile" in Aachen. Statt klassischer Produktionslinien, gibt es autonome Transportfahrzeuge, die das Chassis von Station zu Station bringen. Maschinen montieren Materialien und Software der Autos entsprechend den jeweiligen Kundenwünschen, nachdem die Fahrzeuge beim Produktionsstart berührungslos über Funk identifiziert worden sind. Mit der Serienproduktion des „e.GO Life" erhöhen sich die Zahl von Montagevorgängen und der Bedarf an Produktionsmaterialien. Deshalb müssen die Systeme in Echtzeit immer mehr Daten bewältigen und benötigen für ihr IoT-Netz 5G-Technologien, die von Vodafone und Ericsson an die erste vernetzte Automobilfabrik angepasst werden. „Daten sind ein wichtiger Treibstoff für die moderne Automobilproduktion. Umso wichtiger ist es, dass diese Daten die Produktionshalle nicht mehr verlassen", sagt Hannes Ametsreiter, Chef von Vodafone Deutschland. Die Daten werden in Echtzeit-Rechenzentren (MEC) direkt in der Produktionshalle verarbeitet. In der smarten Autofabrik kommen die 5G-Technologien „Mobile/Multi-Access Edge Computing/Cloud" (MEC) und „Network Slicing" sowie Bandbreiten im Gigabit-Bereich zum Einsatz. Transportfahrzeuge, Maschinen und Werkzeuge tauschen damit bei Latenzzeiten von wenigen Millisekunden Informationen aus – etwa über Standort, Batteriezustand oder zur Fahrroute.
Vernetzte Mobilitätsstandards, speziell Kommunikation via Celluar Vehicle-to-Everything (C-V2X), sollen nicht nur Verkehrsfluss und Ampelschaltungen optimieren, sondern allen Verkehrsteilnehmern mehr Sicherheit bescheren. Mit 5G und MEC entschwinden die Daten nicht erst mal in fernen Wolken und werden in kritischen Situationen nicht durch eventuelle W-Lan-Probleme aufgehalten. Vielmehr sollen sicherheitsrelevante Informationen – selbst Videos – quasi an der nächsten Ecke verarbeitet und ausgewertet sowie notwendige Daten in ultrakurzer Zeit, zuverlässig zwischen den Verkehrsteilnehmern übertragen werden.
Das ist spätestens für vollautomatisches Fahren unerlässlich. Wenn ein Auto überholen will, braucht es die Auswertung der Kamerabilder des vorausfahrenden Fahrzeugs. Bremst ein Lkw an der Spitze einer Kolonne, müssen auch die dicht dahinter kommenden, schweren Fahrzeuge bereits über das Hindernis informiert sein und ebenfalls bremsen. Blockiert ein Auto an einer unübersichtlichen Kreuzung, muss eine Notfall-Fernsteuerung sofort anhand einer exakten Live-Bildschirmansicht eingreifen können.
Die etwa 120 Autohersteller, Tier-1-Zulieferer, Softwareentwickler, Mobilfunkbetreiber, Halbleiterunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Straßenbetreiber der Vereinigung 5GAA gehen davon aus, dass 2023 die ersten, für solche Szenarien geeigneten Autos mit 5G-V2X fahren und – dank abwärts kompatiblem Mobilfunkstandard – mit Fahrzeugen anderer Entwicklungsstufen über wesentliche Verkehrsinfos direkt sprechen.
Auf dem Testgebiet „Smart Rail Connectivity Campus" im Erzgebirge steuert Vodafone einen Zug von Thales aus der Ferne, mit Bandbreiten von mehr als 500 Megabit pro Sekunde und Latenzzeiten von weniger als zehn Millisekunden, abgesichert durch 5G-MEC und separate, virtuelle Netzwerk-Scheiben. Zukünftig könnten Züge beispielsweise beim Gütertransport mithilfe von Live-Ansichten und verzögerungsfreien Echtzeit-Steuerungen aus dem Homeoffice vom Lokführer ferngesteuert werden.
Zunächst ein teures Vergnügen
Positive Ergebnisse für die Integration von 5G in die Verkehrs- und Infrastruktursteuerung lieferte auch ein Feldversuch des EU-Projektes „5G-MoNArch" im Hamburger Hafen. Gemeinsam mit der Hamburg Port Authority und Nokia setzte die Telekom 5G für die Übermittlung von Bewegungs- und Umweltdaten aus Sensoren in Echtzeit, für verlässliche Ampelsteuerungen und für datenintensive Virtual-Reality-Anwendungen im Hafen ein. Die Projektpartner zeigten in eineinhalb Jahren, dass komplexe mobile Anwendungen aus dem industriellen Bereich mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen in einem einzigen Netz zuverlässig funktionieren. Ein Terminal arbeitete sogar in mehreren „Slices", also mehreren parallel betriebenen, virtuellen Netzen, die unterschiedliche Eigenschaften hatten, auf Basis der gemeinsamen Infrastruktur, gleichzeitig. Mit „Slices" wäre eine spontan realisierbare Vorrangschaltung für Rettungsdienste im Hafengebiet bei Sturmflut möglich. Für Wartungsarbeiten ließen sich über 3D-Brillen zusätzliche Hintergrundinformationen abrufen und der Rat von Experten live einholen.
Warten auf die Nutzung von 5G müssen dagegen die meisten Menschen im Privatleben. Die bei der Auktion der Bundesnetzagentur im Juni von den Frequenz-Ersteigerern Drillisch (1&1), Telefonica, Vodafone und Telekom insgesamt gezahlten 6,55 Milliarden Euro sind aber auch im „Consumer"-Bereich wieder einzuspielen. Privatleute dürfen schon mal schnuppern am neuen Standard, auch wenn dessen Nutzung für sie zunächst ein nicht verfügbares, teures oder kaum wahrnehmbares Vergnügen sein könnte. Der Ausbau des Vorgänger-Mobilfunkstandards der vierten Generation – LTE – für ein flächendeckend schnelles Internet hat Vorrang. 4G bleibt oft die sinnvolle Basis-Technologie für ein aufgesetztes 5G bei einzelnen Anwendungen im Freizeit- oder Smarthome-Bereich, für die 5G-Endgeräte und 5G-Tarife gebraucht werden. Vodafone will bis Ende 2021 mit 5G etwa 20 Millionen Menschen erreichen. Bislang sind beispielsweise faltbare 5G-Smartphones nur punktuell einsetzbar. Als Appetitanreger für die Freizeit locken grafisch aufwendige Gaming-Erlebnisse, die mehrere Mitspieler zeitgleich via Streaming in Fantasie-Sphären versetzen – sofern sie 5G-Netz und -Tarife haben. Ebenso sollen Sportübertragungen durch Live-dabei-Gefühle – etwa im Cockpit beim Autorennen – aufgewertet werden.