Die Saar-CDU hat Stephan Toscani an die Partei- und Fraktionsspitze gewählt. Parteireform und inhaltliche Neuorientierung nach der Niederlage stehen erst am Anfang.
Im Big Eppel war es gerammelt voll. Über 350 Delegierte wollten die ersten Schritte zum personellen Neuanfang in der Partei mitbestimmen und -erleben. Dazu viel Partei-Prominenz vergangener Tage, die allesamt auf ihre Art für eine bessere Zeit der Saar-CDU stehen. Verfassungsrichter Peter Müller, der einst die SPD ablöste und zeitweise mit absoluter CDU-Mehrheit regierte. Annegret Kramp-Karrenbauer, die noch vor fünf Jahren in fulminantem Endspurt für ein 40-Prozent-CDU-Ergebnis sorgte. Peter Altmaier, die saarländische „Allzweckwaffe" in Berlin zu Merkel-Zeiten.
Dass sich keiner von ihnen nehmen ließ, bei diesem Zäsur-Parteitag dabei zu sein, wurde durch die Bank als Ausdruck dafür verstanden, dass die Saar-CDU nicht nur Partei, sondern auch eine „große Familie" ist. Überhaupt war das Wort von der „Familie" eines der am häufigsten an diesem Parteisamstag gebrauchten, das regelrecht beschworen wurde. Eine Familie, die große Erfolge zusammen feiert, aber auch in schweren Zeiten, wenn es drauf ankommt, zusammenhält. „Wenn die Familie in Not ist, sind alle da", befand Stephan Toscani bei seiner Bewerbungsrede und begründete damit auch seine eigene Kandidatur.
Partei versteht sich als große Familie
331 von 357 Delegiertenstimmen, dazu lang anhaltender Applaus, sind die Basis, von der aus Toscani den Erneuerungsprozess anführen wird. „Neuanfang heißt nicht, dass alles anders werden muss", betont der Parteichef. Es könne aber auch nicht heißen, „nur Personen auszutauschen". Sein zentrales Anliegen sei „eine neue Kultur".
Von dieser „neuen Kultur der Partizipation und Debatte" ist auch die Rede in einem „Zukunftspapier", das der Parteitag verabschiedet hat als Grundlage für inhaltliche Entwicklung bis zu einem Grundsatzprogramm und für eine gründliche Parteireform.
Ein Stück weit sollen dabei Formate wie die aus der Not geborenen Basiskonferenzen vorbildhaft sein. Denn nicht nur bei diesen sieben Basiskonferenzen mit gut 1.000 Teilnehmenden war von den Mitgliedern massiv Kritik daran formuliert worden, dass in der jüngsten Vergangenheit in der Partei alles auf einen kleinen Führungszirkel konzentriert wurde, Beteiligung oder gar Debatte in der Partei weitgehend Fehlanzeige. Ob das nicht auch früher ganz ähnlich war, aber durch Wahlerfolge und führende Regierungsbeteiligung nicht sonderlich ins Gewicht fiel, sei dahingestellt.
Jetzt jedenfalls ist das Wort „gemeinsam" zum zweiten Hauptwort neben „Familie" geworden. Nur soll das – zumindest nach dem Willen der neuen Führung – nicht zu träger Ruhe führen, denn gleichzeitig brauche die CDU „dringend mehr Offenheit für neue Ideen, dringend ein unverkrampftes Verhältnis zur inhaltlichen Debatte und dringend mehr Breite und mehr Mannschaftsspiel", formuliert das „Zukunftspapier". Dazu natürlich mehr Junge und mehr Frauen. Kurzum: Die Partei braucht eigentlich alles, was man bei einer Volkspartei als selbstverständlich voraussetzen sollte. Der Katalog zeigt die Verschleißerscheinungen langer Regierungszeit.
Nicht umsonst ist in dem zitierten Papier von einer „Neuerfindung der CDU Saar" die Rede. Und die fängt mit den personellen Weichenstellungen an. Doppelspitzen, wie inzwischen bei eigentlich allen anderen großen und größeren Parteien an der Tagesordnung, kennt die CDU nicht. Paritäten bilden sich in der Stellvertreterriege ab. Mit Landrätin Daniela Schlegel-Friedrich, Ex-Justizstaatssekretär Roland Theis und der Bundestagsabgeordneten Nadine Schön sind bekannte Gesichter auf Vizeposten gewählt worden. Bekannt, aber neu im Kreis der Stellvertreter ist Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conrad, nachdem Ex-Finanzminister Peter Strobel nicht mehr zur Verfügung stand. Mit Silke Maringer ergänzt ein neues Gesicht den Kreis. Sie ist bei der Hochschule für Technik und Wirtschaft beschäftigt. Ihre Nominierung erfolgte nach einem Eklat im Vorfeld. Vorgesehen für einen Vize-Posten war die Vorsitzende der Frauen-Union, Anja Wagner-Scheid, die allerdings von ihrem Kreisverband keine mehrheitliche Unterstützung bekam und daraufhin als Kreisvorsitzende zurücktrat. Ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, der einige Fragen offen lässt.
Ungewöhnlich auch, dass es bei der Wahl des Schatzmeisters eine Kampfkandidatur gab, bei der sich der alte Kämpe Karl Rauber klar durchsetzte. Einen erfahrenen und gewieften Kassenwart wird die Partei in den nächsten Jahren dringend brauchen. Die Wahlniederlage führt zu schmerzhaften Einnahmerückgängen, insbesondere bei der staatlichen Parteifinanzierung, die unter anderem an Wählerstimmen gekoppelt ist. Aber auch durch den Verlust von Mandaten. Dass die Partei Schulden aus dem Wahlkampf hat, ist nicht ungewöhnlich, aber auch deren Rückzahlung war sicherlich auf einer anderen Basis kalkuliert, als sie das Wahlergebnis gebracht hat.
CDU will Wettbewerb der Ideen im Landtag
Hochzufrieden mit dem (personellen) Neustart zeigte sich die Junge Union. Von 16 Beisitzerposten sind fünf mit Jungunionisten (bis 35 Jahre) besetzt. Zudem soll die 23-jährige Carolin Mathieu die neu geschaffene Funktion einer stellvertretenden Generalsekretärin übernehmen. „Das war jetzt der erste Schritt auf unserem Weg, die CDU Saar inhaltlich, strukturell und personell neu aufzustellen", kommentiert JU-Landeschef Frederic Becker das Ergebnis.
Die inhaltliche und strukturelle Neuausrichtung steht allerdings noch aus, die personelle wurde zwei Tage nach dem Parteitag mit einem weiteren Schritt ergänzt. Stephan Toscani wurde auch zum Fraktionschef und damit Oppositionsführer im Landtag gewählt. Für die Sichtbarkeit der CDU wird das Parlament nach dem Verlust der Regierungsämter in den nächsten Jahren zur entscheidenden Plattform – und gleichzeitig zu einem schwierigen Balanceakt. Das dürfte keinem klarer sein als dem einstigen Landtagspräsidenten, der selbst auch lange Jahre als Minister in einer Großen Koalition am Tisch saß.
„Eine harte und engagierte Kontrolle" der Regierung, kündigt der Oppositionsführer an, zugleich betont Toscani, alles andere als eine Fundamentalopposition machen zu wollen. Im Gegenteil werde sich die CDU dem Wettbewerb um die besseren Ideen aktiv stellen. Dem neuen Parteichef ist klar: Keine Partei wird am Schluss allein wegen guter Oppositionsarbeit gewählt. Da muss schon noch einiges mehr und Überzeugendes dazu kommen.
Was genau das alles heißt? Toscani bittet, wie es sich gemäß guter Tradition nach großen Wechseln gehöre, um die Geduld der ersten 100 Tage. Klar ist: „Die nächste Wegmarke sind die Kommunal- und Europawahlen", betont Toscani. Zwei Jahre bis 2024 sind für den Prozess, vor dem die CDU steht, ein ehrgeiziger und ambitionierter Zeitrahmen. Nach dem vergleichsweise familiären Parteitag hat sich vielleicht nicht die ganz große Aufbruchstimmung durch alle Parteigliederungen breitgemacht. Aber wie es scheint, hat Toscani einige an seiner Seite, die den Herausforderungen nach einer Niederlage mit sportlichem Ehrgeiz begegnen.
Kurz vor Ende der Sommerferien will die Partei in Klausur gehen, um dann nach der Sommerpause zu zeigen, was von der neuen CDU zu erwarten ist.