Im Juli 2021 brannte in Karelien in der kaltgemäßigten Klimazone die Taiga – so sehr wie lange nicht. Der Forstwissenschaftler Frank Berninger von der Universität Ostfinnland spricht über Brandstrategien und darüber, wie diese Wälder mit dem Klimawandel zurechtkommen.
Herr Prof. Dr. Berninger, 2021 brannten im Nordwesten Russlands Wälder auf einer Fläche von 7.200 Hektar. Wie stark wurde der boreale Nadelwald in dieser Region beschädigt?
Nach meinen Recherchen ist eine Gesamtfläche zwischen 42.000 und 70.000 Hektar borealer Nadelwald in Nord- und Ostkarelien beschädigt worden. Der größte Waldbrand wütete auf einer Fläche von 7.200 Hektar. Wenn man boreale Nadelwälder betrachtet, gehören Brände zum natürlichen Prozess dazu. Insbesondere gibt es viele Forschungen zu Rekonstruktionen von Waldbränden, zum Beispiel Feuernarben auf Bäumen, also durch Bodenfeuer verursachte Schäden. Das heißt, man kann von den Narben ausgehend rekonstruieren, zu welchem Zeitpunkt der Wald gebrannt hat. Wir haben in einer Untersuchung herausgefunden, dass es viele alte Kiefern gibt, die zwei oder drei Waldbrände ohne Probleme überlebt haben.
Zur Einordnung: War das ein vergleichsweise großer Brand in Karelien?
Das war für Ostkarelien vergleichsweise viel, zumindest wenn man den Zeitraum der letzten Jahre betrachtet.
Die örtliche Bevölkerung organisierte die Löscharbeiten weitestgehend selbst, weil die russische Regierung keine Hilfe leistete. Gibt es keine regionalen Feuerbrigaden in Russland?
Im vorigen Jahr waren wegen der Megafeuer (ein Brand auf einer Fläche größer als 1.000 Hektar; Anm. d. Red.) in Sibirien sämtliche verfügbare Feuerbrigaden – das betrifft vor allem die Löschflugzeuge – unterwegs. Von den bis zu 18,6 Millionen Hektar Waldbrandfläche in Russland machten die Brände in Karelien also nur 0,25 bis 0,4 Prozent aus. Ich denke, es ist recht normal, dass die lokale Bevölkerung zur Feuerbekämpfung eingezogen wird. In großflächigen, nicht bewirtschafteten Wäldern findet generell keine Brandbekämpfung statt. Feuerkontrollzonen gibt es hingegen in den Bereichen, in denen Waldwirtschaft betrieben wird und wichtige Infrastruktur vorhanden ist. Genauer: Dörfer, Plätze und Straßen müssen vor Bränden geschützt werden.
Heißt das, dass der Teil des Waldes, der in Karelien gebrannt hat, wirtschaftlich nicht so wichtig war?
Waldwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Karelien. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte sein, dass die Ressourcen zur Feuerbekämpfung durch den weitaus größeren Brand in Sibirien fehlten. Man weiß, dass in Ostrussland und Sibirien, also in einer kontinentalen Klimazone, eine wesentlich höhere Waldbrandgefahr besteht als beispielsweise in dem Gebiet von Krasnojarsk.
Es heißt, Waldbrände in borealen Wäldern können helfen, die Böden wieder fruchtbarer zu machen, indem dadurch der pH-Wert der Böden erhöht wird. Ist das tatsächlich der Fall?
Dieser Waldboden ist etwa 10.000 Jahre alt, er wurde nach der letzten Eiszeit geschaffen. Während dieser 10.000 Jahre hat dieser Boden mindestens 50-mal oder öfter gebrannt. Die Fruchtbarkeit des Bodens geht meistens nicht infolge eines Feuers zurück. Die in Karelien über lange Zeit praktizierte Schwendkultur sah vor, kontrolliert einen Teil des Waldes abbrennen zu lassen, um darauf später Getreide anzupflanzen.
Welche Ansätze für eine Waldbrandpräventionsstrategie gibt es in diesen Wäldern?
Unterm Strich ist es sehr schwierig, entsprechende Strategien zu entwickeln. Im Englischen nennt man das kontrollierte Abbrennen von Wäldern, „prescribed burning". Diese Strategie funktioniert relativ gut in mediterranen Wäldern und Bergwäldern, beispielsweise im Westen der USA und in Australien. Allerdings wird sie nicht in borealen Wäldern angewandt, weil sich das brennbare Material, also etwa Totholz und Nadeln, im Humus befindet – und zwar reichlich. Zum Beispiel wäre das Anlegen von Brandschneisen eine mögliche Waldbrandstrategie. Auch die Infrastruktur, wie Waldwege, kann eine wichtige Rolle dabei spielen. Viele Gebiete in Karelien, Russland und Kanada sind im Grunde weglos. Auch wenn sie forstwirtschaftlich genutzt werden, werden die Wege nicht instandgehalten. So sind beispielsweise bestimmte Wege und Brücken in Kanada nicht passierbar, was wiederum die Feuerlöschung enorm erschwert. Weil boreale Wälder deutlich extensiver genutzt werden als mediterrane Wälder hat die Waldbrandprävention einen wesentlich geringeren Stellenwert in Russland als beispielsweise in Finnland und Schweden.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die borealen Wälder südlich des Polarkreises aus? Stichwörter: Jetstream und Wetterextreme.
Die Jetstream-Vorhersage betrifft vor allem West- und Zentraleuropa, aber nicht den größten Teil von Russland und Kanada. Alles in allem kann man sagen, dass für die borealen Wälder in den zentralen und westlichen Teilen von Europa und Karelien ein moderater Anstieg eines Waldbrandrisikos eintreten wird. Anders dagegen wird ein starker Anstieg für kontinentale Gebiete in Kanada und Sibirien und ein moderater Anstieg für Ostkanada prognostiziert.
Einer Studie des Max-Planck-Instituts zufolge sind weit mehr als die Hälfte der Wälder Europas in Folge des Klimawandels von Windwurf, Waldbrand und Insektenplagen betroffen. Wie geht es den borealen Nadelwäldern damit?
Es ist festzustellen, dass es einen klaren Anstieg von Waldschäden in Europa gegeben hat. Die Trockenheit der letzten Jahre und infolgedessen Störungen sind die entscheidenden Faktoren. Wälder in Zentraleuropa werden beispielsweise älter als mediterrane, weil sie viele Vorteile haben. Ältere Wälder sind besser für die Wasserqualität, die Biodiversität und besser zum Wandern. Aber sie sind auch anfälliger für verschiedene Schäden. Zentraleuropa weist einen hohen Anteil an dichten Wäldern auf. Zugleich sind diese Wälder relativ schlecht an den Klimawandel angepasst. Vor allem die Trockenheit der letzten Jahre hat den zentraleuropäischen Wäldern stark zugesetzt. In den borealen Nadelwäldern haben in der Vergangenheit etwa Windschäden zugenommen. Eine Studie von 2012 ergab, dass sich in den europäischen Wäldern von 1950 bis 2010 die Schäden infolge von Wind und Bränden ungefähr verdoppelt haben.
Können angesichts der Erderwärmung Ökosysteme wie die borealen Nadelwälder in Kanada und Russland einen Kipppunkt erreichen?
Wenn man sich Zentralsibirien oder teilweise auch Kanada anschaut, gibt es einen Übergang von der Steppe zum borealen Wald. Dort kann mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit von einer zunehmenden Versteppung ausgegangen werden. Südlich des Baikalsees in Sibirien hat die Häufigkeit von Waldbränden inzwischen durch schlechtes Management und illegale Einschläge zugenommen. Ein zweiter möglicher Kipppunkt wäre die Zunahme von Borkenkäfern in den südborealen Wäldern. Dass dort direkte, absolute Kipppunkte eintreten, halte ich eher für unwahrscheinlich. Aber zum Beispiel in Kanada gab es den sogenannten Latschenkiefer, der eine Waldfläche von 20 Millionen Hektar – entspricht der Gesamtgröße des deutschen Waldes – zerstört hat. Allerdings ist es umstritten, welche Rolle der Klimawandel dabei gespielt hat.