Die Medien nennen Hans D. Baumann den „Photoshop-Papst". Seit 1984 beschäftigt sich der Herausgeber der Bildbearbeitungszeitschrift „Docma" unter anderem mit Fotomontagen und der Entlarvung von Fälschungen.
Herr Baumann, wie haben Photoshop & Co unser Leben verändert?
Wer sich Filme wie „Jurassic Park" oder „Dune" anschaut weiß, dass wenig von dem, was man da sieht, real ist. Das Bewusstsein, dass man Bilder manipulieren kann, ist also prinzipiell da. Trotzdem setzen wir aber in der Regel voraus, dass die Bilder, die wir sehen, echt sind. Dazu gehört, dass wir Medien ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen und erwarten, dass sie uns nicht mit Worten oder Bildern anlügen.
Wie kann ich überhaupt eine Fälschung erkennen?
Ohne Vorkenntnisse und Sensibilität wahrscheinlich gar nicht.
Um Widersprüche bei perspektivisch unstimmigen Montagen zu sehen, muss man sich ein wenig auskennen. Auch, wenn bei einer Prinzessin auf der Titelseite einer Frauenzeitschrift das Licht von links kommt und bei ihrem Baby, das sie im Arm hält, von rechts, dann sollte das eigentlich auffallen – tut es aber meist nicht.
Worauf fällt der Betrachter am schnellsten rein?
Auf alles. Ich analysiere seit Jahrzehnten haarsträubende Montagen aus der Werbung, bei denen so etwa alles falsch ist. Doch wenn ich diese Laien zeige, sagen sie oft: Was soll denn da nicht stimmen? Fälschungen gibt es seit Menschen mithilfe von Objekten kommunizieren. Ob nun Päpste oder Herrscher im Mittelalter ihre Macht auf gefälschten Urkunden aufbauten oder Werke berühmter Künstler nachgeahmt wurden. Manipulation ist aber nicht immer Fälschung, oft auch Idealisierung, wie im Fall des allzu schmeichelhaften Porträts von Anna von Kleve, das Hans Holbein für Heinrich VIII. malte. Als der Bräutigam, der den Heiratsvertrag unterschrieben hatte, ohne seine Braut persönlich kennengelernt zu haben, diese in natura sah, wurde die Ehe bald annulliert.
Dass mithilfe von Photoshop in puncto Schönheit viel manipuliert wird, weiß heute eigentlich jeder. Aber wie steht es mit der Bildmanipulation im Krieg? Etwa in der Ukraine?
Wahrscheinlich können wir davon ausgehen, dass die allermeisten Fotos und Filme, die wir von Kriegshandlungen zu sehen bekommen, nicht manipuliert sind. Aber ist das Anlass zur Entwarnung? Keineswegs. Denn was wir nicht wissen: Zeigen sie tatsächlich das, was sie angeblich zeigen sollen? Stimmt der Ort, die Zeit, der Kontext? Und vor allem: Was wird uns nicht gezeigt? In den ersten Tagen des Ukraine-Krieges wurden zum Beispiel immer dieselben zerstörten Gebäude gezeigt, dieselben ausgebrannten russischen Panzer. Das Foto einer Ruine oder einer Leiche sagt aber nichts darüber aus, wer dafür verantwortlich war.
Werden wir mit Bildern aus Zeitungen und dem Fernsehen belogen?
„Lügen" setzt eine gezielte Täuschungsabsicht voraus. Bringt eine Zeitung einen Bericht über die verantwortungslosen Granatenangriffe auf das Atomkraftwerk von Saporischschja und dazu ein Foto von total zerstörten Gebäuden – ist es eine Lüge, wenn nur der Bildunterschrift zu entnehmen ist, dass es Ruinen in einem ganz anderen Landesteil zeigt? Streng genommen ist es das nicht, aber die Wirkung auf die Leserinnen und Leser dürfte dennoch die sein, dass sie erst einmal im Kopf behalten: Headline – Bild – aha, so sieht’s da aus.
Arbeiten die Medien zu schlampig?
Eine gewisse Schlampigkeit ist da mit im Spiel. Ist das mit dem Atomkraftwerk eine Täuschungsabsicht oder der Eile geschuldet? Das Problem ist immer die Vertrauenswürdigkeit: Rezipienten müssen den von ihnen genutzten Medien vertrauen, die Medien den Agenturen, die Agenturen den Berichterstattern vor Ort. Das klappt nicht immer. Im Libanon-Krieg etwa hat ein Fotograf Rauchwolken von Bombeneinschlägen israelischer Kampfjets über Beirut bedrohlich verstärkt. Das kam raus und er wurde von seiner Agentur gefeuert. Nach einem Attentat in Ägypten färbte jemand die Regenpfützen vor dem Bauwerk, wo es sich ereignet hatte, rot – auch das wurde aufgedeckt. Anderes ist schwerer zu erkennen: Im erwähnten Libanon-Krieg wurden dieselben Todesopfer immer wieder für die Reporter aus zerstörten Häusern getragen. Die Fotos waren echt, ebenso die Leichen; aber man kann eine Szene auch manipulieren, indem man sie inszeniert.
Und mit den Bildbearbeitungsprogrammen ist heutzutage alles machbar?
Fragen Sie mal einen Maler, ob es etwas gibt, das er nicht malen kann. Natürlich kann er alles Mögliche darstellen. Dasselbe trifft, mit ausreichend Zeit und Erfahrung, auf Bildbearbeitung zu.
Ist die Bundesregierung gewappnet vor Manipulation und Kriegspropaganda durch Bilder?
Na ja, bei einer Außenministerin, die im Falle des Ukraine-Krieges nur selektiv die russische Propaganda als solche zur Kenntnis nimmt und behauptet, derlei gebe es im Westen nicht, habe ich Zweifel. Aber ich gehe davon aus, dass es bei den Geheimdiensten Leute mit der nötigen Kompetenz gibt. Ich will es jedenfalls hoffen.
Dabei haben gerade Sie erlebt, dass selbst Experten auf Bildfälschungen hereinfallen.
Im Rahmen des jährlichen Wettbewerbes der Bildbearbeitungszeitschrift „Docma", deren Herausgeber ich bin, hatten wir auch das Thema „Bildfälschungen". Mit dem Bundeskriminalamt habe ich dazu eine Konferenz organisiert und Experten zum Thema Bildmanipulation eingeladen. Wenn Forensiker normalerweise Bilder zur Begutachtung bekommen, wissen sie zunächst ja erst einmal nicht, ob sie echt oder manipuliert sind. Wir haben die besten Einsendungen mit echten Fotos gemischt und den Experten zur Verfügung gestellt. Die sollten dann herausfinden, welche echt sind und welche nicht, und warum. Die Ergebnisse wurden anschließend diskutiert. Bei einem Testbild von mir wurden Teile richtig als Fälschung erkannt, andere nicht, und Echtes wiederum als gefälscht moniert. Ein Beispiel für echte Bildverfälschung lieferte damals ein Kinderschänder, der in Thailand Minderjährige missbraucht und anschließend stolz sein Porträt ins Web gestellt hat. Er war zwar clever genug, sein Gesicht vorher mit einem digitalen Effekt unkenntlich zu machen, aber letztlich doch zu blöd, denn sowohl das Bundeskriminalamt als auch ich konnten in Kenntnis seiner Vorgehensweise, die am Bild ablesbar war, den digitalen Prozess umkehren und so sein Gesicht wieder sichtbar machen.
Und die Künstliche Intelligenz (KI) verschärft das Problem noch?
Bildbearbeitungsprogramme als Instrumente sind heute fast schon zweitrangig, weil die Möglichkeiten mit Künstlicher Intelligenz zunehmend wichtiger werden und in einigen Jahren absolut perfekte Ergebnisse liefern werden – richtige oder falsche. Und diese „Deep Fakes" betreffen nicht nur einfache Bilder, sondern ebenso Videos samt Ton. KI könnte zwar auch das Instrument werden, um Fälschungen zu entlarven, aber nur kurzfristig. Denn dieselben Verfahren, die eine „kritische" KI anwendet, um eine Fälschung zu erkennen, können auch die Fälscher nutzen, um ihre Manipulationen bewerten zu lassen und festgestellte Mängel künftig auszuschließen.
Wie hat Sie die Arbeit verändert?
Ich schaue sehr viel genauer hin. Nicht nur bei Bildern, auch bei Texten. Manches springt mir inzwischen direkt ins Auge. Ich bin einerseits begeistert von den neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Gleichzeitig machen mir diese Angst. Denn ich weiß, dass ein großer Teil der Realität uns durch Medien vermittelt wird. Wenn das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Medien einmal weg ist, kommt es nicht zurück. Diese Entwicklung wieder umzukehren, ist kaum möglich. Ist der Geist erst mal aus der Flasche, kriegt man ihn nur schwer wieder rein.
Welchen Bildern können Sie noch trauen?
Nur noch denen, die ich selbst gefälscht habe.