Dies betonte Käthe Kollwitz oft genug, wenn ihre Arbeiten auf den politischen und sozialen Aspekt reduziert wurden. Im Museum am neuen Standort kann man sie als herausragende Grafikerin und Bildhauerin kennenlernen.
Noch ist er eingerüstet, der lange ungenutzte Theaterbau gleich neben dem Schloss Charlottenburg. Doch seit Ende September erwartet hier das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin Besucher. Zuvor war es 36 Jahre lang in der Fasanenstraße unweit des Kurfürstendamms zu Hause. „Eine wundervolle Atmosphäre", erinnert sich Museumsleiterin Dr. Josephine Gabler. Aber der Modernisierung des historischen Gebäudes, einer klassizistischen Villa, waren durch den Denkmalschutz Grenzen gesetzt. 1986 hatte der Galerist und Kunstsammler Hans Pels-Leusden das Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße gegründet. Grundstock war seine umfangreiche grafische Sammlung von Werken der Künstlerin, ergänzt durch plastische Arbeiten, die die Familie Kollwitz stiftete. Im Laufe der Jahre wurde die Sammlung zudem durch Neuankäufe ergänzt.
Nun also zeigt das Museum im Gebäude am Spandauer Damm 10 eine neu konzipierte Sammlung mit rund 100 Werken von Käthe Kollwitz, ein Drittel mehr als in der Fasanenstraße. Bis 2024 erst einmal nur im Erdgeschoss, dann soll auch die erste Etage bezugsfertig sein. In der Dauerausstellung sind Werke aus den eigenen Beständen zu sehen, die später im Wechsel mit Leihgaben ergänzt werden sollen.
1867 wurde Käthe Kollwitz in Königsberg in Preußen geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Ihr Vater förderte ihre künstlerischen Interessen. 1885/86 ging sie in die Mal- und Zeichenschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen und studierte dann bis 1890 in München. Danach lebte sie als Künstlerin in Königsberg und heiratete 1891 ihren langjährigen Verlobten, den Arzt Karl Kollwitz. Die beiden zogen nach Prenzlauer Berg. Eine Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus in der heutigen Kollwitzstraße 56a erinnert an die Künstlerin. Nach der Geburt ihrer zwei Söhne Hans und Peter ging sie von 1898 bis 1903 als Lehrerin zurück in die Mal- und Zeichenschule.
Auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 fand ihr Radier-Zyklus „Ein Weberaufstand" erstmals große Aufmerksamkeit. Auch die von Max Liebermann, einem der wichtigsten Vertreter des deutschen Impressionismus, der sie für eine Medaille vorschlug. Das aber lehnte Kaiser Wilhelm II. ab, für ihn waren Kollwitz’ Radierungen „Rinnsteinkunst". „Aber sie wurde nicht nur von Liebermann, sondern auch von anderen namhaften männlichen Künstlern unterstützt", erklärt Dr. Josephine Gabler. „Ihre Kunst wurde oft als männlich und kraftvoll gelobt. Damit bahnte sie auch den Weg für andere Künstlerinnen." Als erste Frau wurde sie in die Preußische Akademie der Künste gewählt und zur Professorin ernannt.
Schicksalsschlag im Ersten Weltkrieg
Von 1902 bis 1908 arbeitete Käthe Kollwitz am Radier-Zyklus „Bauernkrieg". Dabei brach sie ein Tabu in der Kunst, weil sie das erste Mal eine Vergewaltigung darstellte. Und immer wieder trauernde Frauen und Kinder, ein Sujet, das sich in den folgenden Jahren durch ihre Arbeiten zog.
1908 beginnt sie für die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus" zu arbeiten und schickt bis 1911 regelmäßig Zeichnungen an die Redaktion. Die nimmt wilhelminische Politik, bürgerliche Moral, die Kirchen, Beamte und das Militär aufs Korn und versieht auch ihre Grafiken mit spitzen Kommentaren. Nur einmal nicht, als sechs „Bilder vom Elend" von Käthe Kollwitz kommentarlos abgedruckt werden. Das Museum besitzt drei Original-Zeichnungen und eine Radierung, die in der Zeitschrift veröffentlicht wurden.
Käthe Kollwitz beginnt auch als Bildhauerin zu arbeiten, doch dann folgt ein schwerer Schicksalsschlag. Denn gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 fällt ihr Sohn Peter. Die Künstlerin, die nie einer Partei angehörte, unterstützt nun Pazifisten und Sozialisten und verarbeitet ihren Schmerz in einer Skulptur. Das „Trauernde Ehepaar" steht heute auf der Kriegsgräberstätte Vladslo in Belgien, wo auch Peter beigesetzt wurde. 1924 entstand das Plakat „Nie wieder Krieg" für die sozialistische Arbeiterjugend, eines ihrer bekanntesten Werke, das fester Bestandteil der Friedensdemos der 1970er- und 1980er-Jahre war.
Mit der Machtergreifung Hitlers wurde Käthe Kollwitz zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen und verlor ihre Stelle als Leiterin der Meisterklasse für Grafik. Ihre Werke wurden aus Ausstellungen entfernt und im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst" in zahlreichen Museen und Galerien beschlagnahmt, um sie auf dem internationalen Kunstmarkt zu „verwerten". Ende 1940 zog sich die Künstlerin aus gesundheitlichen Gründen zurück, in dem Jahr war auch ihr Mann gestorben. Er wurde im Familiengrab auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt, ebenso Bruder und Schwager. Dafür schuf Kollwitz ein Grabrelief. Eine wesentlich größere Version ihrer Plastik „Pietà" von 1938 steht seit 1993 als Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der Neuen Wache in Berlin.
Digitale Stadttour „Käthe to go"
Nicht nur die Wohnung von Käthe Kollwitz, auch zahlreiche ihrer Grafiken, Drucke und Druckplatten wurden bei Bombenangriffen zerstört. Die Künstlerin floh ins thüringische Nordhausen und wohnte dann bis zu ihrem Tod am 22. April 1945 in Moritzburg. Das Käthe-Kollwitz-Haus Moritzburg ist heute eine Gedenkstätte. Die Künstlerin hat ein Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde.
Über Teile der Kollwitz-Biografie können sich Besucher im Museum am neuen Standort und über dessen Website informieren. Und wenn ab 2024 das gesamte erste Obergeschoss des neu eingeweihten Museumsgebäudes zur Verfügung steht, verdoppelt sich die Ausstellungsfläche. Dann könnte ein Traum der Museumsleiterin in Erfüllung gehen. „Käthe Kollwitz hat sehr schöne farbige Blätter geschaffen und war dabei sehr experimentierfreudig. Ich würde gerne diese farbigen Blätter von ihr zeigen." Ebenso geht es Josephine Gabler auch darum zu zeigen, wie hochaktuell das Schaffen der Kollwitz auch heute noch ist.
Das Museum bietet persönliche Führungen an, auch für hör- und sehgeschädigte Menschen. An jedem ersten Sonntag des Monats ist Familientag mit freiem Eintritt. Menschen ab acht Jahren können mit einer „Fete bei Käthe" dort ihren Geburtstag feiern. Für Schulkinder gibt es Angebote in den Ferien. Aktuell geht es mit der digitalen Stadttour „Käthe to go" zu Orten in Berlin, von denen sich Käthe Kollwitz inspirieren ließ oder an denen sie arbeitete. Dazu gehören ihr Wohnhaus sowie das „Städtische Obdach Palme" und das Frauengefängnis Barnimstraße. Letzteres besuchte sie häufig, weil sie sich besonders für die Schicksale von Frauen interessierte.