Sieben Jahre lang sind zwei Hallenser Künstler mit ihrer Ausstellung rund um die Welt gezogen, in einem 140-Einwohner-Dorf in Mitteldeutschland ist ihre „Grand Tour“ zu Ende gegangen.
Hinaus in die Welt und somit ins wahre Leben wurden im 18. Jahrhundert Prinzen und andere junge Adlige geschickt, um verschiedene Kulturen kennenzulernen und ihren Horizont zu erweitern. Von edlem Geschlecht waren die beiden „Prinzen“ Moritz Götze und Rüdiger Giebler zwar nicht, als sich die beiden Künstler und Freunde aus Halle an der Saale vor mehr als 35 Jahren auf ihre „Grand Tour“ begaben: Zu Fuß, auf dem Fahrrad, im Faltboot, im Auto oder mit der Bahn machten sie sich auf den Weg. Wobei – anders als bei echten Prinzen – ihr Entdeckungsradius schon deshalb eingeschränkt war, weil sie in einem Land lebten, das man ohne besondere Beziehungen nicht so ohne Weiteres verlassen konnte. Und so führte ihre Reise sie in mehr oder weniger großen Kreisen um ihre Heimatstadt durch Mitteldeutschland und dessen widersprüchliche Geschichte. Sie schauten den Menschen aufs Maul und auf die Finger und verarbeiteten ihre Sicht auf Land und Leute in Form von Bildern.
Vor gut 25 Jahren dann, als die Welt auch für sie grenzenlos geworden war und sie ihre „Grand Tour“ längst weiter in Richtung des zuvor verbotenen Terrains ausgedehnt hatten, bekamen die künstlerisch sehr verschiedenen Freunde den Auftrag für eine gemeinsame Ausstellung in Brüssel. Dort entstand auch die Idee für ihr wohl weltweit einzigartiges Ausstellungsprojekt, die „Grand Tour – Made in Kaisersaschern“.
Imaginärer Ort aus „Doktor Faustus“
Kaisersaschern? Ist das nicht jener imaginäre Ort in Mitteldeutschland, den Thomas Mann in seinem Roman „Doktor Faustus“ erfand? Der Ort, in dem sein Held Adrian Leverkühn aufwächst? Richtig! Und hinter dem fiktiven Adrian, geboren in Buchel bei Weißenfels, verbarg sich im wahren Leben niemand anders als der Philosoph Friedrich Nietzsche, der unweit von Weißenfels zur Welt kam und in Naumburg an der Saale einen großen Teil seines Lebens verbrachte.
Die Ausstellung „Grand Tour – Made in Kaisersaschern“ debütierte 2015 in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Brüssel und führte ab 2016 rund um die Welt: von Athen bis New York, von Melbourne bis Seattle, von Saarbrücken bis Teneriffa, von Teterow bis Tharangambadi in Indien. Nach 30 Stationen fand sie Ende 2022 in dem mystischen und verfallenen Raum der Dorfkirche von Pobles bei Lützen ihren Abschluss.
Und wieder mag man sich fragen: Pobles? Warum in aller Welt endet so ein gewaltiges Werk ausgerechnet in einem Kaff, das außer den knapp 140 Einwohnern wahrscheinlich kaum einer kennt? Vielleicht ja, weil hier Friedrich Nietzsches Mutter Franziska geboren wurde und sein Großvater einst in der Kirche predigte und auf dem Gelände der 800 Jahre alten Kirche seine letzte Ruhe fand. Der in Weißenfels, nur unweit von Pobles, geborene Philosoph und Autor Jens-Fietje Dwars sieht das so: „Pobles, dieses halb vergessene Dorf mit seiner 800 Jahre alten Wehrkirche, ist genau der rechte Ort, um das andere Erbe Nietzsches und den kulturellen Reichtum Mitteldeutschlands zu erschließen. Gerade hier, wo nicht gigantische Kulturdenkmäler in Hülle und Fülle den Betrachter erschlagen, hier könnte ein Raum des Nachdenkens, der Besinnung durch Ausstellungen, Lesungen, Vorträge und Konzerte entstehen.“
So sehen es auch die beiden „Prinzen“, die nach ihrer „Grand Tour“ heimgekehrt sind nach Mitteldeutschland, wo ihre Wurzeln liegen und wo für sie alles ihren Anfang nahm. Fragt man Moritz Götze und Rüdiger Giebler, wo es ihnen am besten gefallen hat, so fällt eine Antwort schwer. Doch ein Ort, gar nicht weit weg von ihrer Heimatstadt Halle, liegt ganz weit vorn auf ihrer Favoritenliste: Naumburg. Dort, in Nietzsches Wohnhaus mit dem angeschlossenen Nietzsche-Dokumentationszentrum feierten die Künstler und Freunde im Frühjahr 2018 das Bergfest ihrer Ausstellung. Naumburg war für das „Prinzenpaar“ mehr als nur eine Etappe auf ihrer „Grand Tour“: Für beide bedeutet die Stadt so etwas wie ein Nachhausekommen. Für den 1958 in Halle geborenen Rüdiger Giebler waren Naumburg und Umgebung „mein Erstkontakt mit der großen weiten Welt“, auf Tagesausflügen mit den Eltern in den 60er-Jahren. Und der sechs Jahre jüngere Moritz Götze erlernte Anfang der 80er-Jahre in der Domstadt und im benachbarten Bad Kösen das Möbeltischlerhandwerk. „Dort, wo ich jede Gasse kenne, meine Werke zeigen zu dürfen, war für mich der emotionale Höhepunkt der weltweiten Ausstellungstour“, sagt er.
Die Arbeiten, die die beiden Künstler auf ihrer „Grand Tour“ zeigten, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Arbeiten Rüdiger Gieblers wirken – bei oberflächlicher Betrachtung – häufig etwas chaotisch, wie ein Gewirr von Linien. Doch wer sich die Mühe macht, sich in das vermeintlich wirre „Gekritzel“ hineinzudenken, entdeckt die tiefgründige Auseinandersetzung Gieblers mit den Themen. Er selbst sagt über sich und seine Art zu zeichnen, er lausche dem „letzten Echo des Expressionismus“. Ganz anders Götze: Seine extrem farbenfrohen Werke kommen manchmal fast kindlich-naiv daher, sind voller melancholischer Untertöne, häufig durchdrungen von einer tiefgehenden Traurigkeit. „Der Spiegel“ schrieb vor einiger Zeit über ihn: „Moritz Götze erfand den deutschen Pop, rehabilitierte die Historienmalerei, holte die allegorische Kunst zurück ins pralle Leben.“
Förderung von Kultur in Mitteldeutschland
Sechs Jahre „Grand Tour – Made in Kaisersaschern“ liegen nun hinter den Künstlern. Eine Zeit, die sie intensiv erlebten. „Am Anfang hab ich gedacht, das mit ‚Kaisersaschern‘ ist ein werbestrategischer Gag, und jetzt stehen wir hier und betreiben Landschaftspflege und entwickeln pädagogische Konzepte“, so Rüdiger Giebler. Denn genau das ist letztlich passiert. In Pobles hat sich Ende 2020 der „Kaisersaschern – Verein zur Förderung von Kunst und Kultur Mitteldeutschlands Pobles e.V.“ gegründet mit dem vordergründigen Ziel, die alte zerfallene Dorfkirche als Denkmal für die kulturelle Mitte Deutschlands zu retten. Hier soll, wie sich der Verein auf die Fahnen geschrieben hat, „ein Ort für Kunst und Gemeinschaft entstehen, der den produktiven Austausch über Geschichte und Zukunft Mitteldeutschlands zum Thema hat.“
Und die „Prinzen“ werden sich so schnell nicht von Pobles verabschieden. Ein weiteres, besonderes Projekt haben sie gemeinsam mit Rainer Albert Huppenbauer, einem profunden Kenner der Weine von Saale und Unstrut, initiiert. Schon zum Bergfest ihrer „Grand Tour“ 2018 in Naumburg hatten Götze und Giebler zusammen mit ihrem Freund, der in Naumburg die Saale-Unstrut-Vinothek betreibt, eine auf 1.560 Flaschen limitierte „Grand-Tour“-Sonderedition mit von beiden Künstlern gestalteten Weinetiketten herausgegeben. Nun gibt es eine neue Sonderedition. Vom Verkauf aller Weine wird ein Teil der Gelder zur Unterstützung des Vereins Kaisersaschern gespendet.