Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse präsentierte das Gastland Spanien unterschiedlichste Facetten seiner Literaturszene. Dabei gab es einiges zu entdecken.
Warme Farben, kunstvoll im Kreis drapierte Buchseiten als Raumtrenner, stylische Glaslampen, die tropfenförmig von der Decke hängen: Der spanische Pavillon auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse bot eine anregende Plattform, um die Literatur des Gastlandes mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. Unter anderem stellte sich in diesem Rahmen mit Sara Mesa, Patricio Pron und Isaac Rosa ein Autorentrio vor, das beispielhaft für eine junge Schriftstellergeneration steht.
Sara Mesa, 1976 in Sevilla geboren, ist in Spanien bereits ein Literaturstar. „Als es dunkel wird, spürt sie, wie die Last auf sie stürzt, so schwer, dass sie sich setzen muss, um Luft zu holen.“ So beginnt Sara Mesas Roman „Eine Liebe“, der von „El País“ zum besten Buch des Jahres gekürt und 2021 mit dem Preis des unabhängigen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Auf Deutsch ist er jetzt im Wagenbach Verlag erschienen. Die Hauptfigur Nat mietet sich in La Escapa, einem Dorf im spanischen Nirgendwo, in einem Haus ein. Was sie an diesen Ort verschlägt, bleibt unklar. Der Vermieter ist aufdringlich, überall ist Ungeziefer. Nat gerät immer mehr in die Rolle der gefährdeten Außenseiterin. Im Gespräch gibt Sara Mesa klar die Motivation ihres Schreibens wieder: die Rolle der Frau in der Gesellschaft als Objekt der Begierde, auf die immer noch viel zu oft männliche Wünsche und Vorstellungen projiziert werden – in ihrem Roman stellt sie dies beinahe parabelhaft dar.
Fast das perfekte Gegenstück zu diesem Schreibentwurf liefert Patricio Pron, der 1975 inArgentinien geboren wurde und heute in Madrid lebt. Sein Roman „Morgen haben wir andere Namen“ (Rowohlt Verlag) schildert die Beziehungskrise zwischen einer Architektin und einem Schriftsteller, die von den Untiefen einer durchdigitalisierten Gegenwart an ihre Grenzen geführt werden. „Es gab eine Zeit, da prahlte er damit, dass er immer und überall schlafen könne, er müsse nur die Augen schließen, und einen Moment später sei die tägliche Welt zu Ende. Nun aber hatte er schon zwei Tage lang nicht geschlafen und fragte sich, ob er jene Fähigkeit jemals wiedererlangen würde.“ Patricio Pron berichtet, wie er in der Vorarbeit zu seinem Roman selbst mit unerwarteten Technikproblemen konfrontiert wurde: Sein ausdrücklich nur zu Recherchezwecken angelegtes Tinderprofil wurde gesperrt, als sich herausstellte, dass er seine Matches gar nicht treffen, sondern nur zu ihren Erfahrungen mit der Plattform interviewen wollte.
Politische Aktivisten, unheimliche Morde
„Hinter dem Vorhang, die Tür: Sie ist offen, du brauchst nur dagegenzudrücken, während der schwere Stoff hinter dir sich schließt und das spärliche Licht auf dem Korridor zurückbleibt.“ Szenisch spannend und fesselnd geschrieben, taucht Isaac Rosas Roman „Im dunklen Zimmer“ (Liebeskind Verlag) tief in die spanische Geschichte der letzten Jahre ein. Geboren 1974 in Sevilla, hatte Rosa mit seinem Roman „Das Leben in Rot“ bereits 2008 einen internationalen Bestseller, der erfolgreich verfilmt wurde. Sein Schreiben spielt sich in der Welt des Journalismus und in der Welt der Literatur ab, eine Trennung, die ihm sehr wichtig ist, wie er in der Diskussion betont: Artikel und Nachrichten müssen stets redlich und stimmig sein. In der Kunst aber kann man sich frei bewegen und die Tatsachen miteinander verwirbeln – man hat die „Lizenz zum Erfinden“. In „Im dunklen Zimmer“ mietet sich eine Gruppe von Freunden gemeinsam ein Ladenlokal, in dem sie ihre dunkelsten Geheimnisse erkunden und alle Tabus hinter sich lassen. Mit der Zeit gerät das Zimmer in Vergessenheit. Aber als die Wirtschaftskrise gegen 2008 das Land mit voller Wucht erfasst, erinnert sich die Gruppe an ihren geheimen Treffpunkt und nutzt ihn erneut – diesmal als Zentrale für gezielte politische Aktionen, die an das Anonymus-Kollektiv erinnern.
Und noch einmal Kontrastprogramm – bei Berna González Harbour, die nicht nur auf der Buchmesse in Frankfurt, sondern auch im Instituto Cervantes in Berlin zu Gast war. Die Preisträgerin des Premio Hammett 2020 schickt ihre Protagonistin Comisaria Maria Ruiz und die Leser in „Goyas Ungeheuer“ durch ein von der Sonne verdorrtes Madrid, in dem zudem ein brutaler Mörder sein Unwesen treibt. Eigentlich ist Maria suspendiert wegen Fehlverhaltens in einem vorangegangenen Fall. Aber da tauchen im Stadtbild immer wieder diese Inszenierungen auf, bei denen tote Tiere eine Rolle spielen und die an Zeichnungen und Gemälde von Francisco de Goya erinnern. Marias Ermittlerinstinkt ist geweckt. Dann wird die Leiche einer jungen Frau an einem Brückenpfeiler entdeckt, daneben ein Zitat des Malers, das er einer seiner Zeichnungen zugeordnet hatte. Maria spürt, hier ist ein Mörder unterwegs, der wieder zuschlagen wird, und da die Polizei auf einer falschen Fährte zu sein scheint, beginnt sie, alte Verbündete zusammenzutrommeln, um gemeinsam den Vorkommnissen auf den Grund zu gehen und weitere Morde zu verhindern. Mit der eigensinnigen Kommissarin entdeckt der Leser durchaus bekannte Seiten von Madrid, die Museen, die Prachtstraßen, die Parks, taucht aber auch in enge Gassen ein, in das Halbdunkel eines besetzten Hauses und klettert durch verbarrikadierte Fenster in einen alten, halb verfallenen Palast. Daneben erfährt man auch viel über Leben und Werk Goyas, über seine Wandlung vom Darsteller sinnenfreudiger Volkszenen zum düsteren Chronisten. Langweilig werden diese rund 470 Seiten jedenfalls bis zum Schluss nicht, auch wenn sich der Leser zwischendurch immer wieder fragt, was genau diesem Fall vorausging und weshalb Maria suspendiert wurde. Tatsächlich ist „Goyas Ungeheuer“ bereits der vierte Roman um Protagonistin Comisaria Ruiz, allerdings der erste, der auf Deutsch erschienen ist.