Er untersucht in seinen Büchern Mordfälle aus der Vergangenheit, die er im Nachhinein neu analysiert. Am 7. Dezember liest der Profiler Axel Petermann in Victor’s Residenz-Hotel Schloss Berg aus „Die Diagramme des Bösen“.
Herr Petermann, was genau ist ein Profiler, was ein Fallanalytiker?
Beide Begriffe meinen aus meiner Sicht dasselbe und könnten synonym verwendet werden. Soll heißen: Es gibt da Menschen, die analysieren einen kriminalistisch relevanten Sachverhalt. Die Diskussion um die richtige Bezeichnung, zumindest im deutschsprachigen Raum, kam in den Jahren 1998 und 1999 auf, auch um eine Abgrenzung zu den amerikanischen FBI-Vorbildern und Serienhelden im TV zu schaffen. Vom Bundeskriminalamt ausgebildete Fallanalytiker tragen den Titel „Zertifizierte polizeiliche Fallanalytiker“. Für mich eine Bezeichnung, mit der niemand so richtig etwas anfangen kann. Mit dem amerikanischen Begriff Profiler schon eher, denn der vermittelt eine gewisse Vorstellung von dem, was ein Fallanalytiker auch macht: das Profil eines Täters zu erstellen. Und genau dort fängt die Kritik an, da es sich dabei um den letzten Schritt der Fallanalyse handelt. Die Abläufe sind so: Welche Entscheidungen hat ein Täter am Tatort und am Opfer getroffen? Wie sind die Verletzungen, in welcher Reihenfolge sind diese entstanden, wie ist getötet worden? Das Geschehen wird rekonstruiert, wobei herauszufinden gilt, wie die Interaktion zwischen Täter und Opfer war. Wenn dadurch die Abläufe in einer chronologischen Reihenfolge erscheinen, sollten die Motive der Tat deutlich werden. Es gibt immer ein primäres Motiv, aber oft haben die Täter auch weitere. Wenn das alles geschehen ist, frage ich mich, wie ich mir die Persönlichkeit des Täters vorstellen muss.
Was hat Sie dazu bewogen, nach dem Ende Ihres Berufslebens sozusagen auf eigene Faust weiter zu ermitteln?
Ich hatte bereits 2010 mit dem Schreiben angefangen. Über die Bücher, bei Lesungen und bei Veranstaltungen ist immer wieder an mich herangetragen worden, ob ich mich um das eine oder andere ungeklärte Verbrechen kümmern könnte. Das ging natürlich nicht, da ich selbst noch als Fallanalytiker aktiv bei der Kriminalpolizei tätig war. Parallel dazu habe ich mir immer gesagt, dass ich nach meiner Pensionierung weiter in dem Metier arbeiten wollte. Und somit auch die eine oder andere Anfrage annehmen würde. Einerseits finde ich, dass bei allem Leid und aller Tragik hinter jeder Tat ein ganz spannendes Rätsel steckt: Was bringt Menschen dazu einen Mord zu begehen? Andererseits habe ich auch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Angehörige von Opfern enttäuscht wurden, weil sie am Ende der Ermittlungen keine Antworten bekommen haben. Da dachte ich, da kann ich vielleicht ein wenig helfen. Meine Frau und ich sind deshalb auch Schirmherr beziehungsweise Botschafterin von Anuas e. V. geworden, eine Hilfsorganisation für Angehörige von Opfern von Gewalttaten, um vielleicht die eine oder andere Antwort geben zu können.
Sie haben ja zum Teil Gegenwind bekommen von Kollegen, denen Sie versucht haben nachzuweisen, dass deren Arbeit nicht ganz korrekt war.
Ich habe nicht versucht Ihnen nachzuweisen, ob sie richtig gearbeitet haben oder nicht. Ich wollte lediglich herausfinden, was bei einem Verbrechen geschehen ist. Dafür habe ich die Spuren der Tat, die forensischen Gutachten, die Aussagen aufmerksam gelesen. Und so kommt es immer wieder vor, dass es unterschiedliche Schlussfolgerungen und abweichende Ermittlungsergebnisse gibt. Es ist nicht mein Ansatz, gegen die Arbeit der Kollegen zu opponieren. Es hätte bei meinen Recherchen ja auch herauskommen können, dass ich deren Ergebnisse bestätige.
Sie schreiben an einer Stelle, nur das umfassende Schuldgeständnis bringe Erlösung für einen Täter – den gewissenlosen Psychopathen gibt es Ihrer Auffassung nach gar nicht?
Natürlich gibt es diesen Tätertyp. Kommt bei diesen Menschen mein Appell an? Natürlich nicht, da sie letztendlich Verdrängungsmechanismen entwickeln, die die Schuld beim Opfer suchen. Hätte es sich nicht so und so verhalten, dann wäre es nicht so weit gekommen und so weiter und so fort. Ich habe diesen Satz als Appell geschrieben an denjenigen, der den Mord an Heike Rimbach verübt hat; eine junge Frau aus dem Harz, die ihr Mörder auf eine besonders grausame Art und Weise getötet hat. Meine Intention: Sollte er meine Zeilen lesen oder davon hören, soll er sein Handeln noch einmal reflektieren. Ich denke nicht, dass er diese Tat, auch wenn keine Spuren von ihm hinterlassen wurden, vergessen konnte und die Bilder des Mordes aus seinem Kopf nur verdrängt hat. Dafür ist das einfach ein zu ungeheuerliches Verbrechen. Dass man eine wehrlose, ohnmächtige Frau auf den Heuboden zieht, mit großer Wut mit einem schweren Eisenhaken auf sie eindrischt, mit einem Messer auf sie einsticht, sie dann auch noch erhängt und total erniedrigt und die Erinnerungen dann so wegschütteln kann, dass es abfällt wie ein Mantel, den man auszieht, das kann ich mir nicht vorstellen. Deswegen habe ich diesen Appell an den Täter gerichtet.
Sie haben bekannte Schriftstellerinnen wie Thea Dorn und Nele Neuhaus beraten, wenn die einen Krimi schrieben – haben Sie umgekehrt dafür Tipps erhalten in Bezug auf das Schreiben?
Das war tatsächlich so. Also von Nele Neuhaus jetzt nicht. Aber Thea Dorn kannte ich von daher, dass ich den Bremer Tatort beriet. Der erste Fall, zu dem ich angefragt wurde, war tatsächlich auch einer, zu dem Thea Dorn das Drehbuch geschrieben hatte. So hat sich die Nähe ergeben. Als ich mich dann hinsetzte und anfing zu schreiben, habe ich von ihr Hinweise bekommen, aber auch nicht nur von ihr, sondern auch von Sabine Rückert von der „Zeit“. Sodass ich dann über ein Exposé und ein Probekapitel das Glück hatte, recht schnell viele interessierte Verlage zu finden.
An was arbeiten Sie derzeit?
Als Nächstes kommt noch mit Petra Mattfeldt die Fortsetzung von „Im Kopf des Bösen“. Da ist eigentlich der Roh-Plot fertig. Das ist eine Geschichte, die meine fallanalytische Laufbahn begleitet hat. Ken und Barbie, so wurden die Täter genannt – ein kanadisches Pärchen, das Serienmorde verübte. Die Morde der beiden haben die Einstellung zur Bekämpfung der Kriminalität in Kanada sehr beeinflusst. Man hat erkannt, dass manche Morde hätten verhindert werden können, wenn die Polizei professioneller gearbeitet hätte. Und dann muss ich auch endlich mein fünftes Sachbuch beenden, in dem ich spektakuläre Fälle beschreibe und mich meine Recherchen in viele Teile Deutschlands und bis nach Sizilien geführt haben.
Was erwartet die Zuhörer bei Ihrer Lesung?
Auf jeden Fall werde ich eine Mischung aus Lesung, Erzählen und – wenn technisch möglich – Fragen aus dem Publikum anbieten. Es wird natürlich um Kriminalfälle gehen, die ich während meiner Zeit in der Mordkommission, als Fallanalytiker (Profiler) und auch nach meiner Pensionierung bearbeitet habe, auf Bitten von Angehörigen von Verstorbenen/Mordopfern oder von verurteilten Straftätern. Während der Veranstaltung gibt es Unterstützung durch Multimedia, etwa ein mehrminütiges Video über meine Arbeit als Fallanalytiker und Tatortfotos. Außerdem Ausschnitte aus einem Interview mit einem Serienmörder, das ich für das ZDF geführt habe. Dieser Mörder hat mir auch sogenannte Fantasie-Diagramme zur Verfügung gestellt, die er über seine Gefühle und ausgelebten Fantasien bei seinen Taten gezeichnet hat. Ich denke, dass dies ein True-Crime-Abend wird, wie ihn das Publikum in dieser Authentizität bisher nur selten erlebt hat, da ich nur über meine eigenen Erfahrungen spreche und nicht als Zeuge vom Hörensagen.