Beliebte Fernsehserien gibt es nicht erst, seit Netflix und Co. den Markt erobert haben. Bereits vor 50 Jahren lockten sie die Zuschauer vor den Bildschirm. Unsere Übersicht zeigt die Entwicklung des Serien-Formats der letzten Jahrzehnte auf.
Auch wenn der Rest der Familie gerade mit anderen Dingen beschäftigt war, Opa Benedikt ließ sich nicht beirren. „Ich will ‚Bonanza‘ sehen!“, forderte der militante ältere Herr immer wieder ins Chaos des Klimbim-Klans hinein. Jemand aus einer deutschen Serien-Familie rief zur besten Sendezeit nach einer amerikanischen Serien-Familie. Wobei sie unterschiedlicher nicht sein konnten: Hier die Klimbims, die in 30 Folgen immer dienstags um Viertel nach acht auf einer Bühne Sketche spielten, Filmchen einspielten, ihr beklopptes Leben zur Schau stellten und Albernheiten aneinanderreihten. Dort Ben Cartwright und seine Söhne Adam, Hoss und Little Joe, die, nachdem zu Beginn jeder Folge erstmal eine Landkarte zu markanter Musik abgebrannt war, auf der Ponderosa-Ranch ein vorbildliches, moralisch einwandfreies Leben führten –
und das 431 Episoden lang.
„Klimbim“ und „Bonanza“ – ja, es gab da etwas vor „Breaking Bad“, „The Big Bang Theory“, „Haus des Geldes“, „Game of Thrones“ und „House of Cards“. Der deutsche Klamauk begann, als der amerikanische Western endete. Als 1973 nach 14 Jahren Serie die letzte Folge „Bonanza“ ausgestrahlt wurde, startete der Westdeutsche Rundfunk „Klimbim“. Wobei das Konzept, wie viele spätere auch, aus dem Mutterland der Serie weitestgehend übernommen wurde: das einer US-Situationskomödie, einer Sitcom, also einer Form der Serie, die heute wie die Daily Soap eher belächelt wird. Es läuft da scheinbar wie mit McDonald’s: Fast jede und jeder rümpft die Nase, wenn es um das Essen bei diesem und anderen Fast-Food-Riesen geht, erfolgreich sind sie dennoch. Auch wenn von Seifenopern und Serien, die mit sorgfältig einstudierten, aber spontan wirkenden Gags für Lacher eines nicht sichtbaren Publikums sorgen, nicht wirklich geschwärmt wird, haben zum Beispiel Serien wie „King of Queens“ und „Two and a Half Men“ auch in Deutschland ein breites Publikum.
„Sopranos“ auf Platz eins der besten Serien
In der Liste der Topserien stehen sie allerdings nicht ganz oben. Das Magazin „Popkultur“ listet „Die Sopranos“, eine US-Mafia-Serie, die zwischen 1999 und 2007 ausgestrahlt wurde, auf Platz eins der 101 besten und erfolgreichsten Serien aller Zeiten. „Die Simpsons“ stehen auf Platz drei dieses Rankings hinter „Breaking Bad“ und vor „Game of Thrones“. Homer, Marge, Lisa und Bart haben aber auch aus anderem Grund Serien-Geschichte geschrieben: Die Simpsons sind mit 34 Staffeln und 731 Episoden die bisher am längsten laufende Cartoon-Serie. Die Figuren flimmern seit 1989 über die Bildschirme – sind in diesen gut drei Jahrzehnten aber nicht gealtert.
Als längste Serie der Welt gilt das ostdeutsche Sandmännchen mit rund 20.000 Folgen seit 1959. Sein westdeutscher Kollege wurde 1989 vom Bildschirm verbannt, schafft es im Ranking daher nur auf Platz zehn. Dazwischen liegen vor allem amerikanische Seifenopern, unter anderem die „Springfield Story“ mit 15.762, „General Hospital“ mit 15.000 und „Zeit der Sehnsucht“ mit 14.320 Episoden.
Wobei die am längsten laufende Serie in der Geschichte des Fernsehens keine ist, für die Drehbücher geschrieben und Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert werden müssen: „Meet the Press“ heißt die seit 1947 ausgestrahlte Reihe von NBC News, die die Zuschauer dazu einlädt, vor dem Fernseher sitzend die Presse zu treffen. In Deutschland wurde das Konzept sechs Jahre später unter dem Titel „Der internationale Frühschoppen“ übernommen. Heute nennt sich das Fernsehformat „Presseclub“. Wobei Experten darüber streiten, was denn überhaupt als Serie bezeichnet werden soll. Alle Fernseh- und Streamingdienst-Produktionen, die in mehreren Folgen ausgestrahlt werden, oder nur die fiktionalen?
Wie auch immer: „Meet the Press“ ist aus einer Radiosendung entstanden. Und das hat dieses Format mit vielen Serien der Anfangszeit des Fernsehens gemeinsam. Die Macher des damals jungen Mediums hatten schnell erkannt, dass Serien wie im Radio und zuvor schon die in Zeitungen und Zeitschriften gedruckten Fortsetzungsromane für ein treues Publikum sorgen – und damit auch für die Werbekunden interessant sind.
Weil Serien Menschen an einen Anbieter binden, greifen die Streamingdienste, die dabei sind, das lineare Fernsehen zu verdrängen, und damit schon recht weit fortgeschritten sind, teilweise tief in die Tasche. Die bislang teuerste Serie aller Zeiten ist laut eines Rankings der Programmzeitschrift „TV Spielfilm“ Amazons „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“. 465 Millionen US-Dollar soll die Staffel gekostet haben und damit das Gesamtbudget für alle „Herr der Ringe“-Filme gesprengt haben. Mit rund 58 Millionen US-Dollar pro Episode liegt diese Produktion deutlich vor „Stranger Things“, das mit 30 Millionen US-Dollar pro Episode als die teuerste Produktion des Konkurrenten Netflix gilt. Zum Vergleich: Die HBO-Serie „Game of Thrones“ verschlang 15 Millionen, die populäre Netflix-Serie „The Crown“ 13 Millionen US-Dollar pro Folge.
Gagen fast im Millionenbereich
Einen nicht unerheblichen Teil der Produktionskosten verschlingen die Gagen für Schauspielerinnen und Schauspieler, die zu Erfolgsgaranten geworden sind. Das US-Magazin „Variety“ verortet gleich fünf Akteure der Erfolgsserie „The Big Bang Theory“ ganz oben auf der Gehaltsliste: Kaley Cuoco, Johnny Galecki, Simon Helberg, Kunal Nayyar und Jim Parsons bekommen nach Informationen des Magazins jeweils 900.000 Dollar pro Folge. Die Serie, in der sich die äußerst klugen, aber im Umgang mit Frauen unbeholfenen Physiker eine Wohnung teilen, ist die Sitcom mit den meisten Episoden, 279 nämlich. In Deutschland galt „The Big Bang Theory“ als die Fernsehserie, die in einer der beiden „werberelevanten Zielgruppen“, der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen, am meisten gesehen wurde. Die 2019 abgeschlossene Serie ist immer noch ein Erfolgsmodell auf mehreren Streaming-Kanälen.
Die „Game of Thrones“-Stars Lena Headey, Kit Harington, Peter Dinklage, Nikolaj Coster-Waldau und Emilia Clarke verdienten nach Angaben von „Variety“ rund eine halbe Million US-Dollar pro Folge. Diese Summe soll auch Kevin Spacey für seine Rolle als skrupelloser Politiker Frank Underwood in „House of Cards“ bekommen haben. Auch diese Serie schrieb Geschichte – nicht nur wegen des Rechtsstreits zwischen der Produktionsfirma und Kevin Spacey, nachdem sie den Hauptdarsteller wegen Missbrauchsvorwürfen entlassen, die Produktion gestoppt und den Star aus dem Drehbuch rausschreiben ließen. „House of Cards“ hat Geschichte geschrieben, weil es die erste in den USA ausschließlich über einen Streamingdienst ausgestrahlte Serie war, die in der wichtigsten Kategorie „Outstanding Drama Series“ für einen Emmy nominiert wurde. Insgesamt wurden es bei diesem bedeutenden Preis 56 Nominierungen und sieben Auszeichnungen. Es gibt Medienkritiker, die „House of Cards“ als „die Mutter aller Streamingdienst-Serien“ bezeichnen.
Erster Emmy für Streaming-Serie
Weil Streamingdienste das Publikum auf der ganzen Welt für ihr Programm begeistern wollen, bekommen die deutschen Zuschauerinnen und Zuschauer inzwischen nicht nur wie früher im Fernsehen vor allem Produktionen der eigenen Sendeanstalten wie „Lindenstraße“, „Schwarzwaldklinik“ und „Traumschiff“, US-Serien und die ein oder andere skandinavische Reihe zu sehen. Vor allem spanische Serien haben sich im neuen internationalen Mix ihren Platz erobert. „Haus des Geldes“, die Geschichte der sympathischen Verbrecherbande, die erst die spanische Banknotendruckerei überfällt und dann die Goldreserven des Landes stiehlt, steht ganz oben auf dieser Erfolgsliste. Aber auch „Der junge Papst“ mit Jude Law in der Titelrolle sowie die Dramaserien „Vis a Vis“, „Kein Friede den Toten“ und „Die längste Nacht“ haben für Aufmerksamkeit gesorgt.
Und selbst aus den USA kommen über Streamingdienste überraschende Serienformate. Amazon zum Beispiel stellt in „The Boys“ den Superhelden-Mythos auf den Kopf, macht aus Helden arrogante und gefährliche Psychopathen und spielt dabei ganz bewusst mit einer Sprache und mit Verhaltensmustern, wie man sie etwa von Donald Trump kennt. „The Boys“, „House of Cards“, „Haus des Geldes“ und viele andere Serien zeigen das Gegenteil von dem, was Klimbim-Opa Benedikt und vielen Fernsehzuschauern in den 70er- und 80er-Jahren vorgesetzt wurde: eine Welt ohne Moral, eine Welt, in der auch die Gesetzlosen die Sympathischen sein können. Eben nicht „Bonanza“.