Unter der Führung von Annalena Baerbock (Grüne) hat sich das Auswärtige Amt der feministischen Außenpolitik verschrieben. Eine Annäherung an einen neuen Begriff, dessen Wurzeln mehr als 100 Jahre alt sind.
Es ist 17 Uhr 45 Ortszeit und das Jahr noch jung, als Annalena Baerbock aus dem Flieger steigt und Lissaboner Boden betritt. Es ist der 3. Januar, als die deutsche Außenministerin von den portugiesischen Kollegen in Empfang genommen wird. Im Fokus ihres 24-stündigen Staatsbesuches stehen der Ukraine-Krieg und die Klimapolitik. Mit auf der Agenda der Reise steht auch ein Besuch im Ozeanarium, das auch für seine Meeresforschung bekannt ist. Baerbocks Mission ist klar: Die grüne Außenministerin holt erstmals internationale Klimapolitik in die Außenpolitik. Ein weiteres Novum im Außenministerium und ein Begriff, der immer wieder fällt, ist die sogenannte feministische Außenpolitik – oder abgekürzt auch FAP. Während der Begriff Klimapolitik in seiner Bedeutung klar sein dürfte, ist feministische Außenpolitik für viele Menschen wie ein Buch mit sieben Siegeln. Mit dem Antritt von Annalena Baerbock hat in Deutschland nicht nur erstmalig eine Frau das höchste Amt im Bundesaußenministerium inne. Sondern ebenso erstmalig verfolgt eine deutsche Außenpolitik das Konzept einer feministischen Außenpolitik.
Erste Frauenfriedenskonferenz fand 1915 in Den Haag statt
Was aber ist feministische Außenpolitik überhaupt? Nach einer Umfrage der Körberstiftung im Jahr 2022 gaben mit 46 Prozent fast die Hälfte der Befragten an, noch nie von diesem Begriff gehört zu haben. Von der anderen Hälfte konnte nur gut jeder Zehnte sagen, dass er genau wisse, was feministische Außenpolitik bedeute. 42 Prozent gaben an, nicht oder nur ungefähr zu wissen, was damit gemeint sei. Ein Blick auf das Internetportal des Auswärtigen Amtes hilft nur bedingt weiter. „Feministische Außenpolitik“, heißt es dort, basiere auf der Überzeugung, dass „Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der Welt“ seien. Die Frage, ob ab sofort im Auswärtigen Amt nur noch Frauen zu Wort kommen würden, verneinte Außenministerin Annalena Baerbock: Einer feministischen Außenpolitik, so die grüne Ministerin, gehe es nicht um das Ausschließen, sondern um das Einbinden. „Es geht nicht darum, weniger Stimmen zu hören, sondern mehr Stimmen.“ Doch wie das Konzept ganz konkret aussehen und umgesetzt werden soll, darüber scheinen sich die Minister-in und ihr Ministerium selbst noch nicht ganz im Klaren zu sein. Denn dort heißt es auch, dass das Auswärtige Amt „in den kommenden Monaten“ gemeinsam mit „internationalen Partner*innen, Expert*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft definieren (wird), was genau eine deutsche feministische Außenpolitik künftig ausmachen wird.“
Dabei ist das Konzept als solches nicht neu. Seine Anfänge reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Aus der Taufe gehoben wurde die Idee 1915 von den Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Lida Gustaya Heymann. Sie initiierten den ersten internationalen Frauenfriedenskongress, der im niederländischen Den Haag stattfand. Mehr als 1.000 Pazifistinnen aus zwölf Ländern trafen sich dort. Sie forderten das Ende des Ersten Weltkrieges, die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs, eine weltweite Kontrolle des Waffenhandels und Gleichberechtigung für alle Menschen. Auch Massenvergewaltigungen prangerten die Aktivistinnen als illegitime Kriegswaffe an. Dass Abrüstung ein „feministisches Kernanliegen in der Geschichte“ sei, schreibt auch die Politologin Kristina Lunz in ihrem Sachbuch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“. Die Autorin und Mitbegründerin des Berliner „Centre for Feminist Foreign Policy“ (CFFP, deutsch: Zentrum für feministische Außenpolitik) fordert, dass die Bundesregierung „langfristig eine Strategie für ein Exportende von deutschen Waffen, militärischer Ausrüstung, Technologie und militärischem Wissen“ erarbeitet und umsetzt. Auch deutschen Tochterfirmen der Rüstungsindustrie im Ausland solle auf lange Sicht der Garaus gemacht werden. Feministische Außen- und Sicherheitspolitik hinterfrage das „militaristische Paradigma“, heißt es denn auch in einem Diskussionspapier der Grünen aus dem Jahr 2019. Als „Denkschule der Internationalen Beziehungen“ stelle feministische Außenpolitik den „Schutz von Menschen in den Fokus“ – nicht die militärische Sicherheit von Staaten oder die Integrität von Grenzen. Im Zuge der Jahrtausendwende verankerte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ den Schutz und die Teilhabe von Frauen in kriegerischen Konflikten und bei Friedensverhandlungen schließlich im Völkerrecht. Als erstes Land führte Schweden mit der Außenministerin Margot Wallström im Jahr 2014 offiziell eine feministische Außenpolitik ein. Danach folgten weitere Staaten. Mit dabei sind Kanada, Frankreich, Spanien und Mexiko, seit 2021 auch die Bundesrepublik.
Die Politologin Kristina Lunz erläutert, warum in puncto Außenpolitik nicht nur ein menschenrechtlicher und humanistischer, sondern ausdrücklich ein feministischer Ansatz aus ihrer Sicht wichtig ist. „Menschenrechte sollen für alle da sein“, sagt sie. Doch sie seien es „seit Jahrtausenden“ nicht. Die Rechte einer kleinen Gruppe seien „stets über die der numerischen Mehrheit“ gestellt worden. Daher brauche es einen Begriff, der die „jahrtausendelange Unterdrückung und Ausbeutung“ verdeutliche. „Humanismus tut das nicht“, so die Feministin. „Kann er nicht, solange Frauen, People of Colour, Menschen mit Behinderungen oder queerer Geschlechtsidentität und viele andere eben nicht denselben Schutz und die Rechte genießen wie die weiße männliche Elite.“ Der Humanismus, so argumentiert Kristina Lunz, klammert die Unterdrückung weniger privilegierter Gruppen aus. So geht es bei feministischer Außenpolitik nicht nur um gleichberechtigte Teilhabe von Frauen, sondern auch um das genaue Hinschauen, wenn Frauen oder andere Minderheiten untervorteilt oder unterdrückt werden. Dass das gerade besonders in Kriegszeiten wichtig ist, findet Simone Wisotzki, Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. „Es geht darum geschlechterspezifische Formen von Gewalt sichtbar zu machen und gleichzeitig geschlechtersensible Menschenrechte zu realisieren“, sagt sie in einem Interview mit dem Medienmagazin Phönix. Auf die Frage, welche Möglichkeiten feministische Außenpolitik etwa im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine habe, nennt die Konfliktforscherin kommunikatives Geschick im Bereich des Gefangenenaustausches.
Gegen Aufrüstung und Waffenexporte
Der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar stellt die Prinzipien einer gerade erst wachsenden feministischen Außenpolitik in Deutschland auf eine harte Probe. Die Entmilitarisierung als eine Säule des Konzeptes ist zumindest im vergangenen Jahr keinen Schritt weitergekommen. Die Lage hat sich sogar verschärft. So hat die Bundesregierung in diesem Jahr Rüstungsexporte für mindestens 8,35 Milliarden Euro genehmigt. Schon jetzt ist das der zweithöchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch nur etwas mehr als ein Viertel der vom 1. Januar bis 22. Dezember gelieferten Waffen und militärischer Ausrüstung ging in die Ukraine. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke) hervor. Noch in den Koalitionsverhandlungen hatte sich die Ampel-Regierung vorgenommen, Rüstungsexporte zurückzufahren. Doch mit dem Krieg sind Rüstungslieferungen von 2,24 Milliarden Euro für die Ukraine genehmigt worden. An der so genannten „Zeitenwende“ kann es nicht liegen: Denn auch ohne die Ukraine wurden Exporte im Wert von mehr als sechs Milliarden Euro genehmigt. „Das Kabinett von SPD, FDP und Grünen verantwortet die zweithöchsten Exporte von Waffen und Kriegsgerät aller Zeiten“, kritisiert die Linkenpolitikerin. Statt die Rüstungsexporte wie versprochen einzuschränken liefere die Ampel „skrupellos“ Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisengebiete und profitiert von Konflikten und Toten. Die Umsetzung einer feministischen Außenpolitik in Deutschland haben sich die Frauenrechtlerinnen um Anita Augspurg und Lida Gustaya Heymann während ihres Friedenskongresses im Jahr 1915 wahrscheinlich ganz anders vorgestellt.