Warum moralische Anforderungen an Fußballer nur bedingt realistisch sind
Millionen Fans haben dem nur alle vier Jahre kredenzten Fußballhöhepunkt entgegengefiebert. Die von den Protagonisten groß angekündigte Wiederauferstehung des deutschen Fußballs wurde schon im ersten Spiel von bescheidenen, effizienten und mannschaftlich geschlossen auftretenden und aufspielenden Japanern in wenigen Minuten „beerdigt“.
Die Winter-WM in der Wüste war für Deutschland leider nur eine kurze Fata Morgana, eher geprägt von doppelmoralischen politischen Trugbildern als echter fußballerischer Eintracht und Brillanz. Die Erkenntnis, dass sich die Mächtigen weder in Katar noch in der Fifa an unseren demokratischen und moralischen „Spielregeln“ orientieren, war nicht erst seit der Vergabe vor zwölf Jahren offensichtlich, dafür brauchte es keinen Videobeweis. Der Zeitpunkt und die Bühne einer WM-Endrunde war für die Hauptdarsteller und ihre fußballerischen Ambitionen die denkbar schlechteste Gelegenheit, dem einladenden Gastgeber ihre „Wertschätzung“ zu demonstrieren.
Bei den hochtalentierten Ballkünstlern, die sich in einem harten Auswahlprozess seit ihrer frühesten Kindheit unter vielen Millionen als die besten der Welt durchgesetzt haben, bewundern wir gern herausragende Leistungen auf dem grünen Rasen. Die Erwartung, dass sich 25-jährige Multimillionäre, die sich seit rund 20 Jahren fast ausschließlich auf dem gleichen, überschaubaren Spielfeld bewegen, zu gesellschaftlichen Vorbildern entwickelt haben, mag im Einzelfall erfüllt werden, ist aber doch eher überzogen und überfordernd.
Und warum sollte man nicht einfach akzeptieren, dass unter diesen Umständen und in dieser Lebensphase auch mal mehr Interesse an getunten Sportwagen, Tattoos und Frisuren besteht als an Gesellschaftspolitik und Moralphilosophie? Allerdings: Alles andere als vorbildhaft, sowohl bei Spielern als auch Betreuern, ist das – im Gegensatz zu vielen andere Sportarten – zu häufig inakzeptabel aggressive und übergriffige Verhalten gegenüber Kollegen und Schiedsrichtern. Mal ganz abgesehen von offensichtlich unehrlichem Gebaren und unwürdigem Schauspiel bei eindeutig verschuldeten Fouls, Eckbällen und ähnlichem.
Diese Verhaltensmuster sind nicht nur kontraproduktiv, um den harten Kern der Hooligans aufzuweichen. Sie färben auch ab auf den Amateursport. Eltern und Pädagogen müssen es bei Kindern und Jugendlichen, die verführt sind, sich wie diese „Vorbilder“ zu gerieren, ausbaden. Das ruft nach Intervention und einer zeitgemäßen Etikette. Aber kann man diesbezüglich von Institutionen wie der obskuren Fifa oder Uefa, die ihre hehren Lippenbekenntnisse von Respekt, Fairness und Ehrlichkeit im Alltag regelmäßig ad absurdum führen, irgendwas erhoffen?
Allen, die jetzt mit dem Standardspruch kommen, „Emotionen gehören zum Fußball“, stimme ich gern zu. Aber bei der „schönsten Nebensache der Welt“ sollten die bei der Mehrheit auf den Stadiontribünen immer wieder attraktiv anzusehenden positiven Emotionen im Vordergrund stehen. Auch passagerer Ärger, Missmut und Enttäuschung gehören zum Leben wie zum Sport. Aber Beschimpfung und Aggression, Wut- und Hasstiraden, Pöbeleien und Häme sollten auf ein Minimum limitiert werden.
Lassen wir uns lieber immer wieder angenehm überraschen, wenn sich Sportler und Sportlerinnen unprätentiös auf und neben dem Platz auch als tolle Charaktere zeigen. Und auch nach Ende einer „monokulturellen“ sportlichen Karriere offenbaren sich nicht selten vielseitige, interessante, kritische, vielleicht auch vorbildliche Persönlichkeiten. Übrigens auch als TV-Fußballexperten und Kommentatoren waren sie bei dieser WM eine Bereicherung.
Was sie oft besonders auszeichnet: Sie ließen sich von sehr schmerzhaften und öffentlichen Niederlagen nicht von ihrem Weg abbringen. Das sollten wir auch der deutschen Equipe für ihre Heim-EM wünschen. Zumal bei aller berechtigten Kritik: Wir waren bei sachlicher Analyse nicht so schlecht, wie das jetzt in den Annalen verewigt ist.