Die Eisbären Berlin taumeln dem Saisonende entgegen. Absteigen kann der Meister praktisch zwar nicht mehr, aber die anvisierte Aufholjagd macht er sich durch Rückschläge wie gegen Bietigheim immer wieder kaputt.
Der Worst Case ist abgewendet, die Eisbären Berlin spielen auch in der kommenden Saison in der Deutschen Eishockey Liga. Und nicht nur das: Nach einer starken Phase durfte sich der Deutsche Meister sogar wieder Hoffnungen machen, die K.-o.-Spiele durch die Hintertür Pre-Play-offs doch noch zu erreichen. Aber davon war nach dem 2:6-Debakel am vergangenen Sonntag auswärts beim Tabellenletzten Bietigheim Steelers überhaupt keine Rede mehr. Im Gegenteil: Es war die Zeit für Demut und Entschuldigungen. „Am Ende des Tages müssen wir uns eigentlich bei den Fans entschuldigen, die im Stadion dabei waren, und bei allen, die vor dem Fernseher gesessen haben“, sagte Nationalspieler Marcel Noebels komplett bedient: „Das war einfach nicht genug. Die Bereitschaft war überhaupt nicht da.“ Wie so oft in dieser Saison, als man eigentlich davon ausgehen konnte, dass sich der DEL-Rekordmeister endlich stabilisiert hat. Doch die Pleite gegen Bietigheim war wieder einmal ein herber Rückschlag. Während Experten über die Gründe für den erneuten Einbruch rätselten, zählte sie Noebels knallhart auf: „Das hat mit Zweikämpfen zu tun, das hat mit Willen zu tun, das hat mit vielen Sachen zu tun, die man machen muss, wenn man da steht, wo wir stehen.“
„Die Bereitschaft war überhaupt nicht da“
Auch Trainer Serge Aubin war „frustriert“, denn er hatte sein Team schon deutlich weiter gesehen. Und die Play-offs? „In unserer aktuellen Situation brauchen wir Siege“, knurrte der Kanadier. Doch die Chancen auf den fest eingeplanten Sieg hatte sein Team in Bietigheim nach dem katastrophalen ersten Drittel fast schon verspielt, obwohl die Berliner sogar mit 1:0 in Führung gegangen waren. Nach dem ersten Gegentreffer brachen die Eisbären aber komplett ein und sorgten sogar bei der ansonsten so schlagfertigen Social-Media-Abteilung des Clubs für Sprachlosigkeit. „Wat sollen wir sagen: 2:6. Und mehr fällt uns auch nicht dazu ein“, twitterte der Verein: „Sarkasmus funktioniert bei Twitter nicht, denkt euch an dieser Stelle einfach irgendwas.“
Die meisten Fans dürften sich gedacht haben: Zum Glück ist der Puffer zu den Abstiegsplätzen so groß – denn in Bietigheim hatten die Berliner wie ein Absteiger gespielt. Das ist umso erstaunlicher, da das Team eigentlich die Saison nicht abschenken, sondern nach dem „letzten Strohhalm für den Play-off-Zug“ greifen wollte, wie es Angreifer Frank Maurer ausgedrückt hat. Nach dem Auswärtsspiel am vergangenen Mittwoch bei den Schwenninger Wild Wings geht es für die Eisbären aber vor allem darum, im Heimspiel am Freitag (17. Februar, 19.30 Uhr) gegen die Löwen Frankfurt die eigenen Fans zu versöhnen. Die nicht nur von Maurer ausgerufene Aufholjagd („Wir können es noch schaffen“) steht erst mal hinten an.
Gegen Bietigheim erwischte auch Tobias Ancicka einen rabenschwarzen Tag. Der Youngster, der am 27. Februar seinen 22. Geburtstag feiert, war mit viel Selbstvertrauen von den U25-Länderspielen unter der Woche gegen die Slowakei zurückgekehrt, doch dem Dauerdruck des Gastgebers hielt er nicht stand. Schon nach der ersten Drittelpause wurde er durch den noch mal drei Jahre jüngeren Nikita Quapp im Tor ersetzt. Der Berliner Torwart-Trainer Sebastian Elwing sieht darin aber eher einen Ausrutscher, weil Ancickas Formkurve wie die der anderen Eisbären auch davor nach oben zeigte. „Tobias hat sich zu einem guten Torwart entwickelt“, sagte er: „Wenn er sich voll auf die Scheibe konzentriert und den Puck noch besser als bisher im Auge behält, dann kann er ein ganz Großer werden.“
Ancicka und sein um ein Jahr jüngerer Back-up Juho Markkanen aus Finnland haben in ihrer Premieren-Saison als Torwart-Duo in der DEL zwar immer mal wieder ihr unbestrittenes Talent nachgewiesen, aber auch Konstanz vermissen lassen. Das ist angesichts ihres Alters und der spezifischen Anforderungen auf der Torwart-Position keine Überraschung, sorgte aber dafür, dass die ganz große Sicherheit, die beispielsweise Vorgänger Mathias Niederberger ausgestrahlt hat, sich nicht auf die Vorderleute übertrug.
„Natürlich trägt man eine große Verantwortung“, sagte Ancicka über die mentale Belastung, die Nummer eins des strauchelnden DEL-Titelverteidigers zu sein: „Ich muss noch lernen, mir weniger Gedanken zu machen und einfach zu spielen.“ Genau wie die anderen Eisbären-Profis steigerten sich auch Ancicka und Markkanen, der von NHL-Club Los Angeles Kings beim Draft 2020 in der vierten Runde ausgewählt und nun nach Berlin verliehen wurde. Beide drückten ihren Gegentorschnitt auf knapp unter drei, damit liegen sie zwar ligaweit immer noch weit abgeschlagen hinter Toptorhütern wie Niederberger oder Felix Brückmann. Aber der Trend ist eher positiv.
„Das ist eine reine Kopfsache“
„Es ist Teil des Prozesses eines jungen Torhüters, dass er solche Phasen miterleben muss, um in seiner Entwicklung weiterzukommen“, sagte Elwing über die zeitweisen Rückschläge: „Es ist nicht jeden Tag Sonnenschein.“ Er schaue sich mit seinen jungen Goalies viele Videos an und zeige ihnen detailliert auf, „welche Sachen wirklich gut gemacht wurden und woran wir noch arbeiten müssen“. Die Philosophie, auf der neuralgischen Torhüter-Position auf junge Talente zu setzen, dürfte dennoch nach Saisonende hinterfragt werden. Genau wie die Kader-Zusammenstellung insgesamt.
Für die ist bei dem DEL-Rekordmeister Stéphane Richer verantwortlich. Der Sportdirektor steckte wie die meisten Spieler erstmals in seiner Karriere im Abstiegskampf, der ihm zeitweise viel Lebensqualität gekostet hatte. „Nachts kann ich manchmal nicht schlafen, weil mir die Eisbären durch den Kopf gehen“, verriet Richer. Der frühere NHL-Verteidiger sieht den Hauptgrund für den Absturz des Titelverteidigers auf Platz 13 nicht in der fehlenden Qualität, sondern im mentalen Bereich. „Das ist eine reine Kopfsache“, meinte er. Immer wieder hätte das Team „groß aufgespielt“ – und sei dann beim ersten Gegentor „zusammengebrochen“. Ein Muster, das sich auch in Bietigheim wiederholte.
Zweifelsohne wird die missratene Saison nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ob dies auch die sportliche Führung um Richer und Aubin betrifft, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird es personelle Änderungen im Kader geben, ein größerer Umbruch wird erwartet. Heiß gehandelt wurde zuletzt in den Medien der Name Frederik Tiffels. Der Nationalspieler soll ein gut dotiertes Vertragsangebot seines aktuellen Clubs Red Bull München nicht angenommen haben, damit dürfte er weiterhin auf dem Markt sein. Allerdings sind an dem schnellen und torgefährlichen Flügelflitzer auch internationale Clubs interessiert, die Eisbären müssten bei einem Deal also bis an die finanzielle Schmerzgrenze gehen – und vielleicht auch darüber hinaus.
Tiffels hat sich nicht erst im Vorjahr, als er vor allem in der Champions Hockey League seine Klasse gezeigt hatte und zum wertvollsten Spieler ausgezeichnet worden war, international einen Namen gemacht. Der 27-Jährige dürfte sich vor einer Vertragsunterschrift also genau anschauen, welches Potenzial sein neues Team hat. Auch deswegen war der desolate Auftritt der Eisbären in Bietigheim ein Rückschlag.