Mit ihrem „Manifest für den Frieden“ wollten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer eine neue Friedensbewegung ins Leben rufen. Doch das ist nicht so einfach: Frieden ist nicht gleich Frieden.
Es sind zunächst Symbole, die die „neue Friedensbewegung“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer spalten. Vor der russischen Botschaft unter den Berliner Linden, wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt, wurde von einem Künstlerkollektiv ein völlig zerstörter T-72-Kampfpanzer der russischen Armee aufgestellt. Ein Friedensappell an Russland, so das Künstlerkollektiv, das den Panzer auf eigene Kosten aus der Ukraine mit einem Tieflader nach Berlin geschafft hat.
Doch der Panzer wird zum ersten Kristallisationspunkt für die Frage, an deren Antwort heute jeder scheitert: Wie endet dieser Krieg? Der russische Panzer sei vor Kyjiw im April letzten Jahres auf eine Panzermine gefahren, der gesamte Unterbau des Kettenfahrzeugs wurde aufgerissen, der Schützenturm weggesprengt, erklären die Initiatoren dieser Aktion. Drei junge russische Panzersoldaten starben durch eine Mine, die in Zeiten des Warschauer Paktes hergestellt worden war, als sich die damaligen Bruderstaaten Russland und Ukraine in der Sowjetunion gegenseitig unterstützten. Der Irrsinn des Krieges zum Anfassen, mitten auf dem Pracht-Boulevard, mitten in Berlin. „Wir bringen ihnen jetzt ihren Kriegsschrott zurück“, sagt das Künstlerkollektiv mit Blick auf die russische Botschaft, keine 50 Meter entfernt.
Doch nun kommt das Gespräch der Besucher auf die getötete Besatzung. Diese sei ja auch nicht freiwillig mit ihrem T-72 nach Kyjiw vorgestoßen, so eine Vertreterin der „neuen Friedensbewegung“. Die gut 70-Jährige, eine ehemalige DDR-Bürgerin, fordert sofortige Verhandlungen und einen Stopp von weiteren Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine. Eine Ukrainerin, vor nicht mal einem Jahr nach Berlin geflüchtet, hält sofort dagegen. Die ältere Dame wüsste doch gar nicht, wie viele ukrainische Menschenleben die Soldaten mit ihrem T-72 auf ihrem Weg bis Kyjiw auf ihr Gewissen geladen hätten; wie viele ihrer Mitbürger ihr Zuhause durch Granaten aus ebendiesem Panzer verloren hätten. Bei den Umstehenden betretenes Schweigen.
Debatte um russischen Panzer
Umso wortgewandter geht es zum gleichen Zeitpunkt auf der Westseite der Brandenburger Tores zu. Das prominenteste Gesicht der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer haben zur großen Friedenskundgebung geladen. Es geht um nichts Geringeres als die Verkündung ihres „Manifests für den Frieden“.
Doch der Wettergott meint es an diesem Samstag nicht gut mit ihnen: null Grad und Schneeregen, dazu peitscht kalter Ostwind durch das Wahrzeichen der Deutschen Einheit. Trotz des widrigen Wetters sind immerhin laut Polizei 13.000, laut Veranstalter mehr als 50.000 Menschen gekommen. Auf jeden Fall ist der Platz vor dem Brandenburger Tor direkt neben dem Bundestag rappelvoll und Sahra Wagenknecht verkündet, wie groß die Angst der Bundesregierung vor einer neuen Friedensbewegung sei und dass es Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten brauche.
Doch schon das Gespann Wagenknecht/Schwarzer will nicht so recht zusammenpassen. Die Linkspolitikerin gibt sich staatstragend, mit ernster Miene, ganz in Schwarz gekleidet. Die 80-jährige Frauenrechtlerin ist offensichtlich überwältigt von der Menge an Menschen, die sie mit Wagenknecht auf die Beine gestellt hat. Alice Schwarzer kommt aus dem Dauergrinsen gar nicht mehr heraus, ein Schwätzchen hier, ein Hallo da. Wenig passend zum ernsten Thema, das da vorne am Rednerpult abgearbeitet wird. Doch das Publikum im dichten Schneetreiben bekommt davon wenig mit. Man ist mit sich selbst beschäftigt.
Denn was ist der richtige Weg zum Frieden? Verhandlungen oder Waffenlieferungen lautet auch hier das bestimmende Thema. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vor einem Jahr ist eine völlig veränderte Friedensszene angetreten. Da sind Friedensaktivisten, ehemalige Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr, die ihren Einsatz am Hindukusch nun in einem völlig neuen Licht sehen. Dazu kommen Teile der Umwelt- und Bürgerrechtsbewegung aus der ehemaligen DDR, sie vereinen sich unter dem Banner „Schwerter zu Pflugscharen“. Und dann sind da noch Blogger aus der rechten Szene und verurteilte Holocaustleugner, obskure Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger. Ehemalige SED-Genossen, die im Strudel der Zeit mit ihrem Parteibuch bei der Linken strandeten, um dann auszutreten, treibt eine Hoffnung: Wird Sahra Wagenknecht an diesem Tag endlich die Gründung einer neuen Partei bekannt geben? Nein. Die Ausrufung einer „neuen Friedensbewegung“ muss erst einmal reichen.
Völlig veränderte Aktivistenszene
Ergänzt wird das Spektrum der Teilnehmer durch einige wenige Vertreter der AfD. Diese inszeniert sich seit Wochen als die neue Friedenspartei. Doch die Bundesprominenz der Partei fehlt an diesem kalten Tag. Parteichef Tino Chrupalla ist mit seiner Familie im Winterurlaub, seine Co-Vorsitzende Alice Weidel laboriert weiterhin an einem gebrochenen Sprunggelenk und konnte nicht kommen. Auch der Friedenskurs innerhalb der AfD-Führung ist mehr als umstritten. Die westdeutschen Landesverbände sind für Waffenlieferungen an die Ukraine, die ostdeutschen dagegen. Dort folgt man ganz offensichtlich weiterhin dem Motto: „Lang lebe die deutsch-sowjetische Freundschaft“.
Was fehlt, ist das Grünen-Spektrum, die eigentliche Keimzelle der traditionellen Friedensbewegung in Deutschland. Dies lässt wiederum Sahra Wagenknecht genug Raum, um über „Panzer-Toni“ Anton Hofreiter und Außenministerin Annalena Baerbock polemische und abfällige Bemerkungen unterzubringen. Dabei vergisst die Linken-Politikerin, dass auch ihre eigene Parteiführung zum Boykott der „neuen Friedensbewegung“ aufgerufen hat. Aus Angst, dass sich viele rechte Gruppen dort „hineinputschen“ könnten, wie es Linken-Chefin Janine Wissler gegenüber FORUM auf den Punkt bringt. Deshalb hat die Linken-Bundespartei zeitgleich eine eigene Demo organisiert, die allerdings so gut wie keinen Zuspruch fand. Vielleicht lag es auch am gräulichen Winterwetter.
Trotz der Demos geht der Krieg weiter. Den jüngsten Vorstoß Chinas für einen Frieden in der Ukraine hat Russland übrigens abgelehnt.