Alle Zeichen standen auf Energiewende, als Putin seinen Krieg anfing. Beim „Women’s Energy Club of Ukraine“ (Wecu) ist deshalb spezielles Engagement gefragt. Maryna Ilchuk aus Kyjiw erklärt, wie die Energiewende auch in schwierigen Zeiten gelingen kann.

Frau Ilchuk, was können Energieexpertinnen für den Klimaschutz leisten?
Aus meiner Erfahrung als Wecu-Vorstandsmitglied und nachdem ich die Arbeit von Frauen in diesem Sektor kennengelernt habe, weiß ich, welch spannendes Potenzial in Frauen schlummert, um die grüne Wirtschaft und die Energiewende voranzutreiben. Sowohl in Europa als auch in der Ukraine sind Frauen von Natur aus geneigt, in Bereichen zu arbeiten, die mit Energieinnovation, einschließlich erneuerbarer Energien, zu tun haben. Und sie unterstützen grüne Energielösungen in hohem Maße. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass sie bei der Reform der EU-Politik für die Energiewende an vorderster Front stehen sollten. Die Wecu unterstützt das Ziel, bis 2030 in der Ukraine 50 Prozent erneuerbare Energien einzusetzen. Wir sind der Meinung, dass dieses Ziel ohne eine bessere Vertretung von Frauen im Energiesektor nicht erreicht werden kann. Daher möchten wir auch, dass 50 Prozent der Entscheidungspositionen von Frauen besetzt werden.
Was ist mit den Fachfrauen, für die es nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu Hause zu gefährlich wurde?
Der Wecu arbeitet daran, Frauen, die wegen der militärischen Invasion aus ihrer Heimat fliehen mussten, aufzuspüren, insbesondere diejenigen, die in Deutschland sind, in Bezug auf die Initiative „We United for Ukraine“ mit der DENA. Wir helfen ihnen, unterschiedliche Arbeitsvermittlungen in den Städten, in denen sie sich niedergelassen haben, zu finden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit an Energieunternehmen mit offenen Stellen im Energiesektor appellieren, zu erwägen, ihre Angebote auf vertriebene ukrainische Energieexperten auszuweiten, und sich mit uns in Verbindung zu setzen, damit wir sie bei der Einstellung von Fachfrauen unterstützen.
In welchem Umfang sind ukrainische Energieanlagen bisher durch russische Angriffe zerstört oder unbrauchbar worden?
Das ukrainische Energiesystem hat seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine in einem Jahr 14 massive Raketenangriffe, 17 massive Angriffe aufgrund fliegender Drohnen und 255 Treffer auf Energieobjekte erlebt. Das besagen die Daten von Yasno und Top Lead. Dadurch hat die Ukraine vorübergehend folgende Kapazitäten verloren: 90 Prozent der Wind- und 50 Prozent der Solarenergiekapazitäten, 75 Prozent der Kapazität der Wärmekraftwerke, 44 Prozent der Kernkraftwerke und 33 Prozent der Blockheizkraftwerke. Der Schaden an der gesamten Energieinfrastruktur beläuft sich damit auf rund 6,8 Milliarden US Dollar. Schätzungen vom Frühjahr 2022 zufolge könnten sich die Verluste im Bereich der erneuerbaren Energien auf eine Milliarde US Dollar belaufen.
Was bedeuten diese Zerstörungen und Verluste für die Menschen in Ihrem Land?
Infolge der ständigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur muss Ukrenergo als Betreiber des Übertragungsnetzes den Ukrainern Notstromausfälle auferlegen, während sie Reparaturarbeiten an den beschädigten Anlagen durchführen. Meistens zielt Russland absichtlich auf Hochspannungsumspannwerke und Kraftwerke ab, um die Erzeugerregionen von den unterversorgten Regionen zu isolieren. Die Umspannwerke wirken wie Verbindungsstücke zwischen den Stromerzeugungsanlagen und den Verteilungsnetzen, die den Strom an die Verbraucher liefern.

Wie sieht es mit Ersatzmaterial aus, auch für die Erneuerbaren?
Den Russen ist klar, dass eine schnelle Reparatur unmöglich ist: Die Ukraine verfügt nicht über einen großen Vorrat an Ersatzteilen. Daher arbeitet die Ukraine jetzt vor allem mit internationalen Partnern zusammen, um die notwendige Ausrüstung zu beschaffen – damit in den Städten wieder Licht brennt.
Können erneuerbare Energien die Ausfälle von Kernkraftwerken trotz ihrer eigenen Mangellage ersetzen?
Die Kapazität der erneuerbaren Kraftwerke ist derzeit natürlich viel geringer als die der Kernkraftwerke, da die Kernkraft etwa 55 Prozent des Energiemixes in der Ukraine ausmacht. Die erneuerbaren Kraftwerke tragen aber definitiv zur Energieunabhängigkeit der Ukraine bei.
Also werden die erneuerbaren Energien seit Beginn der Invasion so intensiv wie möglich genutzt?
Zu Beginn des Krieges erhielten viele in Betrieb befindliche Solarkraftwerke vom Übertragungsnetzbetreiber Anordnungen zur Aussetzung der Stromerzeugung, sogenannte Drosselungen. Das geschah, da viele produzierende Fabriken ihren Betrieb einstellten, Menschen aus dem Land fliehen mussten und der Stromverbrauch natürlich stark zurückging. Infolgedessen wurden die erneuerbaren Energien dafür ausgewählt, ihre Produktion einzustellen.
Wann wurden die Erneuerbaren wichtiger denn je?
Nach schweren Angriffen auf die Energieinfrastruktur kam es vor allem ab Oktober 2022 in der Ukraine zu einem drastischen Strommangel. Wie bereits erwähnt, waren viele Regionen von den Produktionskapazitäten abgeschnitten, sodass Regionen, in denen es Solarkraftwerke oder andere erneuerbare Energiekapazitäten gab, energieunabhängiger wurden. Die Menschen konnten den erzeugten Strom nutzen. Nach dem, was ich gehört habe, kamen die Menschen sogar in die Häuser, auf deren Dächern Solarzellen installiert waren, um zumindest ihre Telefone aufzuladen. Das war bei Stromausfällen eine große Herausforderung. So wurde die dezentrale Erzeugung definitiv zu einem großen Vorteil.

Versuchen die Menschen, deshalb jetzt mehr private Solaranlagen zu installieren?
Ständige Stromausfälle zwangen die Menschen, energiebewusst, energiesparend und effizient zu werden. Sie suchten nach Möglichkeiten, wie und wo sie Licht, Strom, geladene Telefone und gekochtes Essen bekommen konnten. Die privaten Haushalte sind von der Elektrizität abhängig. Wenn es keinen Strom gibt, bedeutet das in vielen Fällen, dass es keine Heizung, keine Wasserversorgung, keine funktionierenden Elektroherde, keine funktionierenden Aufzüge, kein Internet und keine Mobilfunkverbindung gibt. Daher kauften die Menschen auch kleine Solarpanele, um sie auf ihren Dächern oder Balkonen zu installieren. Aber ebenso wie bei Taschenlampen und Powerbanks herrschte in der Ukraine vor allem im Herbst ein großer Mangel an diesen Ausrüstungsgegenständen. Später war die Versorgungslage nicht mehr so angespannt. Aber die Preise für die entsprechenden Waren stiegen ein paarmal.
Gibt es trotz der aktuellen Situation noch bürokratische Hürden für die dezentrale Erzeugung von erneuerbarer Energie?
Wir haben in der Praxis gesehen, wie wichtig es ist, energieunabhängig zu sein. Und dass die dezentrale Erzeugung das ist, was wir entwickeln und wofür wir Anreize schaffen müssen. Aus diesem Grund hat das ukrainische Ministerkabinett am 10. Februar 2023 den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bedingungen für die Förderung der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in den Stromerzeugungsanlagen der Verbraucher verabschiedet. Der Gesetzentwurf wurde am 13. Februar 2023 registriert und führt das Net-Metering-System ein, um den Einsatz kleiner dezentraler Erzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien ohne staatliche finanzielle Anreize zu beschleunigen. Er legt die Bedingungen für das Funktionieren des Eigenerzeugungsmechanismus fest. Er sieht eine neue Art von Power Purchase Agreements (PPA), also von Verträgen zwischen einem Abnehmer und einem Erzeuger erneuerbarer Energien im Rahmen des Eigenerzeugungsmechanismus, vor und bestimmt die Kategorien von Verbrauchern, die für die Nutzung des Eigenerzeugungsmechanismus infrage kommen.

Wie sähe die politische Situation aus, wenn die Energiewende in der Ukraine und anderen Ländern früher energischer umgesetzt worden wäre?
Ich ziehe es vor, nicht von „was wäre, wenn“ zu sprechen, sondern die gegenwärtige Situation zu betrachten und zu überlegen, was derzeit und in Zukunft getan werden könnte. Die Ukraine hat schon lange vor dem 24. Februar 2022 über eine Diversifizierung der Energieversorgung nachgedacht. Aber direkt nach dem russischen Krieg in der Ostukraine und seit dem 25. November 2015 importierte die Ukraine kein russisches Gas mehr.
Seit der russischen Invasion importiert die Ukraine Benzin und Diesel in vollem Umfang über ihre Westgrenze. Am 16. März 2022 trat die Ukraine dem einheitlichen kontinentaleuropäischen Elektrizitätssystem ENTSO-E bei und schloss die Synchronisierung mit Europa ab, dank derer sie im Sommer sogar Strom exportierte (vor Oktober 2022, als die schweren russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur begannen) und so zur Energieunabhängigkeit Europas beitrug.
Kann es mit der Energiewende wegen des Kriegs klappen?
Auch die europäischen Länder haben im letzten Jahr große Fortschritte bei ihrer Energieunabhängigkeit gemacht. Wir müssen zugeben, dass der Auslöser dafür die russische Invasion in der Ukraine war und die Tatsache, dass sie die Gefahr der Abhängigkeit von russischem Billiggas erkannt haben. Es tut sich also bereits eine Menge. Die Energiewende ist auf dem Weg, wenn die Länder ihr Bestes tun, um im Energiebereich nachhaltig und unabhängig zu werden.