Auf seinem anvisierten Weg zurück zu alter Stärke muss Radprofi Maximilian Schachmann einige Rückschläge einstecken. Das sportliche Horror-Jahr mit dem Erschöpfungssyndrom als passendem Schlusspunkt wirkt noch nach.
Maximilian Schachmann durchlebt wahrlich nicht seine beste Zeit als Leistungssportler, doch privat ist der Radrennprofi so glücklich wie nie. Im vergangenen September kam seine Tochter zur Welt, die dem gebürtigen Berliner eine völlig neue Perspektive im Leben bietet. „Wir lieben dich, Emma Valentina!“, schrieben Schachmann und seine Freundin Mery bei Instagram als Willkommens-Gruß an das eigene Kind. Bei der Geburt war der stolze Vater dabei. „Das war ein prägendes Erlebnis. Unglaublich, was eine Frau dabei aushalten muss“, sagte Schachmann. In den ersten Monaten konnte er sich im vertrauten Heim am italienischen Gardasee voll auf seine Vaterfreuden konzentrieren und das Familienglück genießen, denn sportlich musste er eine Zwangspause einlegen. Erschöpfungssyndrom, Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit – das war psychisch wie physisch keine leichte Zeit.
„Es gibt keine andere Therapie als Ruhe, darum werde ich mir jetzt eine längere Pause nehmen. Das gibt mir die Möglichkeit, wieder vollständig gesund zu werden und dann auf dem für mich normalen Niveau zurückzukommen.“ Mit diesen Worten hatte sich der 29-Jährige Mitte September in die Zwangspause verabschiedet. Teamchef Ralph Denk von Bora-Hansgrohe litt mit seinem Musterschüler. Es sei hart mitanzusehen, „wenn ein Spitzenfahrer wie Max so zu kämpfen hat“, sagte Denk. Aber die Pause sei unausweichlich gewesen: „Da bringt es nichts, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.“
„Ich war einfach immer nur müde“
Und so tat Schachmann das, was Leistungssportler eigentlich nie tun und eigentlich auch nicht können: nichts! „Ich habe tatsächlich eine längere Zeit nicht trainiert, sechs oder sieben Wochen“, sagte er dem RBB: „Höchstens spazieren, ganz leichte Belastungen.“ Eine Alternative zum kompletten System-Neustart habe es für ihn gar nicht gegeben, erklärte der frühere Etappensieger des Giro d’Italia, „weil ich einfach nicht mehr auf das Training reagiert habe“. Er habe alle Trainingsintensitäten ausprobiert, „aber ich war einfach immer nur müde“. Es habe sich hinterher „immer gleich angefühlt“. Und zwar sehr merkwürdig. „Ich bin aufs Rad gestiegen und war schon nach ein, zwei Stunden echt fertig davon. Ich habe mich von den Einheiten auch nicht mehr erholt.“
Allen im Team und auch ihm selbst war irgendwann klar: Er muss eine Art Reset durchführen. Und das tat Schachmann mit Erfolg. „Das hat gut funktioniert“, meinte der Radprofi Mitte Februar nach einer wochenlangen Vorbereitung ohne größere Probleme. „Es fühlt sich so an, als sei ich voll regeneriert“, sagte der Berliner – wohlwissend, dass das längst noch nicht reicht, um wieder an seine alte Leistung anknüpfen zu können: „Ich bin jetzt noch nicht auf meinem Topniveau. Das wäre auch zu früh. Aber auf einem Level, bei dem man davon ausgehen kann, dass ich die Topform zeitnah erreichen kann.“
Bis dahin ist immer wieder mit Rückschritten zu rechnen. So wie beim Frühjahrsklassiker Paris – Nizza, als er auf der sechsten Etappe der traditionellen Rundfahrt, die er 2020 und 2021 für sich entscheiden konnte, aufgeben musste. Eine Erkältung hatte ihn geschwächt, es war also nichts Akutes. Doch Schachmann wollte keine schwereren Folgen riskieren, zumal sein Rückstand als Gesamt-13. bereits über zwei Minuten betragen hatte. Auch beim späteren E3 Preis in Harelbekem, die der Belgier Wout van Aert von Jumbo-Visma gewann, schied Schachmann vorzeitig aus. Zunächst war ungewiss, was der vorzeitige Ausstieg für seine ersten großen Ziele in der Saison, die Flandern-Rundfahrt und die Ardennenklassiker, bedeutete. Doch Ende März fehlte sein Name im gemeldeten Starterfeld für die 107. Auflage der Flandern-Rundfahrt nach Brügge.
Es läuft also längst noch nicht wieder rund bei Maximilian Schachmann. Dabei sollte 2023 eigentlich alles besser werden. Schon die Vorsaison war eine zum Vergessen gewesen – nicht nur wegen des Erschöpfungssyndroms. Das war nur der passende Schlussakkord für den Mann, der seine Karriere beim Marzahner RSC Berlin ’94 begann. „Es war natürlich ein schwieriges Jahr mit vielen Rückschlägen“, sagte Schachmann rückblickend und zählte auf: „Zweimal Covid, Stürze.“ Er habe sich zwar immer irgendwie zurückgekämpft, „aber es kam trotzdem stets etwas dazwischen“. Fast schien ein Fluch auf Schachmanns Sportjahr 2022 zu liegen. „Es ist mental sehr, sehr anstrengend, wenn man sich nicht mehr so fühlt, wie man es gewohnt ist“. Er sei aus sportlicher Sicht sehr froh gewesen, als das Jahr endlich vorbei war. Mit Zuversicht blickte er auf 2023 – doch der Wettkampfstart verlief nicht wie erhofft. Zumal die internationale Konkurrenz nicht schlechter geworden ist.
„Ich habe gesehen, dass das Niveau im Fahrerfeld sehr hoch ist, auch schon im Januar“, sagte Schachmann. Anfang des Jahres bei der Tour Down Under, die er nur aus dem Training heraus und ohne große Ambitionen gefahren war, war er noch guter Hoffnung, „dass ich auf einem ganz guten Niveau bin, gemessen an dem Training, das ich bis dahin hatte“. Es sei „alles nach Plan“ gelaufen – und zwar so, „wie ich es vor 2022 vor Covid gewohnt war“. Corona hatte dem Leistungssportler erheblich zugesetzt. Im Winter der Vorsaison hatte es ihn erwischt, es folgte ein langwieriger Infekt. Langsam kämpfte er sich wieder zurück, ehe Juni der nächste positive Coronavirus-Test für einen weiteren Nackenschlag sorgte. Das war aber längst noch nicht das Ende der Pechsträhne: Sturz bei der Tour de France. Dann wurden die Erschöpfungsanzeichen immer stärker. Und die Selbstzweifel größer.
Tour Down Under ohne Ambitionen gefahren
„Dann kommt man schon ins Grübeln und denkt: Kommt jetzt das Alte wieder oder war es das jetzt?“, sagte Schachmann. Hoffnung machten ihm die Spezialisten. „Die Ärzte sagen: Keine Sorge, mit der Ruhe kommt es wieder.“ Doch Schachmann weiß selbst, „dass es keiner so genau weiß“. Er müsse sich im Training alles hart erarbeiten – und selbst bei einem optimalen Prozess bedeutet das nicht, dass zwangsläufig die Erfolge für den früheren Deutschen Meister zurückkehren. „Training ist die eine Sache, Rennen fahren die andere“, weiß Schachmann, „das sind zwei Paar Schuhe.“
Die Teamführung von Bora-Hansgrohe will Schachmann, der einer der beständigsten Fahrer der vergangenen Jahre war, Zeit geben. „Für ihn geht es erst einmal darum, zurückzukommen“, sagte Sportdirektor Rolf Aldag, der neben der körperlichen auch die mentale Arbeit in den Vordergrund stellt: „Du gewinnst keine Eintagesrennen, indem du dich selbst infrage stellst. Du musst vom Kopf voll da sein.“ Schachmann müsse sich selbst, den Teamkollegen und den Konkurrenten beweisen: „Ich bin wieder da, eine feste Größe im Radsport.“
Doch ob es bis zur Tour de France (1. bis 23. Juli) reicht, ist nicht sicher. „Erst sind die Klassiker mein Ziel, und wenn ich es danach in den Tour-de-France-Kader schaffe, dann liegt mein Fokus natürlich darauf“, sagte Schachmann. Selbst wenn der Allrounder bei der Großen Schleife antritt, würde er überhaupt nicht auf die Gesamtwertung schauen. Die in der Vergangenheit mal angedachte „Umschulung“ zu einem Klassementfahrer ist bis auf Weiteres ad acta gelegt. „Ich denke, wir sollten eher die Fähigkeiten ausbauen, die er hat, bevor man ganz neue Ziele verfolgt“, sagte Teamchef Denk.
Und wenn es im schlimmsten Fall gar nicht mehr vorwärts geht? Dann fällt Schachmann auch dank seiner Tochter nicht in ein Loch.