Seit den 90er-Jahren forscht Christine Ax zu Fragen des nachhaltigen Wirtschaftens. 2020 gründete sie mit Dr. Georg Winter ein Netzwerk, das der Natur eigene Rechte verschaffen will – auch wenn diese nicht vor Gericht erscheinen kann.
Frau Ax, das Netzwerk „Rechte der Natur“ setzt sich laut eigenen Angaben für eine „Ökologisierung des Rechts und Eigenrechte für die Natur“ ein. Was heißt das?
Für unser Rechtswesen ist die Natur ein Objekt, eine Sache. Man bekommt nur Recht, wenn man es einklagen kann. Dazu muss man eine Rechtspersönlichkeit sein. Menschen, Organisationen und Unternehmen sind als Rechtspersonen anerkannt. Die Natur nicht. Der Kreis derjenigen, die Rechte haben, hat sich in der Geschichte immer weiterentwickelt. Im antiken Griechenland hatten nur Bürger Rechte, Frauen, Kinder und Sklaven nicht. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich unser Rechtsverständnis weiterentwickelt, erst bekamen Sklaven Rechte und später auch Frauen.
Ein Fluss oder ein Wald kann kaum vor Gericht erscheinen. Ist das ein Hindernis für Ihre Sache?
Man muss sich nicht vor Gericht selbst vertreten können, um Recht zu bekommen. Organisationen oder Kinder werden von Rechtsanwälten vertreten. Rechte einzuklagen, ohne selbst vor Gericht zu argumentieren, ist ganz normal. Juristisch gesehen spricht nichts dagegen, die Natur als Rechtsperson anzuerkennen. Darüber haben viele Juristen bereits geschrieben.
Dennoch kommt der Impuls der Anklage normalerweise von der Organisation oder bei Kindern von den Eltern. Wer würde im Namen der Natur Anklage erheben?
Kinder oder Menschen, die zum Beispiel geistig behindert sind, haben ja auch Rechte und können diese vor Gericht einklagen, ohne dass sie ihrem Rechtsvertreter ihre Wünsche differenziert mitteilen können. Das geht, weil wir wissen können, was ein menschenwürdiges Leben erfordert. Beispielsweise sieht das Gesetz im Fall des Mar Menor in Spanien drei Gremien vor, die verpflichtet sind, darauf zu achten, dass das Recht dieses Biotopes gewahrt und durchgesetzt wird: Ein Komitee, das das Mar Menor repräsentiert, eine Überwachungskommission und ein Wissenschaftlicher Ausschuss. Sie übernehmen gemeinschaftlich die Vormundschaft für das Mar Menor. Mit diesem Gesetz ist Spanien in jeder Hinsicht juristisch Avantgarde und ein spannendes Vorbild dafür, wie die Rechte der Natur konkret anerkannt und geregelt werden können. Wir haben sehr viel Wissen darüber, welche Bedingungen ein Ökosystem braucht, um sein Recht auf Leben, auf Wiederherstellung seines Lebensraumes oder auf Entwicklung wahrnehmen zu können.
Sie setzten sich konkret für die Änderung des Grundgesetzes ein. Demnach soll dort neben der Würde des Menschen auch die Würde der Natur verankert werden. Warum?
Ich denke, dass die Würde des Menschen es gebietet, die Würde der Natur anzuerkennen. Die besondere Stellung des Menschen im Grundgesetz, die sich aus der Anerkennung seiner Menschenwürde in Artikel 1 ergibt, wird mit seiner Fähigkeit zur Vernunft als Alleinstellungsmerkmal begründet. Weil der Mensch moralfähig ist und seine Existenz reflektieren kann. Aber aus dieser Fähigkeit zur Vernunft ergibt sich meines Erachtens auch die Verpflichtung zur Vernunft. Aus dieser Verpflichtung zur Vernunft ergibt sich eine Verpflichtung zur Würdigung der Natur, deren Teil wir sind und ohne die ein würdevolles Leben nicht möglich ist. Mir scheint, man kann dem Menschen keine Vernunftfähigkeit unterstellen, ohne daraus die Notwendigkeit abzuleiten, die Würde der Natur anzuerkennen.
Wo hätten Rechte der Natur in Deutschland etwas verändert?
Ein Beispiel ist die Robbenklage: Schon in den 90er-Jahren haben Juristen versucht, im Namen von Robben zu klagen. Damals ging es um das Verklappen von Dünnsäure in der Nordsee. Diese Klage wurde abgelehnt, weil Robben keine anerkannte Rechtspersönlichkeit sind.
Interessant ist auch das Urteil zum Klimaschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Obwohl diese Entscheidung grundsätzlich erfreulich ist, zeigt es in aller Schärfe das Problem, vor dem wir stehen: Nicht nur die Natur hat keine Rechte. Auch wir Bürgerinnen und Bürger haben kein Recht auf Naturschutz. Zwar hat das BVerfG die Regierung dazu verpflichtet, die Klimaziele mit Maßnahmen zu untersetzen, aber nicht, weil wir ein Recht auf eine intakte Natur haben, oder weil die Natur ein Recht darauf hat, zu existieren. Stattdessen argumentiert das Gericht mit den Freiheitsrechten künftiger Generationen. Das BVerfG sagt, die Lasten, die sich aus der Notwendigkeit des Klimaschutzes ergeben, müssen generationengerecht verteilt werden. Im Grunde ist es eine Hilfskonstruktion, so zu argumentieren und angesichts der Dramatik, die sich aus der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen ergibt, zeigt diese Argumentation für mich die Schwäche unseres Grundgesetzes ganz deutlich auf.
Würde es im Denken der Menschen überhaupt einen Unterschied machen?
An dem Tag, an dem die Rechte der Natur im Grundgesetz anerkannt werden, sind wir eine andere Gesellschaft. In unserem Fall ist auch der Weg das Ziel: Wir müssen über unsere Stellung im Kosmos nachdenken und unsere Beziehung zur Natur reflektieren. Dieses Nachdenken ist wichtig. Dass sich der Mensch außerhalb oder über die Natur stellt, beruht auf einem tiefen Irrtum. Die Aufklärung hat uns viel geschenkt und die Naturwissenschaften sind ein Segen. Aber in Bezug auf unser Naturverhältnis hat sie uns in die Irre geführt.
Mit welchen Reaktionen rechnen Sie, sollte der Diskurs in der breiten Öffentlichkeit ankommen?
Ich mache die Erfahrung, dass viele Menschen die Sehnsucht haben, in Harmonie mit der Natur zu leben, und dass viele ein tiefes Verständnis dafür haben, wie wichtig das ist. Ich glaube auch, dass die Liebe zur Natur in uns allen existiert, weil es am Ende die Liebe zum Leben ist.
Wenn es dann aber um ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen geht, und darum, sich selbst zu verändern, wird es natürlich schwieriger. Aber auch dieser Wandel ist einfacher nachvollziehbar, wenn wir ihn in einen größeren Kontext setzen. Abgesehen davon brauchen wir auch einen klugen Transformationsplan, der die Natur des Menschen und die Bedürfnisse der Natur gleichermaßen berücksichtigt. Es geht auch darum, Irrtümer und Exzesse der Vergangenheit zu korrigieren. Ich glaube, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass vieles aus dem Ruder gelaufen ist, und dass wir zu einer menschlichen und naturgemäßen Ordnung zurückfinden müssen. Dazu gehört für mich auch das Thema Ungleichheit.
Die Idee von Rechten der Natur existiert bereits seit vielen Jahren. Wie realistisch ist ein Erfolg Ihres Netzwerkes noch?
Ich komme auf „Der Weg ist das Ziel“ zurück. Die Diskussion um die Rechte der Natur hat in den letzten Jahren zugenommen. Es sind viele Bücher erschienen, und viele Medien haben sich mit dem Thema beschäftigt.
Jetzt gerade hat das Thema es schwer. Der Ukraine-Krieg und andere dramatische Diskussionen beherrschen den Diskurs. Dass der Ukraine-Krieg auch ein Verbrechen gegen die Natur ist, wird selten erörtert. Dabei ist der ökologische Fußabdruck dieses Krieges riesig und die Zerstörung des Bodens bleibt auf Jahrzehnte ein Drama.
Wir können als Netzwerk trotzdem große Fortschritte erkennen. Als Netzwerk Rechte der Natur gibt es uns seit 2020. Wir haben erst einmal lange an dem Vorschlag für die Grundgesetzänderung gearbeitet und sind in dieser Zeit stark gewachsen. Dass die Umweltverbände uns jetzt unterstützen, war für uns ein Riesenerfolg. Der Nabu ist mit seinen 900.000 Mitgliedern größer als alle politischen Parteien zusammen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wann das Grundgesetz die Rechte der Natur anerkennt.
Wir haben im Mai einen Verein gegründet. Bisher haben wir ohne finanzielle Ressourcen gearbeitet. Jetzt trauen wir uns zu, kampagnenmäßig zu arbeiten und stärker rauszugehen, auch an die Politik. Wir können jetzt auch Spenden entgegennehmen.