Kopenhagen wappnet sich gegen Wetterkapriolen infolge des Klimawandels. Wie ein Schwamm saugt die Stadt Regenwasser auf. Die Bewohnerinnen und Bewohner profitieren heute schon davon, andere Länder nehmen sich ein Beispiel.
Skybrud“ – Wolkenbruch. So nennt man in Dänemark sintflutartige Regenfälle. Wie diese aufgefangen werden sollen, zeigt der Stadtplaner Jan Rasmussen auf einer exklusiven Fahrradtour durch die Hauptstadt. Im Hafen schneidet ein Vierer mit Steuermann die Wellen, am Heck flattert der Dannebrog im Fahrtwind. Jan Rasmussen hat Islands Brygge als Treffpunkt vorgeschlagen. Im Sommer gehe er manchmal nach der Arbeit hier im Hafenbad schwimmen, hat er am Telefon gesagt.
Es war nicht leicht, ihn zu einer Fahrradtour am Hafen zu bewegen. Zuerst war er in Buenos Aires. Die argentinische Hauptstadt will von Kopenhagen lernen, wie man eine Metropole gleichzeitig hochwassersicher, grüner und lebenswerter macht. Zurück aus Südamerika sagte Rasmussen, er wolle nicht zu sehr im Fokus stehen. Schließlich sei es nicht seine Leistung allein, dass Kopenhagens Hafen dank dem „Wolkenbruchplan“ derart sauber und ein Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen geworden sei.
Unterirdische Wasserreservoirs
Kopenhagen erlebt man vorzugsweise vom Wasser aus. Etwa in einem der beschaulich gleitenden Elektro-Motorboote zum Mieten. Oder in einem Green Kayak, das man gratis ausleiht. Als Gegenleistung verpflichtet man sich, Abfall aufzufischen. Viel zu tun gibt es nicht, kaum jemand wirft Abfall ins Wasser. Die Kopenhagener genießen am Hafen bis in den Herbst hinein Sonne und Wind, trinken Weißwein oder eine Dose Bier. Zu dieser Zeit baumeln überall an den Kaimauern Beine. Manche werfen Angeln aus, das Hobbyfischen ist überall erlaubt. Es gibt Chancen auf Hornhechte und Makrelen.
Das Baden ist in drei Hafenbädern mit Rettungsschwimmern und in den elf Badezonen ohne Rettungsschwimmer offiziell erlaubt. Aber das Speed-Boot der Polizei mit seinen zwei 250-PS-Außenbordern kann nicht überall sein. Und überhaupt scheint es, dass die Ordnungshüter Nachsicht walten lassen, jedenfalls springen die Menschen an vielen Kanälen ins Wasser. Die Gefahr ist überschaubar, man sieht bis zum Grund: Willkommen in „Copencabana“. So nennen sie das Hafenbad am Fisketorvet („Fischmarkt“) in Anlehnung an den Strand von Rio de Janeiro, doch der Begriff passt für den ganzen Hafen.
Ein CNN-Ranking rief Kopenhagen zur „weltweiten Topstadt im Schwimmen“ aus – Zürich sah sich auf den zweiten Platz verwiesen. Das gilt auch für den Winter: Das Baden im eisigen Wasser ist zum Volkssport geworden. Die Sensoren an den Eingängen der Gratis-Freiluftbäder zählten zwischen Oktober 2022 und März 2023 216.195 Besucher.
Am Steg von Islands Brygge steht nun Jan Rasmussen, 61, der für das saubere Wasser und damit die Bademöglichkeiten maßgeblich verantwortlich ist, neben seinem Dienst-Elektrofahrrad. Als junger Umwelttechniker plante er in den 90er-Jahren Kavernen im Untergrund mit. Davor konnte die Kanalisation stärkere Regenfälle nicht bewältigen: Durch Überlaufbauwerke flossen die Niederschläge mit den Abwässern der Stadt vermischt direkt in den stinkenden Hafen. Durch den Bau der unterirdischen Reservoirs wurde diese Umweltverschmutzung ab der Jahrtausendwende weitgehend verhindert – sodass an der Islands Brygge die erste Badi bereits 2002 eröffnet werden konnte.
Doch die unterirdischen Reservoire reichten nicht, um die Stadt vor Jahrhunderthochwassern zu schützen. Das zeigte ein Wolkenbruch im Juli 2011. Innerhalb einer Stunde fiel auf jeden Quadratmeter so viel Wasser, dass man damit eine Badewanne füllen könnte, 150 Liter. Die Kopenhagener beobachteten von den Fenstern ihrer Wohnungen aus, wie die Brühe die Deckel der Abwasserkanäle lupfte, in die Keller rann und sie bis unter die Decke füllte. Weite Teile der Stadt waren überflutet, vor allem das dicht besiedelte Viertel Vesterbro erinnerte an Venedig. Der Schaden belief sich auf rund eine Milliarde Euro.
Die Prognosen rechnen damit, dass Starkregen durch den Klimawandel weiter zunehmen. Deshalb treibt Jan Rasmussen als Chef der „Abteilung für Klimaanpassung“ bei der Stadtverwaltung mit 55 Mitarbeitern die Sicherheit und die Lebensqualität in der Stadt weiter voran: „Skybrudsplan“ nennen sie das Programm, das sie gleich nach den Überschwemmungen 2011 auflegten, zu Deutsch „Wolkenbruchplan“.
Grünzonen nehmen Niederschlag auf
Kopenhagen verfolgt damit ein Konzept, das im Englischen den poetischeren Namen „Sponge-City“ erhielt. Die „Schwammstadt“ ist die Idee einer Metropole, die das Wasser bei viel Regen nicht mehr einfach in die Kanalisation und bei Überlastung dann verschmutzt in Flüsse, Seen oder das Meer ableitet. Stattdessen sollen die Niederschläge unterirdisch in Tunneln und Becken und oberirdisch in grünen Oasen zurückgehalten werden. Grünflächen werden so umgestaltet, dass sie große Niederschlagsmengen aufnehmen können. Versiegelungen werden aufgebrochen, damit Wasser versickern kann. Bei Neubauten wird darauf geachtet, Dächer zu begrünen, um auch dort Niederschläge zu speichern.
Jan Rasmussen fährt auf seinem E-Rad voraus, es geht über Kopfsteinpflaster und darin eingelassene Eisenbahnschienen, die an die alte industrielle Nutzung erinnern sollen. Dank den Fahrradbrücken Bryggebroen („Brauerbrücke“) und Cykelslangen („Fahrradschlange“) können wir den Hafen queren. Wir müssen aufpassen, denn viele Touristen sind auf ihren Leihrädern wackelig unterwegs. Sie halten unvermittelt an, um zu fotografieren, das kann zu Auffahrunfällen führen.
Wir lassen die „Copencabana“ rechts liegen, um ein paar Meter weiter an einer der großen Baustellen des Wolkenbruchplans zu stehen. Unter uns gähnt ein Betonschacht, 24 Meter tief und 19 Meter im Durchmesser: der Endpunkt des 1.200 Meter langen Kalvebod-Brygge-Tunnels. Ab 2026 soll eine Röhre von drei Meter Durchmesser bei Starkregen große Teile Vesterbros und der selbstständigen Gemeinde Frederiksberg entwässern und vor Überflutung bewahren. Im Schacht soll Nordeuropas größte Pumpstation errichtet werden. 20.000 Liter Regenwasser pro Sekunde können dann bei Bedarf in den Hafen gepumpt werden, ohne dass es mit Toilettenabwasser vermischt worden wäre.
Der Tunnel ist ein Teil eines großen Puzzles. Die Planer teilten Kopenhagen in 60 Gebiete auf, erklärt Rasmussen, für jedes untersuchten sie in Computermodellen auf den Quadratmeter genau, wo das Regenwasser natürlicherweise hinläuft, was herkömmliche Kanäle und oberirdische Rückhaltelösungen kosten und wie man beides optimal kombinieren kann: „Wir müssen immer das realisieren, was am günstigsten ist.“
Häufig sind das Lösungen an der Oberfläche, die nicht nur vor Hochwasser schützen, sondern gleichzeitig den Stadtraum aufwerten. Rasmussen lenkt sein E-Rad zur Scandiagade im Sydhafen. Kaum ein Tourist verirrt sich in dieses einst sozial belastete Viertel. Zu Unrecht, denn das neue Hochwasserschutzprojekt ist eine grüne Oase. Für rund 2,8 Millionen Euro wurde ein vernachlässigter Brachstreifen zwischen Wohnbebauungen zu acht tiefer liegenden Gärten umgestaltet. Bei Wolkenbrüchen können die Grünzonen den Regen als natürliche Bassins aufnehmen. Die Areale sind durch Holzstege verbunden und laden zum Spazieren ein. Eines dient als Kinderspielplatz, auf einem anderen legt man sich zwischen Strandhafer in eine einladende Hängematte. In einem dritten strotzen im Sommer Salbei, Lavendel, Rosmarin und Erdbeeren vor Kraft – der Kräuter- und Gemüsegarten zeigt auf den ersten Blick, dass die Anwohner das Projekt annehmen.
Die acht Gärten funktionieren wie eine Duschwanne: Sämtliches Regenwasser von den umgebenden Hausdächern und Straßen läuft hier zusammen. Die Duschwanne besitzt auch einen Abfluss: Unter dem letzten Bassin liegt in der Erde eine Drainage. „Häufig geht es darum, den Abfluss so zu verlangsamen, dass die Kanalisation nicht überlastet wird“, erklärt Rasmussen.
Das größte Projekt dieser Art ist der Enghaveparken, die grüne Lunge von Vesterbro, zwei Kilometer von der Scandiagade entfernt: Der Park wurde zu einem natürlichen Rückhaltebecken umgestaltet, ohne seine anderen Funktionen zu beeinträchtigen. Nicht nur der tiefer gelegte Hockeyplatz dient als Bassin. Um den Park herum wurde eine 550 Meter lange hüfthohe Mauer gebaut, aus einem hellen und feinen Beton, den die Besucher als architektonisches Element wahrnehmen. „Dank der Mauer kann der Park bei Wolkenbrüchen 23 Millionen Liter Wasser zurückhalten“, sagt Rasmussen – damit könnte man neun olympische Schwimmbecken füllen.
Zusätzlich wurde ein Zwei-Millionen-Liter-Reservoir gebaut, das nur das Wasser von Hausdächern sammelt. Dieses sauberste Regenwasser wird genutzt, um den Park zu wässern und die Tanks der Straßenkehrmaschinen zu füllen.
Jedes Jahr kommen Dutzende Delegationen von Politikern und Planern, vor allem aus Skandinavien, hierher, um von den Projekten zu lernen. „Am meisten scheinen die Besucher überrascht, dass sich unser Plan tatsächlich realisieren lässt“, sagt Rasmussen: Die Kommune treibt den Wolkenbruchplan voran, aber ohne das enge Zusammenspiel mit Hofor, dem Versorgungsunternehmen für Trink- und Abwasser, wären die Projekte nicht zu realisieren.
Plan zählt 356 Teilprojekte
Hofor und damit die Bürger bezahlen den Großteil der Infrastrukturen: Die erwarteten Kosten von rund 1,4 Milliarden Euro bis 2035 werden über die Wassergebühren eingezogen. Die Stadt beteiligt sich mit Steuermitteln nur zu einem Bruchteil und bezahlt mit 161 Millionen Euro lediglich die Gestaltung und Begrünung der oberflächlichen Schwammstadt-Elemente.
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Organisationen sei die Schlüsselqualifikation, wie Rasmussen in der Kooperation mit Buenos Aires selbst begriffen habe: „Dort stoßen die Kollegen schnell an Grenzen, weil in den Abteilungen ein Silodenken herrscht.“ In Dänemark dagegen gibt es eine lange Tradition, ganzheitlich zu denken, über Behörden und Organisationen hinweg, partnerschaftlich an Gesamtplänen zu arbeiten.
Stört es ihn nicht, dass seine Arbeit ruhmlos bleibt und niemand der vielen Menschen auf den Holzstegen und Kaimauern weiß, dass er mitverantwortlich ist für so viel Lebensqualität in der Stadt? „Gar nicht“, sagt Jan Rasmussen: „Wirklich schön ist doch, dass man gemeinsam etwas Gutes schafft.“ Deshalb freue er sich auf jeden Tag in den kommenden sechs Jahren, bevor er mit 67 in Pension müsse.
Was ist ein perfekter Ausflug in Kopenhagen? Rasmussen überlegt. „Besonders schön ist es am La Banchina.“ Ein kleines Lokal aus Brettern, mehr eine Hütte als ein Haus, liegt am Eingang einer einstigen Schiffswerft auf der Halbinsel Refshaleøen in einer kleinen Bucht. Wenn im Sommer spätabends die Sonne flach über dem Wasserspiegel steht und die schmalen Stege vor Stimmen summen, fühlt man sich eher an der Adria als in Nordeuropa. „Aber am allerliebsten zeige ich meiner Frau unsere Wolkenbruch-Maßnahmen“, sagt Rasmussen. „Zum Glück interessiert sie sich dafür.“ Damit gehen dem Ehepaar die Radtourziele nicht aus. Derzeit zählt der Wolkenbruchplan 356 Teilprojekte.