Die teilweise Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist auf dem Weg. Während die Polizei bereits warnt, betonen andere die medizinischen Eigenschaften. Klar ist: Die Droge ist weniger gefährlich als Alkohol, zeigen Statistiken.
Gekifft hat der Bundeskanzler laut eigener Aussage noch nie. Bald könnte er es legal in Deutschland ausprobieren. Mit der Teillegalisierung von Cannabis löst die Bundesregierung ein Versprechen ihres Koalitionsvertrages ein. Es soll im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen werden. Für Erwachsene ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Außerdem darf sich jeder Bundesbürger über 21 Jahren drei Cannabis-Pflanzen ins Wohnzimmer, auf den Balkon oder die Terrasse stellen. Gelten sollen die Regeln spätestens ab dem Jahreswechsel. Der Bundestag muss sie noch beschließen.
So weit, so gut. Doch der Teufel steckt bekanntlich wie immer im Detail. Das fängt schon bei der Frage an, was drei Cannabis-Pflanzen eigentlich sind. Welche Dimensionen dürfen sie haben? Geht der Gesetzgeber vom Steckling aus, der im Blumentopf aufgezogen wird? Was macht der zukünftige Cannabis-Farmer in den eigenen vier Wänden, wenn die Pflanze Ableger hat? Bei guter Pflege an einem sonnigen Plätzchen ist das innerhalb eines Jahres ohne Probleme denkbar.
Kritik vonseiten der Polizei
In Deutschlands berühmtesten Drogenumschlagplatz, dem Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg, kommt in diesen Tagen nur bei Dealern Freude auf. Das Problem der Polizei: Sie muss die Ermittlungen nach härteren Drogen künftig anders als bisher führen. Der bislang illegale Cannabisbesitz galt als Auftakt für weitere Ermittlungen gegen einen Verdächtigen. Dieser kann nach derzeitiger Rechtslage zur Personenüberprüfung auf die Wache mitgenommen werden, seine Sachen dürfen überprüft werden. Oftmals finden sich dann härtere Drogen, die lebensgefährlich sein können: Crack, unreines Heroin oder sonstige, vor allem synthetische Drogen. Doch mit der Legalisierung von 25 Gramm Cannabis entfällt der Anfangsverdacht auf Drogenhandel und damit ist eine weitere Überprüfung der Person für die Polizei juristisch nicht mehr darstellbar. „Damit können wir unsere Arbeit zum 1. Januar einstellen, wir würden nur noch die Bestandsaufnahme der im Görlitzer Park verfügbaren Mengen Cannabis aufnehmen und polizeiintern verwalten.“ So bringt es ein Drogenfahnder der zuständigen Polizeidirektion (Name der Redaktion bekannt) gegenüber FORUM auf den Punkt. „Drogenprävention ist mit dem vorgestellten Gesetz nicht mehr möglich“, so auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei des Landesbezirks Berlin, Benjamin Jendro, und verweist auf einen weiteren, für ihn unhaltbaren Zustand: die Beschaffung von Cannabis.
Denn Coffee-Shops, also Cannabis-Verkaufsläden wie in den Niederlanden, soll es in Deutschland vorerst nicht geben. Dafür soll es Cannabis-Vereine mit maximal 500 Mitgliedern geben, die die Abgabe von Cannabis steuern. Dazu müssen die Mitglieder der Cannabis-Vereine auch für die Qualität der verkauften Ware garantieren. Zum Beispiel dafür, dass der THC-Gehalt bei maximal zehn Prozent liegt und nur 30 Gramm pro Monat abgegeben werden. Damit soll, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), verhindert werden, „dass die bislang kriminellen Drogenorganisationen einen Fuß in die Tür des legalen Verkaufs von Cannabis kriegen. Dass soll über das deutsche Vereinsrecht geregelt werden“. Der Berliner Polizeigewerkschafts-Chef hält den Minister für blauäugig. Denn damit werde keineswegs verhindert, dass auch illegale Drogen in Cannabis-Vereinen erhältlich sein könnten, so Jendro. Der Vorteil für die staatlichen Behörden: einen Cannabis-Verein zu gründen ist erheblich günstiger, als ein staatlich kontrolliertes Shop-Netz aufzubauen.
Shops für solcherlei Produkte existieren schon heute. Denn nicht jeder Bestandteil von pflanzlichem Cannabis ist psychoaktiv, also berauschend. „Cannabis hat über 700 Inhaltsstoffe, einige von ihnen haben medizinische Wirkungen“, sagt Prof. Dr. Sven Gottschling. Der Palliativmediziner gilt als eine der deutschen Koryphäen auf dem Gebiet von medizinalem Cannabis. Die am besten erforschten Inhaltsstoffe: das psychoaktive Cannabinoid THC und das nicht-psychoaktive CBD. Beide sind als Bestandteil von Medikamenten im Einsatz, um zum Beispiel Übelkeit bei Chemotherapien zu therapieren, um Schmerzen, Angstzustände oder die Auswirkungen von Multipler Sklerose oder Epilepsie abzumildern. Mit der Legalisierung plant Gottschling nun ein Fachgeschäft für CBD-Produkte und eine Akademie zu eröffnen. Legal waren diese Produkte schon heute verkäuflich, mit der Teillegalisierung von Cannabis insgesamt will Gottschling nun seine medizinische Expertise den Konsumenten zur Verfügung stellen. Apotheker und medizinische Fachangestellte sollen beraten, auch die künftigen Cannabis-Vereine, Eltern und Jugendliche. „Das heißt, wir sehen uns als Schnittstelle, die berät, hilft und schützt und eine größere Transparenz bei diesem Thema herstellt“, so Gottschling.
Shop für Cannabinoide
Ungefährlich ist Cannabis nicht. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages wertete bereits 2020 deutsche Zahlen zu Krankenhauseinweisungen wegen psychischer und Verhaltensstörungen aus. Demnach wurden alleine 2020 in deutschen Krankenhäusern über 17.500 Fälle registriert, die auf Cannabinoid-Konsum zurückzuführen waren.
Dem gegenüber standen im gleichen Jahr mehr als 244.000 Fälle, die auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen waren, dazu 37.884 Behandlungsfälle aufgrund einer alkoholischen und 4.778 Behandlungsfälle aufgrund einer toxischen Lebererkrankung sowie 776 Behandlungsfälle aufgrund toxischen Alkoholkonsums. Durch Alkohol sterben pro Jahr laut Alkoholatlas Deutschland etwa 40.000 Menschen, 14.200 Menschen davon an alkoholbedingten Krankheiten. Kein einziger Tod konnte bislang auf den Konsum von pflanzlichem Cannabis-Konsum zurückgeführt werden.
Trotzdem hat der Konsum des Rauschmittels gefährliche Nebenwirkungen – wenn es von Dealern gestreckt wird. Dies geschieht durch sogenannte synthetische Cannabinoide, Chemikalien, die beispielsweise auf Cannabis-Blüten aufgesprüht werden. Einer im Jahr 2022 veröffentlichten Studie zufolge hat sich im Zeitraum zwischen dem Jahr 2000 und 2018 die Anzahl der Fälle, die wegen einer Cannabinoid-induzierten psychischen Störung im Krankenhaus behandelt werden mussten, fast verfünffacht.
„größere Transparenz“
Im Gegensatz dazu sei die Zahl der Behandlungen wegen Alkoholabhängigkeit oder Schizophrenie im Beobachtungszeitraum konstant geblieben. Die gestiegene Anzahl an Behandlungen aufgrund von Cannabinoidkonsum sei der Studie zufolge, die im European Journal of Public Health veröffentlicht wurde, auf eine bessere Verfügbarkeit von Cannabis und einen gestiegenen Konsum zurückzuführen. Letzteres gelte insbesondere im Hinblick auf synthetische Cannabinoide und Präparate mit erhöhtem THC-Gehalt, die in den vergangenen Jahren verstärkt auf den illegalen Markt gelangt sind. Ihre Gefährlichkeit zeigt sich in Todeszahlen: 2019 und 2020 wurden insgesamt zehn Todesfälle durch synthetische Cannabinoide registriert.
Gottschling ist sich als Mediziner, der die Wirkung von Cannabinoiden erforscht und diese auch einsetzt, seiner Verantwortung bewusst. Aber: „Es grassieren eben immer noch sehr viele Mythen über Cannabis.“ Und die möchte er ausräumen.
Ein ausführliches Interview mit Prof. Dr. Sven Gottschling lesen Sie in der nächsten Ausgabe 37.