Sarah Peters litt lange Zeit unter einer Sozialphobie und konnte vier Jahre das Haus nicht verlassen. Im Interview spricht sie über ihr damaliges Leben voller Angst und Panikattacken und ihre Erfahrungen mit Hypnose.
Frau Peters, wie entstand bei Ihnen eine Sozialphobie – gab es bestimmte Auslöser?
Konkrete Auslöser gab es keine. Vielmehr war es ein schleichender Prozess, der sich mehr und mehr verselbständigte. Rückblickend betrachtet würde ich sagen, dass sich erste Symptome bereits in meiner Kindheit zeigten beziehungsweise mich eigentlich mein ganzes Leben begleiteten. Unterschwellig war da immer ein Gefühl von „nicht zugehörig“ beziehungsweise „nicht gut genug“ zu sein. Ich hätte die Symptome jedoch keiner Angststörung zugeschrieben.
Wovor genau hatten Sie Angst – vor Menschen generell oder bestimmten sozialen Situationen?
Ich hatte Angst davor, von Menschen negativ bewertet zu werden. Dabei machte es keinen Unterschied, ob ich die Menschen kannte oder ob es für mich völlig fremde Menschen waren. Die Angst zeigte sich somit in allen sozialen Situationen. Besonders schlimm waren jedoch Situationen, in denen ich mit wenigen Menschen auf kleinem Raum war. Zum Beispiel im Wartezimmer beim Arzt, in der U-Bahn, bei Vorträgen oder in der Supermarktschlange.
Haben Sie auch unter Panikattacken und körperlichen Symptomen gelitten?
Anfangs bemerkte ich zunächst, wie ich in sozialen Situationen immer öfter schwitzige und zittrige Hände bekam. Mein ganzer Körper war völlig angespannt. Trockenheitsgefühle im Mund und ein vermehrter Harndrang. Über die Jahre hin verstärkte sich die Symptomatik, bis ich irgendwann nur noch mit Panikattacken – Herzrasen, Schwindel, starke Benommenheitsgefühle – reagierte, sobald ich unter Menschen war.
Wie sah Ihre Gedanken- und Gefühlswelt aus?
Meine Gedanken- und meine Gefühlswelt waren von der Angst völlig eingenommen. Vor den sozialen Situationen drehte sich alles um die Angst vor der Angst. In sozialen Situationen wiederum scannte ich die ganze Zeit meine Umgebung ab. Saß ich beispielsweise in der Bahn und hinter mir lachte jemand, bezog ich es sofort auf mich. Habe ich etwas falsch gemacht? Sehe ich nicht gut genug aus? Ich versuchte – solang es mir möglich war – zu funktionieren und war sehr darum bemüht, dass Menschen um mich herum nichts von meiner Symptomatik mitbekamen, da ich mich sehr für meine Ängste schämte.
Sie sagen, Sie konnten damals vier Jahre die Wohnung nicht verlassen. Wie muss man sich das vorstellen – man benötigt zum Beispiel Lebensmittel oder sollte sich auch mal an der frischen Luft bewegen …
Ich war zu der Zeit Studentin. Lang versuchte ich mit all meiner Kraft gegen die Ängste anzukämpfen, irgendwie mein Studium durchzuziehen, doch mit der Zeit wich meine Kraft. Dieser Kampf war so kräftezehrend, so erschöpfend, und umso mehr ich kämpfte, umso stärker wurde die Symptomatik. Vor lauter Angst und Erschöpfung verließ ich immer weniger, später dann gar nicht mehr die Wohnung. Zu der Zeit wohnte ich mit meinem Freund zusammen. Auch er war sehr überfordert mit der Situation. Er erledigte all die Sachen, die draußen anfielen.
Zu wem haben Sie damals noch Kontakt gehalten?
Durch die Angst zog ich mich bereits während meines Studiums mehr und mehr aus meinem Umfeld zurück und isolierte mich. Schließlich hatte ich auch im privaten Bereich die Sorge, nicht zu genügen. Ich schaute mit einer Brille des „Nicht-gut-genug-Seins“ auf die Welt und durch diese Brille interpretierte ich das Verhalten meiner Mitmenschen. Wodurch ich durchweg das Gefühl hatte, von keinem gemocht zu werden. Auch kostete mich der Kampf gegen die Symptomatik so viel Kraft, dass ich außerhalb meines Studienalltags sowieso kaum noch Energie für soziale Kontakte hatte. Ich war einfach zu erschöpft. Zu der Zeit, als ich meine Wohnung nicht mehr verließ, hatte ich dann keine sozialen Kontakte mehr.
Wie haben Sie zu Hause Ihren Alltag gestaltet?
Ich suchte mir Beschäftigungen. Verbrachte sehr viel Zeit damit, zu putzen, zu kochen, oder ich kümmerte mich um die Angelegenheiten meines Freundes.
Wann haben Sie beschlossen, sich Hilfe zu suchen?
Meine Wohnung war lange Zeit mein „Safe Place“ – der einzige Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Mit der Zeit besuchten mich meine Ängste dann auch dort. Beim täglichen Einschlafen bekam ich nun Herzrasen und damit einhergehend eine riesige Panik, an einem Herzinfarkt zu sterben. Verließ mein Freund die Wohnung, war ich auf einmal in völliger Sorge, dass ihm etwas passieren könnte. Auch mein Körper verursachte allerlei Symptome und mit jedem Symptom ging die Angst einher, dass ich an einer schlimmen Krankheit erkrankt sein und daran sterben könnte. Um es abzukürzen: Zur Hochphase machte mir einfach nur noch alles und jeder Angst. Nun war auch meine Wohnung kein sicherer Ort mehr, doch zeitgleich wurde mir dadurch immer mehr bewusst, dass es so nicht weitergeht. Zudem nahm ich während dieser Zeit um die 50 Kilo zu, da ich meinen Schmerz mit Essen kompensierte. Vor lauter Schamgefühl vermied ich lange Zeit sämtliche Spiegel in unserer Wohnung. Als ich eines Tages zufällig mein Spiegelbild im Spiegel erblickte und mich dort mit meinen 148 Kilo, völlig lebensmüde und erschöpft stehen sah, wusste und fühlte ich: So geht es nicht weiter!
Ich blickte einer fremden Frau ins Gesicht. Es war, als ob ich durch meinen Anblick im Spiegel aus einem tiefen Dämmerschlaf erwacht war. Ich fühlte so deutlich, jetzt ist Schluss, ich will nicht mehr und ich werde mich ins Leben zurückkämpfen. Keinen Tag länger wollte ich so leben. Dies war mein Wendepunkt.
Haben Sie gegen die Sozialphobie eine Verhaltenstherapie beziehungsweise Konfrontationstherapie oder auch Medikamente ausprobiert?
Ich beschäftigte mich ausführlich mit den schulmedizinischen Behandlungsansätzen und mir wurde schnell klar, dass der klassische Ansatz nicht mein Weg sein würde. Antidepressiva wie auch eine klassische Gesprächstherapie fühlten sich für mich von Anfang an überhaupt nicht stimmig an. Ich wollte keine Tabletten nehmen und all das, was in mir schlummerte, durch Tabletten unterdrücken. Ebenso wollte ich mein Lebensgefühl auch nicht von Tabletten abhängig machen. Ich spürte damals, dass das, was meine Symptomatik verursachte, auf einer Ebene saß, die mir durch Gespräche nicht zugänglich erschien. Weshalb auch eine Gesprächstherapie für mich nicht in Betracht kam. Auf bewusster Ebene war mir ja völlig klar, dass ich keine Angst haben bräuchte und dass diese Ängste völlig absurd waren. Somit war für mich die einzig logische Konsequenz, auf der Gefühlsebene anzusetzen. Dass das Problem nur dort gelöst werden kann, wo es auch entsteht. Zum Glück war ich schon immer ein Mensch mit einem guten Bauchgefühl, und diesem subtilen Gefühl bin ich gefolgt. Wie es sich herausstellen sollte, hat es mir den Weg in die Freiheit aufgezeigt.
Wie sind Sie schließlich zur Hypnose gekommen?
Eine glückliche Fügung. Heute würde ich sagen, die wahrscheinlich glücklichste Fügung in meinem Leben! Online war ich auf der Suche nach Büchern zur Selbstbehandlung von Ängsten. Ein Buch zog mich besonders an und ich googelte, ohne genau zu wissen weshalb, nach dem Autor. Es stellte sich heraus, dass der Autor mein späterer Ausbilder Dr. Norbert Preetz war – ein renommierter Hypnosetherapeut. So bin ich zum ersten Mal mit der Hypnose in Berührung gekommen. Ich landete auf seiner Homepage – eine Homepage, die einer Hypnosebibliothek glich – und fühlte augenblicklich: Das ist es! Umso mehr ich mich dann mit der ursachenorientierten Hypnose beschäftigte, umso mehr wurde mir klar: Das ist genau der Ansatz, nach dem ich, ohne es zu wissen gesucht hatte. Eine Methode, durch die ich Zugang zu meinem Unterbewusstsein bekommen würde, der Ort wo die Ursachen meiner Ängste lagen.
Wie lange hat es gedauert, bis es Ihnen besser ging und wie sahen die einzelnen Schritte aus?
Bereits nach meiner ersten Hypnosesitzung nahm ich eine deutliche Verbesserung meiner Symptomatik wahr und es war mir möglich, meine Wohnung wieder zu verlassen. Es fühlte sich jedoch sehr unsicher und neu an. Ähnlich wie ein Küken, das gerade geschlüpft war. Nach all den Jahren in der Wohnung wirkte das Leben draußen so laut, so groß, so hektisch. Doch zeitgleich fühlte ich solch eine Freude in mir, wieder Teil genau dieser Welt zu sein. Mit jeder Sitzung wurde es dann besser und besser. Doch ich musste außerhalb von den Sitzungen auch viel dafür tun. In den Hypnosesitzungen lösten wir die Ursachen meiner Ängste auf. Ähnlich wie fehlerhafte Programme, die auf einer Festplatte gelöst werden. Dies ermöglichte es mir, draußen im Leben neue gute Erfahrungen machen zu können und dann lag es eben an mir, zurück ins Leben zu laufen. Step by step bin ich zurück ins Leben gelaufen. Ähnlich wie ein Kind, das Laufen lernt. Es war ein toller Prozess, eine tolle Reise zu mir selbst, die viel Freude gemacht hat. Ich eroberte mir mein Leben zurück.
Wie genau werden Sozialphobie und Ängste bei der therapeutischen Hypnose angepackt?
Bei der Hypnose handelt es sich um einen völlig natürlichen Bewusstseinszustand, den wir alle mehrmals am Tag erleben. Dieser Zustand, wenn wir zum Beispiel mit dem Auto wie im Autopiloten eine Strecke fahren, die wir schon unzählige Male gefahren sind. Es fährt sich unbewusst, beinahe wie von alleine. Oder wenn wir ein spannendes Buch lesen: Völlig gefesselt lesen wir Seite um Seite, vergessen alles um uns herum. Bei all diesen natürlichen Zuständen handelt es sich um Hypnose. Die ursachenorientierte Hypnose ist eine Behandlung, die auf der unbewussten Ebene ansetzt. Der Therapeut schaut gemeinsam mit dem Klienten, welche emotional unverarbeiteten Erfahrungen der jetzigen Symptomatik zugrunde liegen und wie er sie lösen kann. Ähnlich einer vereiterten Wunde, in der ein Stachel steckt. Mittels der Hypnose ist es möglich, den Stachel an der Wurzel zu packen und zu ziehen, damit die Wunde heilen kann.
Eine Klientin suchte mich mit diffusen Angst- und Schwindelzuständen auf. In der Hypnose schauten wir, was diesen Angstzuständen zugrunde lag. Die Klientin, eine heute erwachsene und erfolgreiche Frau, wurde in der Hypnose in ihrer inneren Wahrnehmung wieder zur der Dreijährigen, die von ihrer Mutter aufgrund von „Unartigkeiten“ geohrfeigt und dann alleine in ein Zimmer eingesperrt wurde. In der Hypnose fühlte sie den Schmerz der Kleinen und weinte bitterliche Tränen. Durch das Fühlen des Schmerzes und eine anschließende liebevolle innere Kindarbeit, in der die heutige Erwachsene der Kleinen all das geben konnte, was sie damals gebraucht hätte. So konnte sie die Kleine und damit sich selbst heilen. Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern, aber unsere Bewertung dazu.
Hypnose ist keine Kassenleistung. Warum eigentlich?
Seit 2006 ist Hypnose vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als wissenschaftlich fundierte Methode anerkannt. Private Krankenkassen übernehmen oft die Kosten einer Behandlung. Die Gesetzlichen leider nicht. Dies liegt meines Erachtens daran, dass in unserem Gesundheitssystem etwas grundlegend falsch läuft, denn ich erlebe in meiner Praxis täglich, wie wirkungsvoll, effektiv und nachhaltig die Hypnose bei der Behandlung von Ängsten ist. Die meisten meiner Klienten haben jahrelange Verhaltenstherapien, Psychoanalysen und Klinikaufenthalte hinter sich. Begleitet von jahrelanger Antidepressiva-Einnahme. Viele davon waren schulmedizinisch austherapiert! Menschen, die heute ein glückliches und freies Leben führen, frei von Angst und Panikkattacke. Dennoch wird die Behandlung nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen und es wird noch nicht einmal öffentlich darüber diskutiert. Vielmehr werden meines Erachtens Antidepressiva weiter wie Smarties verschrieben und damit ein ganzes Land betäubt. Falls jemand mit Nebenwirkungen reagiert, werden dann einfach weitere Tabletten verschrieben. Mir stellt sich da auch die Frage, wieso die Hypnose keine Kassenleistung ist. Vielleicht sollte man einfach mal schauen, wer an dem aktuellen System verdient.