Es hat nicht viel Gewicht und ist leicht zu transportieren: Diese und andere Vorteile des Faltrads wussten schon früher viele Menschen zu schätzen. Heute ist es vor allem bei Pendlern beliebt.
Ob sich der Erfinder des „Brompton“ auf göttliche Eingebung beruft, ist nicht überliefert. Belegt ist, dass Musik aus der gegenüberliegenden Kirche in Andrew Ritchies Apartment im Londoner Stadtteil Kensington drang, als der gerade an einem faltbaren Drahtesel tüftelte. Und die inspirierte ihn offenbar, denn Ritchie benannte sein Rad nach der Kirche: Brompton Oratory. 1975 war das.
Bis heute wird das Rad im Westen Londons hergestellt. Not macht bekanntlich erfinderisch. So auch in Ritchies Fall. Ihn trieb die Enge seiner Stadtwohnung um, in der kaum Platz für ein normales Fahrrad war. Ein Problem, das schon Emmit Latta kannte. Der US-Erfinder meldete 1888 ein Patent für ein Rad an, das im zusammengeklappten Zustand einfach zu transportieren und platzsparend zu verstauen sein sollte.
Als Erfinder des Faltrads gilt jedoch ein Brite: William Grout. Er erhielt 1878 das – vermutlich – erste Patent für ein zerlegbares Fahrrad; bei seinem Modell handelte es sich allerdings noch um ein Hochrad. 1896 sicherte sich M. B. Ryan in den USA die Rechte für sein Modell „Faun“. Auf einem Mechanismus, bei dem wie beim „Faun“ die Mittelstange geteilt wird, basieren auch heute die meisten Falträder.
Dass sich die Klappbaren auch bestens für den Einsatz beim Militär eignen, erkannte im Jahr 1900 Mikael Pedersen, der ein Modell für die British Army entwarf. Trotz der relativ großen 24-Zoll-Räder (60,96 Zentimeter) wog es nur sieben Kilo. Im Zweiten Weltkrieg wünschte sich ebendiese Armee ein Rad, das ihre Fallschirmjäger auf dem Rücken transportieren konnten. Zudem musste das Rad stabil genug sein, dass es auch dann noch funktionierte, wenn es mal unsanft auf den Boden krachte.
Den Zuschlag erhielt die Birmingham Small Arms Company. Sie designte ein Rad, das im gefalteten Zustand auf Lenker und Sattel landete; so waren die Räder vorm Verbiegen geschützt. Es wurde sogar am D-Day, am Tag der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944, eingesetzt, geriet aber nach dem Krieg in Vergessenheit.
Erst in den 60er-Jahren erinnerten sich Fahrradhersteller wieder an die Falter. 1962 kam das „Moulton Bicycle“, das auch heute noch hergestellt wird und an seinem diamantförmigen Rahmen zu erkennen ist. Beim „Bickerton Portable“ von 1971 haperte es zwar an der Qualität, aber seine vielen Klemmen und Hebel ermöglichten ein sehr kleines Faltmaß. So wurde es zum Wegbereiter für das schon erwähnte Brompton.
Mitnahme im Zug ist meistens kostenlos
Entscheidend vorangetrieben wurde die Weiterentwicklung des Faltrads wegen der Ölkrise 1975. Damals wurde deutlich, wie abhängig man in der westlichen Welt vom Auto war. Und manchem dämmerte, dass man in Zukunft vielleicht besser auf andere Verkehrsmittel wie etwa Schiene und Rad setzen sollte. David Hon zum Beispiel. Der amerikanische Physiker träumte schon länger von einem Drahtesel, der gefaltet unter den Sitz im Zug passt. 1982 gründeten er und sein Bruder Henry schließlich im sonnigen Süden Kaliforniens das Unternehmen „Dahon“. 1984 rollte das erste Faltrad aus der Fabrik. Allein in den ersten sechs Monaten gingen 6.000 Stück über den Ladentisch. Heute ist Dahon der weltweit größte Faltrad-Hersteller, der Marktanteil liegt laut Firmenangaben bei 66 Prozent. Hons Wunsch ging in Erfüllung.
Heute gehört das Faltrad zum Straßenbild jeder Großstadt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Für Berufspendler schließt das faltbare Rad die Lücke zwischen Bahnhof und Arbeitsplatz. Für unseren Arbeitsweg kombinieren wir oft verschiedene Verkehrsmittel miteinander. Umsteigen kostet Zeit. Mit dem Faltrad kann man sich das sparen – und legt den Weg von der Haltestelle und zurück oft schneller zurück als zu Fuß. Zeit ist ja bekanntlich Geld. Und auch das spart man, denn die Falter kann man in der Regel kostenlos im Zug mitnehmen.
Zusammengefaltet lässt sich das Rad dann mit ins Büro nehmen, und man muss sich keine Sorgen machen, ob es bei Feierabend noch angeschlossen an der Laterne lehnt. Faltrad ist nicht gleich Faltrad, aber die Radgröße liegt meist zwischen 16 und 24 Zoll (40,64 bis 60,96 Zentimeter). Damit die geringere Reifengröße nicht dazu führt, dass man deutlich mehr in die Pedale treten muss, haben die Hersteller entsprechende Übersetzungen eingebaut und bieten diverse Naben- und Kettenschaltungen an. Allerdings: Bei Menschen, die größer als 1,85 Meter sind, stößt die Faltrad-Geometrie an ihre Grenzen.
Klassiker auf dem deutschen Markt ist das „Birdy“, das die Firma Riese und Müller aus dem Odenwald produziert. Markus Riese und Heiko Müller lernten sich Ende der 1980er-Jahre beim Maschinenbaustudium an der TU Darmstadt kennen. Mit dem „Birdy“ gewannen sie 1993 den Sonderpreis beim Hessischen Innovationspreis.
Das Besondere an diesem 18-Zoll-Rad: Es hat eine Vollfederung. Die soll nicht nur Stöße auf unebenem Untergrund wie Kopfsteinpflaster abfedern, sondern auch dafür sorgen, dass das Rad auf schlechten Straßen den Bodenkontakt und der Fahrer die Kontrolle behält. Zudem hat das „Birdy“ im Gegensatz zu anderen Falträdern kein Faltscharnier am Hauptrahmen, da die Federungsdrehpunkte als Punkte zum Falten dienen. Mit etwas Übung geht das in unter fünf Sekunden – zumindest liegt der Weltrekord laut Riese und Müller bei 4,9 Sekunden. Das alles hat seinen Preis: 2.699 Euro, mindestens.
Mit der ausgefeilteren Technik hat sich auch die Nutzung des Faltrads verändert. Es wird als Freizeitvehikel immer beliebter. Bei leidenschaftlichen Radlern, die keinen Platz in der Wohnung oder keine Garage haben zum Beispiel. Bei Abenteurern, die mit dem Faltrad im Gepäck in ferne Länder fliegen, um diese radelnd zu erkunden; dank höherer maximaler Zuladung, verstärktem Gepäckträger und Halterungen für Packtaschen kriegt man auch genügend Wechselklamotten unter.
Oder bei Campingurlaubern, die es für den fixen Einkauf im nächsten Ort oder Ausflüge nutzen und es sogar bei der Tour mit dem Paddelboot mitnehmen können. Und wenn’s hügeliger wird oder man es schlicht gemütlich angehen möchte – man ist ja im Urlaub, da kann man ruhig einen Gang runterschalten –, dann springt auf Wunsch der Motor ein. Nahezu alle bekannten Faltrad-Produzenten bieten auch E-Bike-Versionen an.
Auch E-Bike-Versionen gibt es bereits
Sogar für den sportlich ambitionierten Wochenend-Eddy-Merckx findet sich etwas. Die neusten Modelle protzen mit Renn-Genen: Sie haben 24 Gänge, Trigger-Schalthebel, Carbon-Kurbelgarnituren, wetterfeste Hydraulik-Scheibenbremsen und besonders leichte, aerodynamische Laufräder. Damit kommt man auch beim Pulkfahren den dann nicht mehr abschätzig dreinblickenden Rennradkumpels mühelos hinterher.
Was die Abmessungen im gefalteten Zustand betrifft, ist das englische „Brompton“ mit seinen 16-Zoll-Rädern immer noch das Packmaß aller Dinge: 58,5 mal 56,5 mal 27 Zentimeter misst es. Beim Gewicht hat allerdings ein anderer Falter die Nase vorn. Benannt ist der passenderweise nach dem Federgewicht in der Vogelwelt, dem Kolibri. Das „Hummingbird“ mit 16-Zoll-Rädern kam 2016 auf den Markt und ist mit 6,9 Kilogramm so leicht, dass man es mühelos mit einem Finger auf Kopfhöhe heben kann.
Entwickler Peter Craciun arbeitete fast fünf Jahre an seiner Idee, designte und verwarf ein halbes Dutzend Prototypen. Als er 2012 für seine damalige Freundin ein Faltrad kaufen wollte, merkte er, dass es kaum Modelle auf dem Markt gab, die seinen hohen technischen Ansprüchen genügten und obendrein leicht genug waren, dass sie auch weniger kräftige Radler mühelos in die Wohnung im fünften Stock tragen konnten.
Fans hat das „Hummingbird“ nicht nur wegen seines Gewichts. Die britische Zeitung „The Guardian“ befand, ob der schlichten aber schicken Optik, es sei wohl das sexyeste aller Falträder. Da sieht man einmal, welchen Imagewandel das Faltrad in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. 2014 wollte der Rose-Fahrradversand von den Deutschen wissen, welcher Typ Drahtesel seinen Fahrer oder seine Fahrerin am attraktivsten erscheinen lässt. Das Umfrage-Rennen machten Mountainbike und Hollandrad. Die Falter hingegen galten als Flirtbremse.