Die Angst, mit leerer Batterie zu stranden, ist bei vielen E-Auto-Besitzern groß. Doch gibt es wirklich zu wenige Ladestationen – oder sogar zu viele? Darüber wird leidenschaftlich diskutiert.
Akku leer und keine Ladestation in Sicht? Vor einem solchen Szenario fürchten sich viele potenzielle Käuferinnen und Käufer von Elektroautos. Immerhin wohnen laut Statistischem Bundesamt fast 58 Prozent aller Haushalte zur Miete. Längst nicht alle können auf eine Garage und eine private Wallbox zum Laden des E-Autos zurückgreifen.
Weil ein Großteil der Deutschen auf die öffentliche Lade-Infrastruktur angewiesen ist, stellt sich eine Frage also umso dringender: Finde ich eine Ladestation, wenn mein E-Auto Strom braucht? Und wenn ja: Ist sie frei?
Ob es genügend Ladestationen gibt und wie viele man in Zukunft braucht, wird in Politik und Wirtschaft leidenschaftlich diskutiert. Die Bundesregierung setzt auf einen starken Ausbau. Um bestehende Lücken zu schließen, hat sie das sogenannte Deutschlandnetz ins Leben gerufen: Bis Ende 2026 sollen 8.000 neue Schnellladepunkte an 900 Standorten entstehen. Mit „schnell“ ist eine Ladeleistung von mindestens 200 Kilowatt gemeint. E-Autos können an diesen Stationen (je nach Ladeleistung und Batteriekapazität) in 20 bis 30 Minuten aufgeladen werden.
Nur 11,6 Prozent der Zeit belegt
Das Deutschlandnetz wurde vom damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angeschoben. Nach mehrjähriger Vorlaufzeit hat der Bund nun das Ergebnis der Ausschreibungen bekanntgegeben: Die Anbieter Allego, BayWa, Eon, Eviny, Fastned, Hochtief, Mer, Pfalzwerke, Total und Via erhalten die Zuschläge.
Insgesamt 1,8 Milliarden Euro an staatlichen Subventionen fließen in den Ausbau. Zusätzlich dazu sollen Ladestationen auf 200 bisher unbewirtschafteten Autobahn-Parkplätzen entstehen. Eine entsprechende Ausschreibung befindet sich laut Bundesregierung in der Endphase.
Für die Elektromobilität könnte dies ein positives Zeichen sein: Endlich geht es voran beim Ausbau der Lade-Infrastruktur. Die berüchtigte „Reichweiten-Angst“ könnte schon bald der Vergangenheit angehören – oder zumindest abgemildert werden. Doch prompt wird die Euphorie wieder gebremst. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der die Ladenetzbetreiber vertritt, spricht von einem „Überangebot an Lademöglichkeiten“. Laut BDEW sind die öffentlichen Ladepunkte im Schnitt gerade einmal zu 11,6 Prozent der Zeit belegt.
„Aus unserer Sicht gibt es jetzt keine Ausreden mehr, warum die Elektromobilität nicht in dem Maße wachsen sollte, wie es zur Erreichung der Klimaziele notwendig wäre“, schreibt der BDEW in einer Pressemitteilung. In solchen Aussagen schwingt die Sorge mit, dass die Branche viel Geld in den Ausbau gesteckt hat, die Investitionen aber wegen zu weniger E-Autos nicht wieder reinkommen. Fehlen also in Deutschland keine Ladestationen? Sondern im Gegenteil: Gibt es zu viele?
Laut Bundesnetzagentur waren zum Stichtag 1. Juli 2023 insgesamt 78.918 Normalladepunkte und 18.577 Schnellladepunkte in Betrieb. Das ist weit entfernt vom Ziel der Bundesregierung, die eine Million Ladepunkte bis zum Jahr 2030 anstrebt. Allerdings sollen bis dahin auch 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein (Anfang 2023 waren es nur knapp über eine Million).
Das Argument des BDEW: Heutige Elektroautos können viel schneller laden als frühere Modelle. Das Ziel von einer Million Ladepunkten sei daher unnötig und unwirtschaftlich. Aufbau, Wartung, Instandhaltung: All das verschlingt enorme Mengen an Geld, trotz staatlicher Subventionierung. Vor allem dann, wenn die Ladestationen nicht ausgelastet sind.
Ganz anders äußert sich der Verband der Automobilindustrie (VDA). Er moniert, dass sich in Deutschland bereits heute 23 E-Autos einen Ladepunkt teilen müssten – die EU peilt einen Wert von acht Autos pro Ladepunkt an. „Um das gesteckte Ziel [von einer Million Ladepunkten] zu erreichen, müsste die Ausbaugeschwindigkeit der vergangenen zwölf Monate etwa vervierfacht werden“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. In etwa der Hälfte aller deutschen Gemeinden gebe es nach wie vor keine einzige öffentliche Ladestation, kritisiert Müller.
Also doch ein zu geringes Angebot? Ob man der einen oder der anderen These zustimmt, hängt stark von der jeweiligen Sichtweise ab. Für beides gibt es nachvollziehbare Argumente. Natürlich schmerzt es einen Ladenetzbetreiber, wenn eine für viel Geld installierte Ladesäule 23 Stunden am Tag unbenutzt herumsteht. Für E-Auto-Fahrende ist es aber ebenso ärgerlich, wenn sie gar keine Ladesäule finden oder zur Rushhour vor einer warten müssen – selbst wenn am selben Ort eine Stunde später alle Plätze frei sind.
Genau darin liegt das eigentliche Problem: Abends ist meist nur wenig los; in den Ferien kann es (genau wie bei fossilen Tankstellen) eng werden. Außerdem ist sowohl die Zahl der Ladestationen als auch die der zugelassenen E-Autos regional unterschiedlich verteilt. Das führt zu mehr oder weniger Andrang. Ein Beispiel: Laut einer BDEW-Auflistung beträgt die Auslastung der Ladesäulen in Coburg nur 2,9 Prozent. In Berlin sind es hingegen über 25 Prozent.
Bezahlbarkeit für viele wichtiger
Auch die Argumente der Autoindustrie sind mit Vorsicht zu genießen. Sie glaubt, dass es bei der E-Mobilität wegen fehlender Ladestationen nur schleppend vorangeht. Dass Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern immer noch deutlich teurer sind, erwähnt ihr Interessenverband nicht. Die Lobby der Netzbetreiber wiederum unterschlägt, dass viele Ladestationen exorbitant teuer sind – trotz Strompreisbremse. Der Anbieter Ionity beispielsweise verlangt 0,69 Euro pro Kilowattstunde an seinen Schnellladestationen in Deutschland. Dies dürfte viele Reisende mehr beschäftigen als die Frage, ob man 250.000 oder eine Million Ladepunkte braucht.
Ganz nüchtern betrachtet der ADAC die Sache. Auf seiner Homepage lobt der Autoclub den deutlichen Ausbau der Ladestationen. Aber: Das allein führe noch nicht dazu, dass automatisch mehr Menschen zum E-Auto wechseln. „Die ADAC-Verkehrsfachleute sind der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Hochlauf der E-Mobilität nicht besser geworden sind“, heißt es auf der Website. „Vielmehr haben sie sich aufgrund von Unsicherheiten über Förderung, Strompreisentwicklung und Verfügbarkeit von Fahrzeugen erheblich verschlechtert.“
Oder anders formuliert: Um im Massenmarkt so richtig durchzustarten, müssen E-Autos nicht nur zuverlässig laden können, sondern auch bezahlbar sein. Genau wie der Strom, den sie tanken. Über die exakte Anzahl der Ladestationen kann man danach immer noch streiten.