Der TV Niederwürzbach war zehn Jahre lang eine Top-Adresse des deutschen, gar europäischen Handballs. In dem kleinen saarländischen Ort tummelten sich plötzlich Weltstars wie Staffan Olsson, Christian Schwarzer, Andrej Lawrow oder Momir Rnic.

Es ist bis heute der größte Erfolg einer saarländischen Handball-Vereinsmannschaft – und wird es wohl bleiben: 1995 gewann der TV Niederwürzbach (TVN) den „Euro-City-Cup“. Im Finale setzte sich das von Jörn-Uwe Lommel trainierte Team vor mehr als 3.200 Zuschauern im ausverkauften Sportzentrum Homburg-Erbach im Rückspiel gegen den spanischen Vertreter Cadagua Galdar (heute CBM Galdar) mit 32:26 durch (Hinspiel: 26:29). „Das war mit der geilste Moment unserer Geschichte“, weiß Jürgen Hartz. Der damalige Kapitän und saarländische Rekord-Nationalspieler (58 Einsätze, 158 Tore) findet: „Das ist etwas, das Bestand haben wird. Es gab bisher keinen saarländischen Handballverein und es wird in näherer Zukunft auch keinen mehr geben, der einen internationalen Titel erringen konnte.“
Binnen sechs Jahren in die Bundesliga
Dass dies ausgerechnet dem TV Niederwürzbach vergönnt war, lag vor allem an einer Person: Rudi Hartz. Der Vater von Jürgen war der Kopf hinter dem Niederwürzbacher Erfolg. Mit dem legendären Spruch: „Bevor mein Sohn in die Bundesliga geht, kommt die Bundesliga nach Niederwürzbach“, war der Unternehmer und „Macher“ des TVN einst angetreten. Sein bereits 1983 erstelltes sportliches Konzept mit dem Ziel „Leistungshandball und Aufstieg in die Bundesliga“ wurde binnen sechs Jahren organisatorisch und finanziell umgesetzt und erwies sich als Erfolgsprojekt. Insgesamt 54 Jahre lang war Rudi Hartz zweiter Vorsitzender seines Vereins. Eine wichtige Persönlichkeit an seiner Seite war Arthur Pressmann. Der frühere Spieler war zwischen 1961 und 1988 Handball-Abteilungsleiter und als solcher wesentlich für die Aufstiege des TVN mitverantwortlich.

Bis heute ist der TVN der einzige saarländische Verein, der in der 1. Handball-Bundesliga spielte. Und das ganze zehn Jahre lang, zwischen 1989 und 1999. Bis 1982 spielte der Club in der Verbandsliga, anschließend drei Jahre in der Oberliga. 1985 folgte der Aufstieg in die Regionalliga Südwest. Mit dem jugoslawischen Olympiasieger von 1984, Momir Rnic, Ausnahmetalent Jürgen Hartz sowie weiteren saarländischen Topspielern wie Reinhard Rings und Jürgen Bachmeyer gelang 1987 unter Trainer Richard Jungmann der Aufstieg in die 2. Bundesliga. „Unsere Mannschaft bestand zu Dreivierteln aus Saarländern, und wir konnten als Tabellen-Vierter auf Anhieb die Klasse halten“, berichtet Jungmann nicht ohne Stolz: „Es war alles immer sehr familiär und dennoch semiprofessionell und erfolgreich“, merkt der spätere Manager des langjährigen Zweitligisten HG Saarlouis an. Zur Saison 1988/1989 verpflichtete Rudi Hartz dann den damaligen Bundestrainer Petre Ivanescu, unter dem prompt der Aufstieg in die Erste Liga gelang. Weil Ivanescu zusätzlich zu seinem Bundestrainer-Job zwar einen Zweitligisten, aber keinen Erstligisten trainieren durfte, übernahm Spieler Jörn-Uwe Lommel als lizenzierter Spielertrainer die Verantwortung. Mit ihm feierte der TVN seine größten Erfolge. In der Europapokalsieger-Saison 1994/1995 landeten die Niederwürzbacher wie schon 1992/1993 als Vizemeister auf Rang zwei der Abschlusstabelle. Zweimal stand der TVN auch im DHB-Finale: 1991 scheiterte er am Tusem Essen, 1998 am THW Kiel.
Erreicht wurden diese Erfolge mit hochtalentierten Spielern, die sich erst in Niederwürzbach einen großen Namen machten: „Nach dem Anruf und dem Angebot von Rudi Hartz musste ich erst mal auf der Landkarte gucken, wo Niederwürzbach überhaupt liegt und habe gesehen, dass es ja 700 Kilometer entfernt von Hamburg liegt“, erinnert sich Christian Schwarzer an seinen Wechsel vom VfL Fredenbeck ins Saarland. Den vollzog er 1991 aus sportlichen Gründen. Noch immer wohnt der heutige Jugendkoordinator des HV Saar in Niederwürzbach. „Diese Entscheidung erwies sich als richtig, weil wir erstens ein neues zu Hause gefunden haben und zweitens immer im oberen Tabellendrittel mitgespielt haben.“ Diese Kontinuität und professionelle Arbeit zahlte sich dann auch für die Spieler aus. „Durch die gute Förderung meines Trainers wurden auch meine Leistungen immer besser und somit begann 1992 nach der Olympiade meine A-Nationalmannschaftskarriere“, sagt Schwarzer heute. Er war nicht der einzige Weltklasse-Spieler, der in Niederwürzbach sein Geld verdiente.

Ein Stamm mit vielen saarländischen Talenten
Auch Markus Baur, mit dem „Blacky“ 2007 im eigenen Land Weltmeister wurde, Momir Rnic, der russische Torwart-Star Andrej Lawrow, die Schweden Staffan Olsson und Stefan Lövgren oder der Franzose François-Xavier Houlet gehörten zur TVN-Familie. Zum Stamm des Teams gehörten auch saarländische Talente wie der langjährige Kapitän Jürgen Hartz oder die Zwillinge Peter und Jens Sieberger sowie junge deutsche Spieler wie Kay Rothenpieler. Sie alle sorgten für den wohl größten Trumpf: die große Kameradschaft. Besonders gern erinnert sich Hartz an Momir Rnic: „Er war der erste richtige Weltstar, der nach Niederwürzbach gekommen ist. Er kam 1986 als Kapitän des amtierenden Weltmeisters und Olympiasiegers Jugoslawien zu uns in die Regionalliga Südwest und stieg mit uns bis in die Bundesliga auf. Er war vier Jahre mein Zimmergenosse, und zwischen uns herrschte schon eine große Verbundenheit.“ Auch Oystein Havang, Marek Kordowiecki, Andrej Lawrow und Staffan Olsson haben bei Jürgen Hartz einen bleibenden Eindruck hinterlassen: „Eigentlich waren alle Spieler, die hier waren, voll in Ordnung.“
„Es war für mich eine sehr schöne und erfolgreiche Zeit. Ich würde es noch einmal genauso machen“, blickt Jörn-Uwe Lommel zurück. Er war von 1989 bis 1993 zunächst Spieler und schließlich von 1993 bis 1998 Trainer des Teams.

Eine Geschichte, die ihm in besonders guter Erinnerung geblieben ist, hat mit den frenetischen saarländischen Handballfans zu tun: „Wir sind damals zusammen mit über 1.000 Fans in einem Sonderzug nach München gefahren, wo wir die Chance hatten, den direkten Aufstieg in die Bundesliga klarzumachen. Allerdings haben wir dort mit einem Tor Rückstand verloren“, erinnert sich Lommel: „So mussten wir den schweren Weg auswärts in Schutterwald nehmen, wo es dann zum Duell Erster gegen den Zweiten kam. Wir haben gewonnen und stiegen auf. Danach ging es mit dem Mannschaftsbus in einem langen Auto-Korso über Frankreich zurück ins Saarland und dort direkt in die Niederwürzbacher Halle, wo uns das ganze Dorf in Empfang nahm. Das war schon eine tolle Sache.“ Der Europapokalsieg von 1995 sei allerdings auch nicht schlecht gewesen.
Das Ende der ruhmreichen Niederwürzbacher Bundesligazeit kam plötzlich und unerwartet: Aufgrund des Konkurs gegangenen Hauptsponsors ASMI fehlte im Etat eine Summe von rund einer Million D-Mark, die trotz großer Anstrengungen nicht aufgebracht werden konnten. Bevor der Gesamtverein Schaden nahm, zog Rudi Hartz lieber die Notbremse. Da half es auch nicht, dass der Mutterverein, wie er es damals formulierte „vielleicht sogar der gesündeste der Liga“ war. Auch sportlich stand der Club hervorragend da und schloss seine letzte Saison im Oberhaus auf Rang acht ab. „Wir mussten 3,5 Millionen Mark zusammenbekommen. Am Schluss hat etwa eine Million Mark gefehlt“, musste Rudi Hartz mitteilen. Nach der Saison 1998/1999 zog sich der Verein also aus der Handball-Bundesliga zurück, verzichtete auch auf die Regionalliga und spielt seither in den oberen saarländischen Amateurklassen.
„Rudi war ein zweiter Vater für mich“

Die Erfüllung seines großen Traumes, dem vom Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit dem TV Niederwürzbach, blieb Rudi Hartz demnach verwehrt. Am 9. November 2016 starb Rudi Hartz überraschend im Alter von 76 Jahren an Komplikationen infolge einer Operation. Er war vor und noch lange nach der Bundesliga-Zeit das Gesicht des Vereins und im Handball-Saarland so bekannt wie kaum ein anderer. „Rudi war wie ein zweiter Vater für mich. Er hat für uns alles organisiert, und seine Tür stand uns immer offen“, sagt Christian Schwarzer.
„Es war eine schöne Zeit, aber irgendwo war es auch belastend“, blickt Jürgen Hartz zurück: „Wir haben als Familie schon mehr investiert, weil es unser Heimatverein war und ist. Zum anderen stand ich als Sohn des Managers oft zwischen den Stühlen. Das war anfangs nicht so toll, aber irgendwann habe ich es akzeptiert.“ Als Jürgen zarte 16 Jahre alt war, flatterten bei Familie Hartz die ersten Angebote namhafter Clubs ins Haus: Kiel, Grosswallstadt, Gummersbach … Nach dem Aufstieg in die 1. Bundesliga meldeten sich diese Vereine erneut. „Mein Vater und ich haben das gemeinsam besprochen und uns immer gesagt: Wir bleiben hier und probieren es. Es hat ja auch funktioniert und deshalb habe ich den Verein nie gewechselt“, erinnert sich Hartz Junior.