Genialer Schachzug oder groteske Idee? Geschäftsführer Bob Hanning von den Füchsen Berlin will den deutschen Handball von Potsdam aus mit einem „Team Deutschland“ nach vorne bringen.
Im Nachwuchsbereich sind die Füchse Berlin schon internationale Spitzenklasse. Bei der vierten Ausgabe der German International Youth Championships, bei der acht europäischen Topclubs Mannschaften aus den Nachwuchsjahrgängen 2007 und 2008 ins Rennen schickten, triumphierte der Hauptstadtverein zum dritten Mal in Serie. Der erneute Coup der B-Jugend zeigt, dass die Füchse Berlin in der Nachwuchsarbeit eine Menge richtig machen, national sogar die Richtung vorgeben. Zufall ist das nicht, für Geschäftsführer Bob Hanning ist das Fördern und Fordern von Talenten eine Herzensangelegenheit. Und eine mittelfristige Chance, die Lücke zu internationalen Topclubs zu schließen. Daran arbeitet Hanning seit Jahren, ein Grundpfeiler seines Konzepts ist die seit 2014 bestehende Kooperation mit dem VfL Potsdam. Die Füchse liefern Know-how und Professionalisierung, im Gegenzug können sich ihre Talente dort durch mehr Spielzeit entwickeln. Und der VfL profitiert durch sportlichen Erfolg, nach dem Aufstieg spielt der Club auch in der 2. Liga ganz oben mit.
Entwicklung in Potsdam ist bemerkenswert
„Es gibt keinen Verein, der sich so schnell unter den gegebenen Umständen entwickelt hat, wie der VfL Potsdam“, sagte Hanning, der seit 2021 auch Cheftrainer in Potsdam ist: „Aus einem wirklichen Amateurclub ist ein Club mit einem professionellen Umfeld geworden. Hier wächst im Moment alles.“ Und davon soll auch der Deutsche Handball-Bund (DHB) profitieren. Hanning sorgte vor ein paar Wochen mit einem ungewöhnlichen Vorschlag für Aufsehen in der Handball-Szene: Im Falle eines Aufstiegs sollten Deutschlands größte Talente künftig das Potsdamer Team verstärken und in der Bundesliga als eine Art „Team Deutschland“ zusammenspielen. Damit soll die Nationalmannschaft mittel- und langfristig gestärkt werden. Garantieren könne er diesen positiven Effekt zwar nicht, so Hanning, „wir können ihn aber ein gutes Stück wahrscheinlicher machen.“ Die Bundesligaclubs stünden dem deutschen Handball gegenüber in der Pflicht, argumentierte der umtriebige Handball-Experte. Nur bei einem finanziellen Investment und innovativen Ideen „können wir etwas ganz Großes gemeinsam schaffen“.
Das Projekt soll kein Alleingang der Füchse sein, sondern gemeinsam mit dem DHB und der Handball-Bundesliga (HBL) koordiniert werden. Die Vereine werden mit dem Versprechen gelockt, dass ihre besten Talente deutlich mehr Spielzeit in Potsdam bekommen als zum Beispiel in Kiel, Flensburg oder Magdeburg, wo internationale Topspieler wichtige Positionen besetzen. Das hatte Bundestrainer Alfred Gislason schon mehrfach kritisch hinterfragt, zuletzt auch vor der Heim-EM: „Man sagt immer, dass die Deutschen einfach besser werden müssten, um sich durchzusetzen. Aber wenn in der Hälfte der Bundesligavereine mehr als zehn Nicht-Einheimische im 16er-Kader stehen, ist das problematisch.“
Auch der VfL Potsdam sitzt bei dieser Idee mit im Boot, weil der Club laut Hanning seine Identität nicht aufgeben müsse. „Wir werden immer nur eine bestimmte Anzahl an Spielern nehmen können“, schränkte Hanning ein. Ein fixes Startrecht in der Bundesliga soll es nicht geben, bei einem sportlichen Abstieg müsste Potsdam auch wirklich in die 2. Liga gehen. Auch die Gehälter müsste der VfL alleine stemmen. Dennoch ist Hanning sicher, dass das aktuelle Team, verstärkt mit weiteren Top-Talenten aus Deutschland, in der Bundesliga bestehen könne – allerdings nicht mit ihm als Coach. Sollte sein Vorschlag angenommen werden und der sportliche Aufstieg gelingen, würde Hanning sein Traineramt aufgeben und offiziell als „Head of Sport“ agieren. Den künftigen Trainer würde dann der DHB bestimmen.

Und die Füchse? Sie wären bei diesem Projekt auf dem Papier einer der wenigen Verlierer. Denn bei einem Aufstieg wäre das aktuell noch gültige Doppelspielrecht laut HBL-Statuten verboten, die Kooperation wäre dann wohl beendet. Angesichts der starken Entwicklungskurven beispielsweise von den Junioren-Weltmeistern Max Beneke und Nils Lichtlein wäre das ein schwerer Schlag. Und dennoch glaubt Hanning an den Erfolg seines Plans. Blauäugig verfolgt er ihn aber nicht: „Das kann natürlich auch total in die Hose gehen. Wir können den Erfolg nicht garantieren.“
Unterschiedliche Reaktionen auf Hannings Pläne
Nach der Heim-EM wollen sich die Verantwortlichen beim DHB und der HBL sowie aus Potsdam mit dem Vorschlag näher beschäftigen. Es gibt Befürworter und Kritiker von Hannings Plan. Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann sieht es skeptisch, dass Clubs ihre besten Talente an einen Konkurrenten weitergeben sollen. Manager Michael Allendorf von Bundesligist MT Melsungen, der ebenfalls für seine gute Jugendarbeit bekannt ist, schmettert Hannings Idee nicht von vornherein ab. Aber er findet auch, dass im Falle einer Umsetzung Nachbesserungen unumgänglich wären. „Ich finde es gut, dass es Lösungsansätze gibt, um unsere Nachwuchs- und U21-Spieler zu fördern und zu fordern“, sagte Allendorf: „Allerdings fehlen mir dazu noch die konkreten Details. Die müssten zuerst mit allen Beteiligten besprochen werden.“ Er gab zu bedenken: „Wenn wir in unseren eigenen Reihen ein riesengroßes Talent aus dem Nachwuchs haben, sind wir erst mal natürlich bestrebt, das bei uns weiter auszubilden und dass es bei uns den Sprung schafft.“ Für Füchse-Trainer Jaron Siewert sind derlei Gedankenspiele aktuell eher zweitrangig. Sein voller Fokus gilt dem Restart in der Bundesliga – und der hat es in sich! Nach sechs Wochen Pause wegen der Feiertage und der Europameisterschaft empfangen die Berliner am 1. Februar die SG Flensburg-Handewitt.
Die Norddeutschen lauern mit vier Punkten weniger auf dem Konto auf Tabellenplatz drei, während sich die Füchse im heißen Titelrennen mit dem punktgleichen SC Magdeburg keinen Ausrutscher erlauben dürfen. Die Chance auf den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte ist groß – und diesmal will sich der Hauptstadtclub diese mit einer schwächeren Rückrunde nicht wieder vermasseln. Das Selbstvertrauen nach nur einer Niederlage in der ersten Saisonhälfte – dem 26:30 bei Rekordchampion THW Kiel Mitte November – könnte größer kaum sein.
„Ich bin mega-happy über die komplette Hinrunde und mega-stolz. Ich habe riesigen Respekt vor der Mannschaft, dass sie sich immer wieder so aufopfert, immer wieder am Leistungs-Limit spielt“, sagte Trainer Siewert. Vor allem die Führungsspieler Mathias Gidsel, Mijajlo Marsenic, Lasse Andersson und Torhüter Dejan Milosavljev hatten aufgrund diverser Ausfälle eine enorme Belastung auf sich genommen. „Ihre Energie und Mentalität ist ansteckend.“
Das beeindruckte auch Sportvorstand Stefan Kretzschmar, der Tabellenplatz zwei als „eine tolle Momentaufnahme“ sieht, die ihn „irgendwo auch ein Stück weit stolz“ mache. Doch das Ziel ist der Spitzenplatz. Zumal Kapitän Paul Drux, der auf eine EM-Teilnahme aus Fitnessgründen verzichtet hatte, nun deutlich weiter ist als bei seinem Comeback vor der Pause. Und die verletzten Valter Chrintz, Fabian Wiede und Matthes Langhoff dürften bald auch wieder mitmischen. Keine Frage: Die Füchse werden ihren Angriff auf den Titel mit großer Leidenschaft fortsetzen. „Wir wollen die Dinge besser machen als im letzten Jahr“, kündigte Hanning an.